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500 Jahre Reformation
Martin Luther für Kinder

Bereits jetzt sind die Vorbereitungen für das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 in vollem Gange, auch auf dem Buchmarkt. Ein Bilderbuch mit Texten von Meike Roth-Beck und Illustrationen von Klaus Ensikat bringt Kindern die Zeit Martin Luthers nahe und spiegelt sie mit der aktuellen Lebenswelt.

Von Thomas Linden |
    Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
    Denkmal des Reformators Martin Luther mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (dpa / picture alliance / Peter Endig)
    Vor 500 Jahren geschah etwas so Unerhörtes, dass die Welt nie wieder so sein sollte, wie sie zuvor gewesen war. Ein Mönch protestierte gegen die Praxis der Kirche, das Seelenheil gegen Geld zu verhökern. 95 Thesen umfasste seine Protestnote, die er an die Tore der Schlosskirche von Wittenberg geschlagen haben soll. Aber da geht es schon los. Klaus Ensikat, der die Illustrationen zum jetzt im Kindermann Verlag erschienenen Bilderbuch "Von Luthers Wittenberger Thesen" gezeichnet hat, meldet da Bedenken an:
    "Diese Sache mit den Thesen an der Schosskirchentür wird natürlich bezweifelt, und ich würde sie auch bezweifeln. Wie kann ich an der Schlosskirchentür etwas verkünden? Wie viele Leute würden das lesen, und wie viele Leute haben es damals gelesen? Aber es ist natürlich eine Geschichte, die man gut erzählen kann."
    Mühelos werden Kinder durch die Welt des 16. Jahrhunderts geführt
    Die Vorbereitungen für das 500-Jahrfest 2017 sind gleichwohl nicht nur im Osten Deutschlands in vollem Gange. Und die Kinder schreiten mit diesem Bilderbuch im Tross der Jubiläums-Publikationen gleich vorneweg. Zu verstehen sind die historischen Zusammenhänge auch deshalb, weil Meike Roth-Beck in ihrem Text mühelos durch die Welt des 16. Jahrhunderts mit seinen Herrschaftsverhältnissen und Glaubenskonflikten führt. Dazu benötigt sie weder Fremdworte noch erwachsene Redewendungen. Ein sauber gearbeiteter Text liegt hier vor, dessen freundliche Sprache immer an der Lebensgeschichte Luthers orientiert bleibt. Klaus Ensikat, der bis hinauf zur Hans-Christian-Andersen-Medaille alle Ehrungen erhalten hat, die ein Illustrator international gewinnen kann, liefert dazu das visuelle Panorama von Wittenberg.
    "Es gibt zeitgenössische Darstellungen von Wittenberg, die ich aber abgewandelt habe. So gab es zum Beispiel die welschen Türme auf der Stadtkirche zu Luthers Zeiten nicht. Zu Luthers Zeiten waren das einfache Turmspitzen. Man würde die Kirche heute nicht erkennen. Ich habe mich aber daran gehalten, dass man sie erkennen soll. Die Kinder sollen eben, wenn sie Wittenberger sind oder wenn sie nach Wittenberg kommen, sehen: Hier war das. Deshalb muss man bei solchen Landschaften immer vorsichtig sein."
    "Ein mittelgroßer, etwas korpulenter Herr, der sicher sehr freundlich war"
    Nach dem Ort folgt das Panorama der Epoche auf zwei großen Tafeln mit den beiden Herrschergestalten Kaiser Maximilian I. und Papst Leo X. Ensikat hat deren Porträts von Dürer und Raffael so verändert, dass sie lebendig wie unsere Nachbarn von gegenüber wirken. Hinter ihnen öffnet sich das Inferno einer Welt, in der sich Kriege und Hexenverbrennungen ereignen. Ensikat gelingt jedoch ein Geniestreich. Ohne dass er die Gewalt der historischen Realität verleugnen müsste, vermeidet er jede schockierende Attitüde. Zugleich weitet er einen historischen Raum mit Landschaften, Werkstätten, Kirchen und Wäldern. Alles geht ineinander über, als hätte jemand diese Welten zu einer einzigen zusammengeschoben.
    Während der Text fließend Luthers Kindheit, Jugend und Mönchsjahre passieren lässt, präsentiert Ensikat auf jeder der Doppelseiten Erlebnisse und Anekdoten, die wie kleine Bildkapitel angelegt sind. Martin Luthers Eltern werden vorgestellt, wir werfen einen Blick in die Welt des Bergbaus, die seine Familie prägte. Andere Seiten sind seiner fingierten Entführung gewidmet, bei der die Freunde ihn mit einem Trick vor den Häschern des Kaisers retten. Wir sehen Luther bei der Arbeit an der Bibelübersetzung und können uns fragen, wie sich Klaus Ensikat seine Persönlichkeit vorgestellt haben mag: "Eigentlich war er in dieser Zeit, die ich dargestellt habe, dieser mittelgroße, etwas korpulente Herr. Der sicher sehr freundlich war, wenn er nicht gerade über den Papst schimpfte."
    In der besten Tradition der Illustrationskunst
    Ensikat spielt die Virtuosität eines erfahrenen Illustrators aus, der die Einzelbilder voreinander, nacheinander oder nebeneinander staffelt. Die Bilder werden selbst zu einem Text, und das Erzählen ist ihm eine Lust, die sich im Realismus seiner Feder fortsetzt. Zeichnet er eine Madonna, dann gleicht das Jesuskind einem Baby, wie wir es eben noch in einem Kinderwagen gesehen haben.
    Zu Ensikats Markenzeichen gehören die im Vergleich zum Körper etwas zu großen Köpfe. Mit der Verschiebung der Proportionen ironisiert er nicht alleine das wichtigtuerische Auftreten der historischen Gestalten, die plötzlich etwas Zwergenhaftes bekommen, sondern er nutzt auch die Möglichkeit, in diese Gesichter eine Fülle von Charaktermerkmalen einzuschreiben. "Das 16.Jahrhundert ist die Zeit, in der es Porträts gibt. Vorher gab es ja keine. Das Porträt war nicht wichtig. Wenn Sie die alten Bücher sehen, dann sind die Figuren nur sehr summarisch behandelt. Es sind nie Individualitäten."
    Ensikat holt das historische Personal zu uns heran, in den beweglichen Körpern, den Kleidern, wie Luthers in viele Falten unterteilte Mönchskutte oder den Rüstungen und Pelzkrägen. All das scheint uns zum Anfassen nahe gerückt.
    Das ist es, was die Tradition der Illustrationskunst ausmacht, die bis zu den handschriftlich erstellten ersten Bibeln zurückreicht. Was das Wort nicht vermag, leistet das Bild, es ist keine Übersetzung, sondern erschafft eine eigene Welt.
    Ein kleines Kunstwerk, das von einem gütigen Luther erzählt
    Hier werden die Lebensstationen Luthers mit der Welt der Kinder gespiegelt. Das beginnt schon mit dem Vornamen Martin, den Luthers Eltern für ihren Sohn wählten, weil sie an Martin von Tours dachten, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Also sehen wir Kinder in einem Laternenzug im Bild. Natürlich tauchen auch lesende und schreibende Kinder in den Illustrationen auf. Protestantismus und Buchdruck ist nicht ohneeinander zu denken, und so werfen wir, ohne dass es im Text ausdrücklich erwähnt werden müsste, mit Ensikat einen Blick in die Welt des Handwerks.
    "Der Drucker, der an der Maschine steht, sah wahrscheinlich so aus, wie er noch heute aussieht. Denn das ist eine sehr schmutzige Arbeit. Wenn Sie dagegen den Setzer sehen. Die Setzer waren bessere Leute, die konnten lesen, schreiben und setzen. Was eigentlich eine große Geschichte war, bis zum Ende des Bleisatzes. Heute kann im Grunde jede Sekretärin ein Buch setzen, am Bildschirm. Dass dann alle Bücher aussehen wie von Sekretärinnen gesetzt, das ist natürlich unglücklich."
    Eine Spitze, die sich Klaus Ensikat nicht verkneifen kann. Tatsächlich stellt dieses Buch, in dem abwechselnd Text oder Illustrationen die Führung übernehmen, ein kleines Kunstwerk dar, das von einem gütigen Luther erzählt. Dass es auch kantige und dunkle Seiten in dieser Persönlichkeit gab, steht auf einem anderen Blatt. Wer dieses Buch gelesen und geschaut hat, erhält aber eine lebendige Vorstellung von dem, was sich vor 500 Jahren ereignet hat und seine Spuren immer noch in unserem Alltag hinterlässt.
    Meike Roth-Beck / Klaus Ensikat: „Von Martin Luthers Wittenberger Thesen"
    Kindermann Verlag, Berlin 2015, 46 Seiten, 19,90 Euro.