Das Wasser tröpfelt in der Probierwerkstatt der Bochumer Fiegebrauerei in einen überdimensionalen Kochtopf. Mit einer Handmühle wird gekeimte und wieder getrocknete Gerste, das Gerstenmalz, für einen Probesud gemahlen. Jetzt soll das grob gemahlene Schrot angesetzt werden, erklärt Jung-Braumeister Holger Kittler:
"Das Wasser Schrot Gemisch heißt dann Maische. Und in diesem Gefäß werden Stärke aus dem Korn durch Enzyme in Zucker abgebaut. Der Zucker wird dann in Alkohol und dann in CO2 umgewandelt."
Um trotz sinkendem Bierdurst der Deutschen zu bestehen, wird in Bochum permanent mit neuen Bierrezepten experimentiert. 14 Sorten Bier produziert die mittelständische Familienbrauerei ausschließlich für das Ruhrgebiet: vom traditionellen Export über das Hauptprodukt, ein sehr herbes Pils, bis zu einem ganz neuen Leichtbier. 1.300 Brauereien gibt es in Deutschland, doch nur wenige Industriebetriebe beliefern alle deutschen Regionen oder sind im Ausland aktiv. Deutschland ist damit neben Großbritannien eines der Länder mit der größten Vielfalt an Produzenten in der Welt. Das Reinheitsgebot hat noch lange nicht ausgedient, meint Inhaber Hugo Fiege.
"Alle Brauereien zeigen das, dass sie mit dem Reinheitsgebot unterschiedliche Biere brauen, und man kann fragen, wenn sich etwas bewährt hat, warum muss ich das abschaffen?"
Reinheitsgebot als Marketinginstrument
Das Reinheitsgebot mit der Beschränkung auf nur vier Zutaten ist für die Branche ein wichtiges Marketinginstrument, wie dieser Werbespot zeigt:
Die Brauer stellen die 500 Jahre alte Produktionsvorschrift gerne als Verbraucherschutz dar:
"Wie kann es sein, dass ein solches Reinheitsgebot fünf Jahrhunderte Bestand hat? - Und heute so aktuell ist, wie nie zuvor?"
Doch außer der Beschränkung auf die vier Zutaten wird weder die Produktion, die Veredelung noch die Verarbeitung der Zutaten geregelt. Zum Beispiel wird der Hopfen in vielen Brauereien als Extrakt verwendet, der vorher mit Hilfe von Kohlensäure und Ethanol behandelt wird. Molekularbiologe Ralf Kölling von der Universität Hohenheim über die Schwächen des Reinheitsgebots:
"Es regelt alle Dinge nicht, die im Vorfeld der Bierbereitung passieren. Wie ich Getreide anbaue, ob ich Pestizide verwende, das alles regelt das Reinheitsgebot nicht. Da ist keine Logik und das ist der Grund, warum ich sage, dass man das Reinheitsgebot überdenken sollte."
Tatsächlich sind nach EU-Recht in Deutschland neben den vier Hauptzutaten auch noch einige Zusatzstoffe erlaubt, so Kölling. Tatsächlich gibt es aber eine Selbstverpflichtung der Brauer, dies nicht zu tun. Auch seien bei speziellen Biersorten Süßstoffe und Konservierungsmittel erlaubt.
Immer mehr kleine Hausbrauereien würden aber gerne auch andere Getreidesorten wie Mais oder Roggen für das Trendgetränk "Craft Beer" einsetzen.
"Zusatzstoffe dürfte ich reintun, das ist in Ordnung, aber ich dürfte keine anderen Braustoffe verwenden. Ich muss Gerstenmalz verwenden. Das würde auch für Craft-Beer-Brauer in Deutschland gelten."
Unschärfe des Reinheitsgebots
Craft Beer aus dem Ausland hingegen unterliegt nicht diesen Beschränkungen und darf importiert werden. Und noch eine Unschärfe des Reinheitsgebots wird kritisiert. Zur Filterung des Biers werden weithin Stoffe wie mineralischer Kieselgur oder der Kunststoff PVPP hinzugefügt und am Ende des Prozesses wieder heraus genommen.
"Das ist eine Grauzone. Diese Substanzen sind erlaubt, wenn sie bis auf technische Spuren wieder entfernt werden. Das impliziert ja schon, dass dort was zurückbleibt, dass man das nicht wieder heraus bekommt, aus dem Bier."
Die Verbraucherorganisation Foodwatch bezeichnet daher das 'Reinheitsgebot' als Scheinheitsgebot. Es sei nur eine Herstellungsnorm und eine geschickte Vermarktungsstrategie. Und der Name selbst, "Reinheitsgebot" sei eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts.