Eine Konferenz zum Thema Utopie an der Universität Brighton. Die Stimmung ist gedrückt. Kriege. Klimawandel. Katastrophen. Wer heute nach vorne schaut, sieht nichts Gutes. Professor Bob Brecher hat die Tagung organisiert.
Bob Brecher: "Viele Menschen haben aufgehört, über die Zukunft nachzudenken. Ihr Lebensinhalt beschränkt sich auf Shopping, Sex und Tod."
Aber die Träume von einem Goldenen Zeitalter, von einer idealen Gemeinschaft sind uralt. Das Wort "Utopie" ist eine Schöpfung des englischen Humanisten Thomas Morus. 1516 veröffentlichte er - zunächst auf Lateinisch - ein schmales Buch mit einem langen Titel "Utopia. Von der besten Staatsverfassung und von der neuen Insel Utopia, ein wahrhaft goldenes Büchlein, genauso wohltuend wie heiter."
Wohltuend? Vielleicht. Heiter? Wohl kaum. Der Roman beginnt mit einem kritischen Blick auf das damalige England. Thomas Morus berichtet, wie er "zufällig" mit einem Weltreisenden ins Gespräch kommt, der die Zustände auf der "alten Insel" heftig kritisiert.
"Da ist zunächst die große Zahl der Edelleute. Selbst müßig, leben sie wie die Drohnen von der Arbeit anderer, die sie bis aufs Blut aussaugen, um ihre persönlichen Einkünfte zu erhöhen."
Genauso schockierend findet der Fremde das englische Rechts- und Erziehungswesen.
"Eure Justiz blendet wohl durch den Schein. Aber gerecht oder nützlich ist sie nicht. Wenn Ihr den Menschen eine klägliche Erziehung zuteil werden und ihren Charakter von zarter Jugend an verderben laßt, um sie offenbar erst dann zu bestrafen, wenn sie als Erwachsene die Schandtaten begehen, die man von Kindheit an bei ihnen dauernd erwartet - was tut ihr da anderes, als daß Ihr sie erst zu Dieben macht und dann bestraft?"
Kritische Beobachtung einer historisch realen Welt
Der Reisende kommt zu einem radikalen Schluss.
"Überall, wo es noch Privateigentum gibt, wo alle an alles das Geld als Maßstab anlegen, wird kaum jemals eine gerechte und glückliche Politik möglich sein, es sei denn, man will dort von Gerechtigkeit sprechen, wo gerade das Beste immer den Schlechtesten zufällt, oder von Glück, wo alles unter ganz wenigen verteilt wird, (...) der Rest aber ein elendes Dasein führt."
Das Gegenmodell wird dem Leser im zweiten Teil des Büchleins vorgestellt: Utopia verfügt über eine ideale Staatsordnung, eine egalitäre Gesellschaft ohne Geld und ohne Privateigentum. Man lebt in Gemeinschaftshäusern, Güter werden nach Bedarf verteilt. Es herrscht Religionsfreiheit.
Eine Insel der Seligen? Nicht ganz. Frauen haben kein Wahlrecht. Auf Ehebruch steht harte Sklaverei. Es zählt nicht das Individuum, sondern das Kollektiv.
Das Werk "Utopia" lasse verschiedene Interpretationen zu, – das habe Thomas Morus schon mit der Wahl der altgriechischen Namen deutlich gemacht, sagt Philosophie-Professor Bernard Harrison von der Universität Sussex:
Eine Insel der Seligen? Nicht ganz. Frauen haben kein Wahlrecht. Auf Ehebruch steht harte Sklaverei. Es zählt nicht das Individuum, sondern das Kollektiv.
Das Werk "Utopia" lasse verschiedene Interpretationen zu, – das habe Thomas Morus schon mit der Wahl der altgriechischen Namen deutlich gemacht, sagt Philosophie-Professor Bernard Harrison von der Universität Sussex:
"Das Wort Utopie bedeutet sowohl "Nichtort, Nirgendwo" – das heißt kein Ort, an dem es so etwas geben könnte - als auch "bester Ort". Der Fluss auf der Insel lautet übersetzt: "Kein Wasser". Der Fürst trägt den Namen: "ohne Volk". Und der weitgereiste Fremde, der die Insel gesehen hat, heißt bezeichnenderweise Raphael Hythlodeus – auf deutsch Possenreißer."
Manche nennen Thomas Morus den Vater des Utopischen Sozialismus. Über seinen Charakter wird weiterhin gerätselt - über seinen spektakulären Aufstieg - und seinen spektakulären Fall.
"Thomas Morus kam aus einfachen Verhältnissen, wurde aber schon in jungen Jahren die rechte Hand von König Heinrich dem Achten. Er galt als einer der einflussreichsten Denker, Rechtsgelehrten und Politiker Europas. Aber dann überwarf sich Heinrich der Achte mit dem Papst und der streng katholische Thomas Morus weigerte sich, seinem König den Treue-Eid zu leisten. Daraufhin wurde er 1635 wegen Hochverrats geköpft."
Wunsch nach alternativen Lebenskonzepten
Auf der Utopie-Konferenz in Brighton stehen die Gedankenspiele von Thomas Morus zwar nicht zur Diskussion. Doch es geht auch hier um alternative Lebenskonzepte. Und darum, wie Utopien in Dystopien ausarten, wenn sie mithilfe totalitärer Zwänge in die Praxis umgesetzt werden. David Hancock von der Neuen Universität von Buckinghamshire:
"Es ist wichtig, dass wir mit offenen Augen träumen. Natürlich sollten wir uns eine radikal bessere Zukunft vorstellen, aber so ein Traum sollte nie als Entschuldigung benutzt werden, um die Gegenwart zu zerstören."
Für Thomas Morus war klar: "Die Verhältnisse können nur dann gut sein, wenn alle Menschen gut sind", schreibt er. Aber darauf werde er wohl noch lange warten müssen.