Der Kunsthistoriker Nils Büttner beschäftigt sich fast sein ganzes Leben lang mit Hieronymus Bosch. Er ist Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Er hat 2012 auch ein Buch geschrieben - mit dem Titel "Hieronymus Bosch".
In Boschs Heimatstadt s’Hertogenbosch in den Niederlanden fand kürzlich zu Ehren des berühmten Sohnes eine große Ausstellung statt. Jetzt ist die Schau im Prado in Madrid zu sehen.
Susanne Fritz: Herr Büttner, im Versuch, seine Bilder zu deuten, hat man Hieronymus Bosch vieles nachgesagt. Wegen der skurrilen Monster und Mischwesen heißt es, er habe beim Malen Drogen genommen. Das Rätselhafte seiner Bilder, die schaurigen Höllenwesen und Teufel, die wollüstigen Szenen, unkeuschen Figuren haben ihm den Ruf eingebracht, Ketzer oder Geheimbündler gewesen zu sein. Passen solche Spekulationen zu dem, was wir über das Leben von Hieronymus Bosch wissen?
Nils Büttner: Anders als oft behauptet ist das Leben von Hieronymus Bosch verhältnismäßig gut dokumentiert. Er ist also ungefähr zwischen 1450 und 1455 geboren, war gebildet, hat vermutlich die Lateinschule besucht, bevor er in der Werkstatt seines Vaters lernte, und zwar das Malerhandwerk, das schon der Großvater und der Urgroßvater ausgeübt hatten. Bosch hat sich selbstständig gemacht, hat eine eigene Werkstatt eröffnet. Und über die sind wir, genau wie über sein Alltagsleben, gut informiert, weil er Mitglied einer religiösen Bruderschaft war. Er hat die niederen kirchlichen Weihen erhalten, hat eine Tonsur getragen und hat an den religiösen Festen teilgenommen. Man weiß also sehr viel über sein Alltagsleben bis hin zu seinem Speisezettel.
"Bosch war ein sehr religiöser Mensch"
Fritz: Der Maler Bosch war Mitglied dieser geistlichen Bruderschaft, von der Sie geredet haben; sie hat ihm sicherlich auch viele gesellschaftliche Vorteile gebracht. Es drückt auch sein Verhältnis zu seinem christlichen Glauben aus – also, war Bosch ein religiöser Mensch?
Büttner: Bosch war ein sehr religiöser Mensch, davon ist auf jeden Fall auszugehen. Und tatsächlich sind seine Bilder immer wieder auch gelesen worden als Zeugnisse seiner eigenen Glaubensüberzeugungen. Denn Hieronymus Bosch unterscheidet sich von anderen Malern seiner Zeit dadurch, dass er in großer ökonomischer Selbstständigkeit lebte. Das heißt, er war ökonomisch unabhängig.
"Bosch gehörte der absoluten Geld-Elite an"
Fritz: Er hatte sich mit einer Frau verheiratet, die Vermögen besaß?
Büttner: Genau. Er hatte 1480 eine für damalige Verhältnisse schon ältere Frau geheiratet, die sehr vermögend war und die große Liegenschaften mit in die Ehe gebracht hatte und diverse Häuser. Er gehörte der absoluten Geld-Elite an, und das dürfte ihm die Freiheit eingetragen haben, seine künstlerischen Werke zum Beispiel nach eigenen Gutdünken zu entwerfen.
Fritz: Bevor wir näher auf seine Werke eingehen, möchte ich gerne noch einen Blick auf die Zeit werfen, in der Hieronymus Bosch lebte, das Zeitalter der Renaissance. Das Individuum rückt in dieser Zeit stärker in den Blick als bislang. Die Humanisten, wie der einflussreiche Theologe und Philosoph Erasmus von Rotterdam, setzten sich kritisch mit dem christlichen Glauben und der Kirche auseinander. Welche Rolle spielt die christliche Religion im Leben und im Denken der Menschen dieser Zeit?
Büttner: Die Religion nimmt im Denken der Menschen dieser Zeit einen ganz zentralen Platz ein. Hieronymus Bosch ist mit seinen Glaubensüberzeugungen nicht alleine, ganz im Gegenteil, er teilt sie mit der gesamten christlichen Welt. Und die sehen halt so aus, dass diese Welt von Gott erschaffen wurde und dass man den in der Bibel überlieferten göttlichen Heilsplan dahingehend Glauben schenkt, dass im siebten Alter der Welt, der Gegenwart Boschs, das Weltgericht und die Apokalypse zu erwarten sind. Diese Glaubensauffassung teilt er mit vielen, die damals leben, auch mit Humanisten. Weil das so ist, bin ich gar nicht so sicher, dass dieser neue Individualitätsbegriff für Bosch so in Anschlag zu bringen ist. Ich glaube, dass er sehr viel über Prädestination nachdenkt, über den Willen Gottes und den Willen der Menschen, und dass er das auch durchaus mit Erasmus teilt.
"Er malt mehr Seelen als Menschenwesen"
Fritz: Wenn wir nun auf die Bilder von Hieronymus Bosch schauen, da stellt man fest, es gibt kaum profane Bilder oder zumindest sind sie nicht erhalten. Bosch malte die Geburt, das Leiden und Sterben Christi, er malte die Heiligen und Parabeln auf die christlichen Sünden, das Paradies, das Jüngste Gericht, den Himmel und vor allem die Hölle. Auch andere Maler haben solche traditionellen christlichen Themen aufgegriffen, was macht Bosch dabei zu einem so außergewöhnlichen Maler?
Büttner: Tatsächlich ist es so, dass Bosch sehr eigene Bilderfindungen entwirft. Bosch ist jemand, der aufmerksam mit offenen Augen durch die Welt geht. Bosch ist jemand, der Insekten und Pflanzen genau studiert und zeichnet und der sie benutzt, um das dann zu visualisieren, was wir zwar wissen, aber nicht sehen können, nämlich, dass es ein Jenseits und eine Hölle gibt und dass diese Hölle von Teufeln bevölkert ist. Boschs Monstren sind besonders deshalb, weil sie funktionieren könnten. Das sind fantastische Erfindungen, denen aber eine gewisse Plausibilität eignet. Das heißt, sie sind so gemacht, dass man sich vorstellen kann, dass sie wirklich kriechen, fliegen, dass sie existieren und leben. Und diese Belebtheit, die er diesen fantastischen und erfundenen Wesen gibt, die unterscheiden sich von allem, was seine Zeitgenossen und Vorgänger machen – sein berühmtestes Werk ist fraglos der sogenannte "Garten der Lüste" – das unglaublich viele Menschen unterschiedlicher Art, die er in Aktion miteinander zeigt, die, würde man sie verbalisieren, fast ins Pornografische abgleiten würden. Boschs Kunst ist dabei aber nie pornografisch, weil die Figuren, die er zeigt, ganz flach sind. Die Körper, die er malt, sind wie Schemen. Also, er malt mehr Seelen als Menschenwesen. Nun könnte man sagen, Bosch, der konnte das nicht besser. Bosch ist aber andererseits einer der ersten Maler, dem es zum Beispiel gelingt in seiner Anbetung der Könige, im Prado in Madrid, einen Nordafrikaner physiognomisch so getreu zu schildern, dass man meint, dass dieser schwarze König, der da das Christkind anbetet, dass der ein Porträt ist.
"Der 'Garten der Lüste', ein Bild von verwirrender Vielfalt"
Fritz: Ich möchte noch mal auf den "Garten der Lüste" zu sprechen kommen, den Sie gerade angesprochen haben. Das ist ein Triptychon. Auf der linken Tafel sieht man das Paradies, auf der mittleren einen Ort der Wollust, sexuelle Freizügigkeit, in der nackte Menschen unter merkwürdigen Pflanzengebilden übereinander herfallen, sich beinahe unschuldig miteinander verlustieren und auf der rechten Seite dann die Folge des sündigen Treiben, die Hölle. Auch sie ist detailreich mit fantastischen Mischwesen aus Pflanze und Mensch, Tieren, Monstern, Teufeln ausgestaltet, düster in den Farben und erstaunlich in der Bildkomposition. Hat Bosch das alles gemalt allein zur religiösen Erbauung?
Büttner: Nein, ich glaube, das wäre zu einfach, das so zu sagen. Diese Bilder hatten ihren Ort und der Ort dieses Bildes ist verhältnismäßig früh und recht genau dokumentiert. Ein Jahr nach Boschs Tod reist der Kardinal Antonio de Beatis nach Brüssel und besucht dort den Palast von Heinrich von Nassau. Was er in dem Nassau-Palais sieht, schreibt er auf. Man zeigt ihm die Festsäle und im Anschluss an einen dieser Festsäle beschreibt er voll Staunen ein Bett für die betrunkenen Gäste höfischer Feste, ein Bett, in dem 50 Menschen liegen können. Man zeigt ihm aber auch Hieronymus Boschs Garten der Lüste, ein Bild von verwirrender Vielfalt, wo Menschen Kraniche kacken, wo Vögel und Menschen in wildem Durcheinander gezeigt sind. Er charakterisiert es in einer Form, wie Sie das eben auch getan haben.
Fritz: Wie ein Wimmelbild sieht es aus.
Büttner: Ein Wimmelbild. Ein Wimmelbild ist, glaube ich, eine ganz treffende Beschreibung dafür. Und wenn man sich diesen Kontext anschaut, dann muss man sich klarmachen: Hier werden höfische Feste gefeiert, indem man ein Partybett für 50 Betrunkene braucht. Dennoch teilen all diese Menschen, die dort feiern – das Leben feiern und genießen –, dennoch sind all diese Menschen davon überzeugt, dass irgendwann der Tag kommt, an dem die Menschen gewogen werden, wo entschieden wird, ob sie gut oder böse, in den Himmel oder in die Hölle kommen. Sie teilen dieses christliche Weltbild. Sie werden dann vor diesem Bild gestanden haben, um sich darüber zu unterhalten. Und es ist Bosch, der diesem Gespräch einen Rahmen gibt, der aber nicht vorgibt, wie etwas zu lesen ist.
"Kriechende, schleimige Wesen sind negativ belegt"
Fritz: Das heißt, die Zeitgenossen haben durchaus das, was uns heute rätselhaft erscheint, an diesen Bildern verstanden?
Büttner: Man tut sich, glaube ich, etwas leichter, wenn man sagt: 'Das ist gar nicht rätselhaft', indem man sagt: 'Wenn ich fest davon überzeugt bin, dass es diesen göttlichen Heilsplan gibt, indem alle Wesen ihren Platz haben, wenn ich davon ausgehe, dann muss ich einfach alles, was ich sehe, mit dem, was ich in der Bibel lesen kann, abgleichen.' Und genau das tun die Leute, die vor einem solchen Bild stehen. Und wenn er diese rätselhaften Wesen uns gibt, dann sind die natürlich mit Bedeutung aufgeladen, aber nicht jedes einzeln muss dann zwingend eine festgelegte Bedeutung haben. Reptilien, Schlangen, kriechende, schleimige Wesen, die aus einem Pfuhl kriechen, sind negativ belegt, die sind Symbole für das Böse, das überall der Schöpfung schon implizit ist. Das heißt also, in dem Moment, wo Gott Licht und Schatten getrennt hat, ist das Böse allgegenwärtig in der Welt. Und es ist Aufgabe des Menschen zu entscheiden, was Gut und was Böse ist. Und diese Entscheidung kann man vor diesem Bild dann diskutieren.
Fritz: Also liegt es in der Entscheidung des Betrachters, ob der Pelikan, die Kröte oder die Eule nun Symbole des Bösen oder des Guten sind?
Büttner: Nicht nur. Also, es gibt Symbole und Tiere, die haben gleichsam festgelegte Bedeutungen. Wie der Pelikan zu lesen ist, von dem der Physiologus sagt, dass er,um seine Kinder zu nähren, sich die Brust aufreißt, um ihnen das eigene Blut zu trinken zu geben, so ist das ein Symbol, das sich ganz leicht auf den Kreuzestod Christi zum Beispiel übertragen lässt – deshalb ist der Pelikan positiv konnotiert, das heißt also, grundsätzlich eine positive Bedeutung. Anders ist es bei der Eule. Die Eule ist einerseits das Symbol der Minerva oder der Athena, das ist das Symbol der Wissenschaft, andererseits ist die Eule auch ein Nachtvogel, der nachts sehen kann und es ist ein Vogel, den die anderen Vögel hassen und verfolgen. Er ist in diesem Sinne auch bei Bosch oft ein Vogel, der auf das Dunkle hinweist, auf das Negative.
"Jede Sünde hat ihre spezifische Strafe"
Fritz: Bosch malte drastische und schaurige Höllenqualen und schmückte die Hölle detailreich aus. Decken sich solchen Darstellungen mit theologischen Vorstellungen der Zeit?
Büttner: Die Anforderung an die Kunst war ja – auch von theologischer Seite so formuliert –, einen Beitrag zur Rettung der Seelen zu leisten. Und das konnte sie besonders gut, wo sie Grausamkeiten und Schrecklichkeiten vor Augen stellte. Der höchste Himmel wird selten oder nie dargestellt. Man zeigt Symbole für ihn, gotische Kirchenarchitektur zum Beispiel, vor allem aber das Licht. Was die Hölle angeht, ist das Ganze wesentlich vielfältiger. Denn man kann durch das Vorführen des Schlechten, die Affekte des Guten anregen, das sagen schon die Kirchenväter. Und wenn man sich die Alltagswirklichkeit der Zeit Boschs anguckt, wo Körperstrafen an der Tagesordnung sind, wo es ganz üblich ist zu foltern und zu morden, so ist selbstverständlich auch die Hölle, da wo sie geschildert und ausgemalt wird, eine, wo jeder Sünde ihre Strafe zugemessen wird. Jede Sünde hat ihre spezifische Strafe.
Wer der Luxuria gefrönt hat, wer also unkeusch war, der muss mit Kröten ins Bett. Wer der Gula oblegen hat, der Sünde der Völlerei, der muss fressen, bis er platzt. Diese Form der Hölle zeigt auch Bosch, wobei er tatsächlich das Ganze oft durchmischt mit durchaus im Strafrecht auch bekannten Dingen. Auf dem "Garten der Lüste" zum Beispiel, auf dem Höllenflügel, sieht man eine abgeschnittene Hand auf ein Schild gesteckt und auf der Hand balanciert ein Würfel. Die Strafe für Falschspiel wie für Diebstahl ist das Abhacken der Hand. Das heißt, diese hier vorgeführte Körperstrafe ist eine, die im realen Strafrecht eine Entsprechung hat und die natürlich sagt, dass Spiel und sinnloses Treiben etwas ist, was vom Weg zu Gott wegführt, deshalb negativ und seinen Platz in der Hölle hat.
"Diese Bilder können sich nur die Reichsten leisten"
Fritz: Somit können Bilder in der theologischen Vorstellung der damaligen Zeit Medium der Glaubensvermittlung und der moralischen Belehrung sein. Bosch war schon zu Lebzeiten sehr erfolgreich, seine Bilder waren vor allem beim Adel angesagt. Wer hat seine Bilder bestellt und wo hingen Sie? Sie hatten das Beispiel des "Garten der Lüste" schon angesprochen.
Büttner: Die Bilder Boschs waren schon zu seinen Zeiten teuer. Bosch ist finanziell unabhängig, aber diese Bilder können sich nur die Reichsten leisten. Und tatsächlich ist es so, dass seine Bilder in den Sammlungen der Reichen und Mächtigen Europas zu finden sind und dass sie eben dort gesucht sind.
"Vieles führt ins menschliche Unbewusste"
Fritz: Zeitweise geriet Hieronymus Bosch mit seinem Werken in Vergessenheit, aber dann, im 19. Jahrhundert wird er wiederentdeckt. Später erschien Bosch den Künstlern der historischen Moderne, den Surrealisten und Dadaisten als einer der ihren, könnte man sagen. Was, denken Sie, macht die Werke von Bosch heute noch spannend?
Büttner: Ich glaube, dass es ganz vieles gibt, was die Werke von Bosch spannend macht - und vieles davon führt ins menschliche Unbewusste. Was die Menschen damals in Bosch finden ist, dass er das Unheimliche in einer Weise zur Darstellung bringt, die uns deshalb so unmittelbar berührt, weil sie nicht mit dem Anonymen und dem Unbekannten agiert, sondern weil sie Vertrautes und Bekanntes uns vor Augen führt, weil sie die Schmerzen der Hölle und deren Fremdheit, dieses gleichzeitig im Feuer brennen und zugefroren sein, weil sie die Schmerzen und das Leiden von Höllenqualen anschaulich macht. Diese Bildsprache ist etwas, das tatsächlich noch heute unmittelbar berührt, weil es etwas findet, was sozusagen dann von zum Beispiel Jung, auch als Ursymbol gelesen werden kann. Es ist nicht umsonst, dass Psychoanalytiker, wie Freud oder Jung oder zum Beispiel Lacan, immer wieder auch auf Hieronymus Bosch und die von ihm gefunden Bilder referieren.
Fritz: Sündiges Treiben und Höllenqualen – vor 500 Jahren starb der niederländische Renaissancemaler Hieronymus Bosch. Über Gott und Teufel in seinen Werken habe ich mit dem Kunsthistoriker Nils Büttner gesprochen. Er ist Professor für mittlere und neuere Kunstgeschichte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und hat auch ein Buch über Hieronymus Bosch geschrieben, das bei C.H. Beck erschienen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.