"Allzu viel an Aufgaben liegt noch vor uns. Aber die Freude darüber, dass es uns vergönnt ist, den großen Schritt zur Einigung Europas zu tun, der in der Unterzeichnung der Verträge liegt, dieser Freude möchte ich doch Ausdruck geben. Denn diese Freude wird von Millionen und Abermillionen unserer Völker geteilt, die in diesem Augenblick im Geiste bei uns sind."
März 1957 im Senatorenpalast in Rom: Bundeskanzler Konrad Adenauer hat gerade gemeinsam mit den Vertretern Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs die Römischen Verträge unterzeichnet. Es ist der Beginn der EWG, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. In den Römischen Verträgen wurden auch erstmals die Ziele und Aufgaben einer europäischen Agrarpolitik verankert: zum Beispiel Steigerung der Produktivität und Stärkung des Handels. In den folgenden Jahren handelten die sechs Länder dann das offizielle Regelwerk der GAP, also der gemeinsamen Agrarpolitik, aus. Diese GAP trat im Juni 1962 in Kraft - also vor 55 Jahren.
Ernährung der Bevölkerung stand im Vordergrund
"Zunächst einmal gab es ein Problem, das in ganz Europa zu lösen war, nämlich die Menschen zu ernähren nach dem Krieg, und dazu braucht man eine schlagkräftige Landwirtschaft", erklärt Peter Bleser. Der CDU-Politiker ist heute Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium:
"Und die hat man mit der Gemeinsamen Agrarpolitik auch als Bindeglied zwischen den EU-Staaten auf den Weg gebracht und mit garantierten Preisen letztlich die Produktion angereizt. () Weil damit Sicherheit für landwirtschaftliche Betriebe geschaffen wurde. Jeder wusste, mit welchen finanziellen Konsequenzen er rechnen darf."
Staatlich garantierte Preise für Milch, Getreide und Fleisch waren damals das Mittel der Wahl, um die Nahrungsproduktion schnell zu steigern und die Einkommen der Bauernfamilien zu sichern; der Erfolg war durchschlagend: Aus der Unterversorgung in den 50er-Jahren wurde schon bald eine Überproduktion. Denn egal, wieviel die Bauern ernteten oder molken, die Staaten der EWG kauften es auf. Bereits Ende der 60er-Jahre türmte sich ein Butterberg von 150.000 Tonnen auf. Die Mengen wuchsen in den folgenden 20 Jahren weiter an, Fleischüberschüsse und die sprichwörtlichen Milchseen kosteten die EWG-Staaten, zu denen inzwischen auch Großbritannien, Irland und Dänemark gehörten, viele Milliarden, die anderswo fehlten.
Preisverhandlungen wie Tarifgespräche
Weil die garantierten Preise für Milch oder Getreide weit über dem Weltmarktniveau lagen, waren die Produkte nur mit Exportsubventionen ins Ausland verkäuflich.
"Es führte dazu, dass man letztlich dann Preisverhandlungen in Brüssel führte, und in meiner Jugend habe ich das miterlebt."
Der Bauernsohn Peter Bleser aus dem Agrarministerium leitet heute selbst einen bäuerlichen Familienbetrieb.
"Man hat auf diese Preisverhandlungen geschaut wie auf Tarifverhandlungen, weil man dann seine betrieblichen Entscheidungen an diesen zu erwartenden Preisen ausrichten konnte. Alle hatten absolute Planungssicherheit. Das einzige Problem war, dass man die Menge nicht in den Griff bekommen hat."
Agrarminister verhandelten in der EU-Kommission
"Historisch wurden ja diese Preisverhandlungen dann im Agrarministerrat geführt, dort haben die Agrarminister mit der EU-Kommission jeweils um die Preise für das laufende Jahr verhandelt", erinnert sich Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands:
"Und da war es natürlich klar, dass die Landwirte versucht haben, diese Preise wollen wir auch beeinflussen und natürlich in unserem Sinne beeinflussen. Im Grunde hat der Bauernverband versucht, für seine Mitglieder das meiste rauszuholen in unterschiedlichen Mehrheitssituationen."
Bauern demonstrieren - Höfe sterben
Eine paradiesische Situation für die Bauern? Mitnichten. Trotz Planungssicherheit und der Möglichkeit, auf die Höhe der Preise einzuwirken, kam es vor jeder neuen Verhandlungsrunde zu heftigen Bauernprotesten, 1971 zum Beispiel demonstrierten im Februar 50.000 Bauern in Bonn, im März dann nochmal 100.000 in Brüssel. Die Stützpreise, wenn auch weit über Weltmarktniveau liegend, reichten offenbar für viele nicht aus. Schon damals starben Höfe, allein in den 70er-Jahren musste mehr als jeder fünfte Betrieb in der Bundesrepublik aufgeben. Und das, obwohl die Europäische Gemeinschaft in den 80er-Jahren den Löwenanteil ihres Haushalts für die Landwirtschaft ausgab. Als die EU-Kommission sich 1984 erstmals anschickte, die staatlichen Garantiepreise zu senken, war der Widerstand heftig. Der damalige deutsche Agrarminister Ignaz Kiechle von der CSU:
"Ich finde den Vorschlag der Kommission völlig unverständlich, und ich werde mich diesem Vorschlag eindeutig widersetzen. Die Kommission muss sich darauf einstellen, dass das Mitgliedsland Deutschland diese Vorschläge in dieser Form unter keinen Umständen akzeptiert."
Marktliberale Haltung setzte sich langsam durch
Die Preissenkung kam dann doch, wenn auch weniger heftig als ursprünglich geplant. Parallel dazu wurden Quoten eingeführt, zum Beispiel für Milch und Zucker, um so die Produktionsmenge zu begrenzen. Wer zu viel produzierte, musste Strafen zahlen. Aber Planwirtschaft funktioniere einfach nicht, betont der Christdemokrat Peter Bleser:
"Letztlich ist das System gescheitert, weil Staat nie Markt beherrschen kann. Betriebe, die wachsen wollten, mussten Quotenrechte kaufen, Milchproduktionsrechte kaufen, was natürlich auch wieder zur Gewinnreduzierung geführt hat.
"Sie können bestimmen, wieviel produziert wird, Sie können aber nicht bestimmen, wieviel konsumiert wird."
Nur langsam setzte sich diese marktliberale Haltung im Kreis der EG-Länder und ihrer Bauernvertreter durch.
Druck durch die Globalisierung
Dass Europa seine staatlich geförderten Lagerprodukte mit Exportsubventionen auf den Weltmarkt loszuwerden versuchte, galt nach den Regeln des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT als Wettbewerbsverzerrung. Nachfolgeorganisation für das Handelsabkommen war dann ab Mitte der 90er-Jahre die Welthandelsorganisation WTO:
"Die WTO-Verhandlungen haben ergeben, dass wir unseren Außenschutz reduzieren müssen, unsere Zölle, die für den Import von Lebensmittel erhoben wurden, zurückzufahren oder ganz abzuschaffen", sagt Peter Bleser. "Und damit war eine neue Marktsituation gegeben. Das musste innerstaatlich durch eine andere Agrarpolitik aufgefangen werden."
"Der politische Druck kam von der Globalisierung, vom Welthandelsabkommen", ergänzt Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband. "Europa wollte sich bereit machen, hat sich auch bereit gemacht, wettbewerbsfähig, anschlussfähig an den Weltmarkt zu sein."
Wende kam 1992
1992 markierte die sogenannte Mac-Sharry-Reform einen Wendepunkt in der Geschichte der GAP. Die Europäische Gemeinschaft begann, die Stützpreise zurückzufahren und Flächenstilllegungen zu fördern. Sie gewährte erstmals Direktzahlungen, also direkte Subventionen an die Bauern, unabhängig davon, was sie produzierten. Dieser Prozess war zur Jahrtausendwende noch lange nicht abgeschlossen:
"Es gibt da und dort natürlich noch den Anreiz, wenn ich für jede erzeugte Menge mehr Förderung bekomme, auch mehr zu produzieren. Und diesen Anreiz wollen wir wegnehmen", sagte zehn Jahre später, im Jahr 2002, der damalige EU-Agrar-Kommissar Franz Fischler: "Dann werden wir besser ausgeglichene Märkte haben, und dann werden auch die Bauern vernünftige Preise bekommen."
Direktzahlungen an die Bauern
Fischler war einer der Architekten der Agenda 2000, einem Reformpaket, mit dem sich die EU auf die Osterweiterung vorbereitete. Zur Agenda 2000 gehörten auch weitere Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP, die künftig Gelder für zehn neue Beitrittsländer ausschütten sollte. Auch deshalb wurden die staatlichen Garantiepreise weiter abgeschmolzen.
Schließlich plante die EU-Kommission, ab 2003 in die vollständige Entkoppelung von der Produktion einzusteigen. Das bedeutet: Statt die anfallende Menge an Milch, Fleisch oder Getreide zu bezahlen, wollte man nach und nach auf eine Art staatliches Gehalt für die Bauern umschwenken. Die Höhe dieser Direktzahlungen bemaß sich an der Fläche, die ein Bauer bewirtschaftete.
Widerstand aus Frankreich
Der heftigste Widerstand gegen diese Entkopplung kam aus Frankreich. Die Franzosen mit ihren weltberühmten Käsesorten und Weinen pflegen traditionell ein besonders enges Verhältnis zur Landwirtschaft. Sie sind außerdem der größte Agrarexporteur der EU vor Deutschland. Paris fördert bewusst auch kleine Milchvieh-, Schaf- und Ziegenhalter. Vor der geplanten Reform ging bei diesen Bauern die Angst um:
"Was ich anmelde für die Steuererklärung, 100.000 Franc. In diesem Nettogewinn stecken 105.000 EU-Förderung, das heißt, wenn jetzt keine EU-Förderung mehr von Brüssel oder dem französischen Staat kommt, mein Nettogewinn geht um 105.000 runter, und mein Nettogewinn ist minus 5000", rechnet dieser Milchbauer aus Lothringen vor.
Frankreich erhält inzwischen pro Jahr Agrarprämien von etwas mehr als neun Milliarden Euro – so viel wie kein anderes Land, für Deutschland beträgt die Summe gut sechs Milliarden Euro. Trotzdem sind die französischen Nachbarn Nettozahler in den Haushalt der EU, also sie zahlen mehr Geld in den Topf ein, als sie wieder rausbekommen - genau wie Deutschland auch.
Deckelung der Agrarausgaben durchgesetzt
Die Bundesrepublik ist aber mit Abstand der größte Nettozahler in der EU. Und das war vor fünfzehn Jahren nicht anders. Damit die Agrarausgaben den deutschen Haushalt nicht über die Maßen belasten, versuchte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in zähen Verhandlungen mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac, hier etwas zu ändern.
Im Oktober 2002 verkündete er:
"Ich denke, wir sind am Vorabend, was Europa angeht, einer wahrlich historischen Entscheidung!"
Aber er hatte sich zu früh gefreut. Denn mit den zuvor unterschriebenen Verträgen zur Agenda 2000 hatte der Bundeskanzler in Berlin das deutsch-französische Ungleichgewicht bei den Agrarzahlungen bestätigt. Premierminister Jean-Pierre Raffarin richtete sich in seiner Regierungserklärung 2002 mit diesen Worten an die Bundesrepublik:
"Die Regierung wird darauf achten, dass die Entscheidungen, die von den Staats- und Regierungschefs 1999 in Berlin getroffen wurden, eingehalten werden. Sie wird sich entschlossen allen Versuchen entgegenstellen, die gemeinsame Agrarpolitik bereits jetzt zu verändern."
Kürzungen im Agrarhaushalt sind zu erwarten
In monatelangen, zähen Verhandlungen rangen die Franzosen dem EU-Ministerrat erhebliche Zugeständnisse ab. Bis heute reicht das flächenmäßig größte Land Europas daher einen Teil seiner Agrarprämien gekoppelt weiter, vor allem in der Milch- und Fleischproduktion. Immerhin hat Frankreich im Gegenzug einer Deckelung der Ausgaben zugestimmt. Nach und nach konnte so der Anteil der Agrarausgaben am Haushalt der EU von bis zu 80 Prozent in den 70er-Jahren auf heute 38 Prozent gesenkt werden. Mit dem Brexit fällt künftig der Nettozahler Großbritannien weg, weitere Kürzungen im Agrarhaushalt sind zu erwarten.
"Die Grunddiskussion der Frage: Sollen Agrarmärkte mehr oder weniger auch staatlich direkt beeinflusst werden, die gab es vor zehn Jahren, die gibt es auch heute noch", kommentiert Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband das Verhalten der Franzosen.
Frankreich fördert kleinteilige Landwirtschaft
Frankreich sieht sich zwar als Freund der freien Marktwirtschaft, an den staatlichen Eingriffen und der gezielten Förderung einzelner Produkte hält es aber fest. Und bis jetzt scheint auch der neue Präsident Emmanuel Macron daran nichts ändern zu wollen.
Während also Deutschland zwischen 1980 und 2013 zwei Drittel seiner Höfe der Wettbewerbsfähigkeit geopfert hat, förderte Paris weiter seine kleinteilige Landwirtschaft. Im Vergleich zu Deutschland haben dort bis heute fast doppelt so viele Betriebe überlebt, und gemessen an der Bevölkerung arbeiten fast dreimal so viele Menschen in der Landwirtschaft. Hilfreich für den Flächenstaat Frankreich war dabei auch, dass sich die Höhe der Direktzahlungen an den bewirtschafteten Flächen bemisst.
Anders als das marktkritische Nachbarland versprach sich die deutsche Agrarministerin Renate Künast von den Grünen 2002 positive Impulse von der Entkopplung:
"Es hat einen guten Ansatz darin, Geld umzuschichten, in Maßnahmen für den ländlichen Raum, das meint die guten Leistungen, die die Landwirtschaft bringt, zum Beispiel Agrarumwelt. Das ist ja die Basis für Artenvielfalt in Deutschland, für Klima, für Boden, gutes Wasser."
Prämienzahlungen an Umweltauflagen geknüpft
Tatsächlich wurden nun die Prämienzahlungen an Umweltauflagen geknüpft, die Regeln der sogenannten Cross Compliance. Zusätzlich gab es die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik, mit der die ländliche Entwicklung und Umweltprojekte wie Blühstreifen gefördert werden.
Dass sich die Direktzahlungen an der Fläche orientieren, kritisieren die Grünen heute. Martin Häusling ist agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament: "Weil jetzt natürlich das Problem ist, dass große Betriebe generell wesentlich mehr profitieren als Kleinbetriebe, die man eigentlich schützen wollte."
Wenn Landwirte mit großen Flächen mehr Geld bekommen, erhalten sie zusätzliche Wettbewerbsvorteile gegenüber den kleineren Bauern. Weil sich mit Land gutes Geld verdienen lässt, sind Boden- und Pachtpreise enorm in die Höhe gegangen. Investoren kaufen Böden und streichen dann Subventionen in Millionenhöhe ein. Martin Häusling sieht die Franzosen als Vorbild, weil sie auch Nischenlandwirtschaft wie zum Beispiel die Schafzucht unterstützen:
"Ich würde mir wünschen, eine ausgewogene Agrarpolitik müsste bestimmte Formen der Landwirtschaft und auch bestimmte Regionen fördern, dafür könnte man die Kopplung auch nutzen".
Ökologische Aspekte gefördert
Tatsächlich wird nirgendwo in Europa der marktliberale Ansatz so konsequent verfolgt wie in Deutschland. Es ist das einzige der 28 EU-Länder, das überhaupt keine gekoppelten Zahlungen mehr leistet, den Bauern also keine Prämien für ausgewählte Produkte zahlt.
Dabei könnte es sinnvoll sein, etwa von Schafen beweidete Wiesen zu fördern, weil davon die Artenvielfalt profitiert. Insekten und auch viele Feldvogelarten beispielsweise sind mittlerweile bedroht, weil sie auf immer intensiver bewirtschafteten Äckern weder Nahrung noch Nistplätze finden. Das sollte sich mit der jüngsten Agrarreform aus dem Jahr 2014 verbessern, fünf Prozent ökologische Vorrangflächen wurden den Landwirten vorgeschrieben. Die Erfolge dieser Verpflichtung ließen sich sehen, findet CDU-Mann Peter Bleser:
"Es werden Leguminosen angebaut, die gerade auch für Insekten ganz wichtig sind, es werden Zwischenfrüchte angebaut, damit Böden nicht ohne Bewuchs daliegen im Winter."
Bürokratie hemmt Umstellungen
"Wenn Sie heute durch die Landschaft fahren, werden Sie nicht den Eindruck haben, dass das anders ist als vor fünf Jahren", hält Grünen-Sprecher Häusling dagegen: "Sie werden ganz selten eine Brache finden, selten einen Blühstreifen, diese Maßnahmen gehen in der intensiven Agrarlandschaft unter."
"Warum werden sie so wenig wahrgenommen? Stichwort Bürokratie", erklärt Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband, warum die für die Bienen so wichtigen Blühstreifen und Ackerränder häufig fehlen:
"Der Landwirt muss in der Karte auf den Meter genau einzeichnen, wo dieser Streifen liegt, wenn er sich auch nur um einen Meter vertut, kriegt er sofort Diskussionen um Abzüge, Sanktionen: der Streifen liegt ja falsch!"
Mehr Beachtung für Tierwohl
Für die nächste Agrarreform will sich der Bauernverband, ähnlich wie das Landwirtschaftsministerium, vor allem dafür einsetzen, bürokratische Hürden abzubauen. Auch um das Tierwohl soll es gehen. Gleichzeitig sollen die Erzeuger, bessere Preise erzielen, zum Beispiel bei der Milch:
"Eine ganz wichtige Diskussion ist zum Beispiel jetzt, Mindestbedingungen gegen unfaire Einkaufspraktiken des Handels. Zum Beispiel, dass der Handel seine Ware, die er bei den Molkereien ordert, innerhalb von 30 Tagen bezahlen muss und nicht nach Lust und Laune nach 60, 80, 90 Tagen."
Auch die SPD will die Position der bäuerlichen Erzeuger stärken. Sie sollen mit flexibleren Verträgen bessere Preise bei den Molkereien erzielen können. Darüber hinaus plädieren die Sozialdemokraten für eine weit radikalere Agrarreform: Statt pauschaler Direktzahlungen auf die Fläche will die SPD auf Prämien umschwenken, mit denen gesellschaftliche Leistungen honoriert werden. Schließlich finanziere der Steuerzahler die Agrargelder, er habe daher Anspruch auf einen Gegenwert, etwa beim Umwelt- oder Tierschutz.
Gesellschaftliche Debatte über Landwirtschaft
Mit der Kampagne: "Gut zur Umwelt, gesund für alle" rief Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD anlässlich der Grünen Woche zu einer gesellschaftlichen Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft auf.
"Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich bisher nicht als explizite Kapitalismuskritikerin aufgetreten bin, aber die Entscheidung eine Agrarwirtschaft zu fördern, die auf dem globalen Markt konkurrenzfähig ist, damit zum Beispiel Chinesen deutsches Fleisch kaufen, war aus meiner Sicht falsch. Rund 15 Prozent ihres Umsatzes macht die deutsche Landwirtschaft auf dem Weltmarkt, die Gewinne verteilen sich auf wenige, aber den Preis zahlen wir alle."
Mit sehr intensiv genutzten Böden, Nitrat im Grundwasser und zu vielen Pestiziden habe man die Belastungsgrenzen der Natur dauerhaft überschritten, beklagt Hendricks. Diese Kosten müssten künftig in die Produkte eingepreist werden, das fordert zum Beispiel der Rat für nachhaltige Entwicklung, der die Bundesregierung berät. Das Gremium schlägt insbesondere eine deutliche Ausdehnung der Ökoanbauflächen vor.
Grüne wollen Ökoanbau zum Goldstandard erklären
Die Grünen haben im Januar Pläne für eine Agrarwende vorgelegt. Sie ließen sich mit den Ideen von Umweltministerin und Nachhaltigkeitsrat gut vereinbaren, erklärt Häusling:
"Wir drehen das System um, wir sagen: Ökoanbau ist Goldstandard, und jeder, der weniger macht, der kriegt weniger Geld."
Ausgearbeitet hat dieses Konzept die Agrarexpertin Reinhild Benning von der Umweltorganisation Germanwatch:
"Vor uns liegt die Finanzperiode 2020 bis 2028. Und nach unseren Vorstellungen würde zunächst das meiste Geld an solche Betriebe gehen, die ihre Erzeugung umstellen wollen auf weniger Pestizide und bessere Tierschutzmaßnahmen. Und langfristig, 2028, würden Höfe, die nach wie vor nach industriellem Maßstab wirtschaften wollen und keine Umwelt- und Tierschutzleistungen erbringen wollen, auch null Euro an Agrarsubventionen erhalten."
Das wäre eine kleine Revolution, die von vielen Wissenschaftlern begrüßt würde. Nicht aber von den Marktliberalen. Auch hier zeigt sich: An der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU sind viele Akteure mit sehr verschiedenen Absichten beteiligt – von industriell arbeitenden Agrarbetrieben über Kleinbauern bis hin zu Naturschützern und Verbrauchern. Ihre Interessen auszubalancieren, wird auch in Zukunft eine schwierige Aufgabe bleiben.