Eine Zeichnung, ein Selbstporträt. Ein noch junger Mann schaut fragend aus dem Bild, mit Bart, das lange Haar unter dem Haarnetz verstaut, die eine Seite des Oberkörpers beleuchtet, eine sehnige Gestalt, nackt, selbstbewusst und ohne Scham. Die Federzeichnung auf blauem Papier stammt von Albrecht Dürer und ist mehr als 500 Jahre alt. Der Nürnberger Maler war besessen von der sichtbaren Welt, von der Wirklichkeit, wie sie sich seinem Auge unmittelbar darstellte. Um sich an den Werken der Frührenaissance und in der Darstellung der Perspektive zu schulen, reiste er mehrfach nach Italien. Im Jahr 1505 blieb er eineinhalb Jahre. Aus Venedig schrieb Albrecht Dürer an seinen Freund Willibald Pirckheimer:
"Noch schelten sie es und sagen, es sei nicht antikisch Art, darum sei es nicht gut. Aber Giovanni Bellini soll mich vor vielen Kavalieren sehr gelobt haben und ist selber zu mir gekommen, sich etwas auszusuchen, und er wollte auch etwas bezahlen."
Der Blick in den Spiegel ersetzte ihm das Modell
Geld spielt in Dürers Denken eine zentrale Rolle. Der am 21. Mai 1471 in Nürnberg geborene Albrecht Dürer hatte die Übernahme der Goldschmiedewerkstatt seines Vaters ausgeschlagen und an die Lehre als Goldschmied eine Lehre als Maler angeschlossen. Er folgte seiner Neigung, was ökonomisch zunächst ein Fehler war. Der schmale Jüngling ließ sich die Haare wachsen und porträtierte sich selbst, als Edelmann, als Patrizier oder in der Pose eines Jesus Christus. Der Blick in den Spiegel ersetzte ihm das Modell. Lebendig sollten die Figuren seiner Bildtafeln sein, und schön. Im ästhetischen Diskurs seiner Lehre der Malerei rät er künftigen Malern:
"Suche Leute aus, die als hübsch gelten"
"Um zu einem guten Maß zu kommen, um die Hübschheit in einen Theil unseres Werks zu bringen, ist es am allerdienlichsten, dass du von lebendigen Menschen dein Maß nimmst. Aber suche Leute dazu aus, die als hübsch gelten und male sie mit allem Fleiß ab."
Adam und Eva, die vier Apostel, Maria mit dem Kind: Das bislang schematisch dargestellte Personal religiöser Bilder entwickelte in den Werken Albrecht Dürers eine pulsierende Leiblichkeit. Seit seiner Jugend erforschte der talentierte Zeichner mit dem Stift die Welt. Berühmt ist das in Kohle gezeichnete Bildnis seiner greisen Mutter, die Betenden Hände, aber auch die kolorierte Studie eines Feldhasen.
Die Apokalypse in wenigen Bildern
Thomas Eser, der Dürer-Experte des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, erklärt: "Er hat sich mit höchster Konsequenz neuen Bildaufgaben gewidmet. Bildaufgaben, die im Detail schon vorhanden waren. Wenn Sie an Altargemälde denken, dann sehen Sie oft im Vordergrund Rasenstücke oder kleine Tierchen, im Hintergrund Burgen, Landschaften. Dürer erklärt diese nebensächlichen Details dann zur Hauptaufgabe seiner Kunst und schafft damit ganz revolutionäre Werkgruppen wie zum Beispiel seine Landschaftsaquarelle, seine Naturstudien."
Um sich ein finanzielles Standbein aufzubauen, bediente Albrecht Dürer die große Nachfrage nach Illustrationen religiöser Texte. Doch auch in der Druckgrafik setzte er neue Standards. In seinen Holz- und Kupferstich-Folgen komprimierte er biblische Texte wie die Apokalypse in wenigen Bildern. Neu war auch Dürers Selbstbewusstsein als Autor. Sein gesamtes Werk kennzeichnete er mit einem Signet: ein großes D für Dürer, eingestellt in ein großes A für Albrecht
Der späte Dürer - ein Schmerzensmann
1520 brach der Künstler zu einer letzten großen Reise auf, die ihn in die Niederlande führte. Ein Jahr später notierte er in seinem Tagebuch:
"Da ich vormals in Zeeland war, überkam mich eine wunderliche Krankheit, von der ich noch von keinem Mann gehört. In der dritten Woche nach Ostern stieß mich ein Fieber an mit einer großen Ohnmacht, Unlust und Kopfschmerzen. Und diese Krankheit habe ich noch."
Ein Selbstbildnis auf grün grundiertem Papier aus dieser Zeit zeigt Dürer sitzend als Schmerzensmann, nackt mit eingefallener Brust und ausweichendem Blick. Er starb am 6. April 1528 im Alter von 56 Jahren. Zuletzt widmete sich Albrecht Dürer hauptsächlich seinen theoretischen Schriften. Doch ist es sein zeichnerisches und grafisches Werk, das ihn als Künstler unsterblich machte.