Dem Dom von Florenz fehlt die krönende Kuppel, seit Jahrzehnten schon, als 1418 Filippo Brunelleschi ein spektakuläres Projekt vorlegt. Der gelernte Goldschmied und anerkannte Bildhauer verspricht, die klaffende, 45 Meter breite Lücke im Dach der Kathedrale zu schließen. Und zwar mit einer neuartigen Kuppel und ohne das übliche Stützgerüst. Diese Hilfskonstruktion besteht aus Holz – kommt also in der waldarmen Toskana teuer zu stehen. Deshalb sind die Florentiner Bauherren begierig auf technische Details. Doch Brunelleschi zögert:
"Ein kleines Modell hätte er zeigen können, wollte es aber nicht, weil er die geringe Einsicht der Obermeister, den Neid der Künstler und den Wankelmut der Bürger kannte, von denen einer diesen, ein anderer jenen begünstigte, wie es ihnen gefiel."
Das legendäre Ei des Brunelleschi
Giorgio Vasari, Künstlerbiograf der Renaissance, sieht den Architekten in der Zwickmühle: 1377 in Florenz geboren und aufgewachsen, versteht es der Sohn eines Notars recht gut, die Honoratioren seiner Heimatstadt für sich einzunehmen. Um sie jedoch vollends zu überzeugen, müsste er seine Pläne offenlegen. Damit aber wären sie auch für die Konkurrenz, die eifersüchtigen Künstlerkollegen zugänglich.
Also schlägt Brunelleschi einen Wettstreit vor: Dombaumeister soll derjenige werden, der das scheinbar Unmögliche vollbringt und ein Ei auf einem Marmortisch aufstellt. Alle Künstler scheitern. Als letzter tritt Brunelleschi an, berichtet Vasari:
"Er nahm das Ei zierlich in die Hand, drückte die Spitze ein und stellte es aufrecht hin. Alle anderen Künstler lärmten und riefen, so hätten sie es auch gekonnt. Doch Brunelleschi erwiderte lachend: ,Ihr würdet auch wissen, wie die Kuppel zu wölben sei, wenn ihr meine Zeichnung oder das Modell gesehen hättet.‘"
Brunelleschi erhält den Auftrag – und präsentiert seinen Entwurf: Eine eiförmige Kuppel, wesentlich höher als das römische Pantheon, aus zwei Schalen, die sich gegenseitig stützen. Für zusätzliche Stabilität sorgt das Mauerwerk im Fischgrätverband. Soweit die Theorie.
Brunelleschi als Bauleiter
Bewähren muss sie sich auf der Baustelle, wo Brunelleschi in den folgenden
16 Jahren Hunderte von Handwerkern dirigiert. Maurer und Steinmetze, Zimmerleute, Schmiede, Bleigießer, Böttcher und Wasserträger laufen unter seiner Anleitung zur Höchstform auf.
16 Jahren Hunderte von Handwerkern dirigiert. Maurer und Steinmetze, Zimmerleute, Schmiede, Bleigießer, Böttcher und Wasserträger laufen unter seiner Anleitung zur Höchstform auf.
"Er selbst ging nach der Brennerei, wo die Backsteine gestrichen wurden, und suchte sie mit aller Sorgfalt selbst aus. Und er gab den Steinmetzen Modelle von Holz oder Wachs oder in der Eile nur aus Rüben geschnitten, um danach zu arbeiten."
Aus der Praxis heraus, durch genaue Beobachtung einzelner Arbeitsschritte, verbessert Brunelleschi die Bautechnik, entwickelt neuartige Kräne und Lastenaufzüge. Selbst den Details antiker Ruinen, skizziert bei einer Studienreise nach Rom, entlockt dieser Baumeister nützliches Wissen, wie Vasari berichtet:
"Er zeichnete alle Arten von Schnitten, Verkeilungen und Verzahnungen, und weil er bei allen runden Steinen auf der unteren Seite ein Loch gewahrte, entdeckte er, dass dies zu einem Eisen diente, das wir die Steinzange nennen. Er erneuerte diese Erfindung und führte ihren Gebrauch wieder ein."
Entdecker der Zentralperspektive
Nicht in der Studierstube, sondern auf Plätzen und Straßen macht Brunelleschi eine bahnbrechende Entdeckung:
"Er beschäftigte sich viel mit Perspektive, bis er eine vollkommen richtige Methode fand: ihre Ableitung vom Grundriß, Aufriß und Durchschnitt durch die Sehpyramide. Diese Zeichnungen erweckten den Geist anderer Künstler, die sich sofort diesem Studium widmeten."
Mit der Zentralperspektive markiert Brunelleschi den Beginn der Renaissance. Seinen Zeitgenossen gilt er als handwerklicher Virtuose und intelligenter Techniker mit poetischer Erfindungsgabe. Damit verkörpert Filippo Brunelleschi das humanistische Künstlerideal. Als der Architekt am 15. April 1446 stirbt, wird er unter der Kuppel, seiner Kuppel, aufgebahrt und bekommt ein Ehrengrab in der Krypta des Doms.