Archiv

60 Jahre BBC Radio 4 "Today Show"
Das Maß aller Dinge

Die BBC und die von ihr auf Radio 4 ausgestrahlte "Today"-Show gelten als Leitbilder im internationalen Journalismus. Bis zu sieben Millionen Britinnen und Briten schalten morgens zwischen sieben und neun Uhr ein, um sich zu informieren. So wie weiland Premierministerin Margaret Thatcher.

Von Friedbert Meurer |
    Das Logo der BBC.
    Seit 60 Jahren sendet "Today" auf Radio 4 der BBC (picture alliance/dpa/ EPA/ANDY RAIN)
    Ein altmodisches Piepen auf die Sekunde statt bombastischer Studiomusik: Die "Today"-Show kommt nüchtern und sachlich daher. Umso wichtiger sind die Inhalte. Selbst Premierministerin Theresa May taucht morgens hin und wieder nach acht Uhr auf, um sich von den Moderatoren der BBC grillen zu lassen.
    "Wie oft haben Sie eine Brexit-Abstimmung im Unterhaus verloren, dass Sie jetzt meinen, eine Neuwahl ausrufen zu müssen?"
    Die Antwort muss natürlich "nie" lauten.
    "Hang on a Second!"
    Nicht besser als Theresa May erging es unlängst auch Boris Johnson. Die Moderatorin setzte sich gegen den sonst so redefreudigen Außenminister durch. "Was plant denn jetzt die Regierung gegen die Diskriminierung von Schwarzen in der britischen Justiz?" - "Hm, hang on a second!"
    Die "Today Show" morgens zwischen sechs und neun Uhr auf BBC Radio 4 ist das Maß aller Dinge auf der Insel. Sieben Millionen Briten schalten regelmäßig ein. Die Sendung hat mehr politisches Gewicht als sämtliche Abendnachrichten im Fernsehen. Nicht selten wandert ein im BBC-Fernsehen berühmt gewordener Journalist zu "Today" ab, zum Beispiel vor 30 Jahren das heute 74 Jahre alte Urgestein John Humphrys.
    "Das ist ohne jeden Zweifel die wichtigste Sendung der BBC überhaupt. Unsere Aufgabe ist es zu informieren, zu erziehen und zu unterhalten."
    Geturnt wird heute nicht mehr
    In den Anfängen war "Today" noch bei Weitem nicht so politisch wie heute. Regelmäßig gab es nach sieben und nach acht Uhr Fitness-Übungen mit Eileen Fowler. Geturnt wird morgens nicht mehr, aber die Macher von "Today" binden ohne Zögern durchaus auch Themen aus dem Bereich der Unterhaltung ein.
    Das Bild zeigt die britische Schauspielerin Judi Dench 2017 auf dem Filmfestival Venedig vor einem blauen Hintergrund.
    Auch die britische Schauspielerin Judi Dench war schon bei "Today" zu Gast. (IPP / Daniele Cifala )
    Zum Beispiel mit einem Interview mit der Schauspiellegende Judi Dench und der Frage, ob Queen Victoria langsam schon ihre zweite Identität wird, so oft wie sie von ihr dargestellt wird. "Never ever!"
    Niemals, auf keinen Fall – entgegnete Dench. Immer wieder gibt es auch Außenreportagen – die BBC scheut keine Kosten und Mühen.
    Ein für Radio-Verhältnisse riesiges Team arbeitet selbst die Nacht durch, um den Sendungsplan zu aktualisieren. Der große Durchbruch gelang "Today" in den bewegten 70er- und 80er-Jahren, als Wolfgang Labuhn für die BBC arbeitete. Später ging er zum Deutschlandfunk.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher griff selbst zum Hörer, um einen Sachverhalt in der "Today Show" richtig zu stellen. (picture alliance / dpa)
    "Eines Morgens rief Premierministerin Margaret Thatcher in der laufenden Sendung des 'Today'-Programms an und beschwerte sich, dass ein Sachverhalt nicht richtig dargestellt worden sei. Da hat man Mrs. Thatcher angeboten, diese Sache selbst live on air richtigzustellen. Das tat sie dann auch und hat sich bei der Gelegenheit als treue Hörerin von Radio 4 und "Today" geoutet. Das hat dann natürlich der Sendung noch einmal mächtig Auftrieb gegeben."
    Immer up-to-date
    Die journalistische Reputation wurde immer größer. "Today" veränderte sich auch im Klangbild. Früher musste Queen's English gesprochen werden, heute nicht mehr. Der Akzent wird auch nur von einem Bruchteil der Briten gesprochen, immerhin ein Dauergast der Sendung, Jacob Rees-Mogg von den Tories, näselt aber noch.
    "Ich rede so wie mein Vater gesprochen hat und wie dessen Vater gesprochen hat. Sollte ich einmal mit einem Akzent reden, werde ich selbst das gar nicht richtig mitbekommen."
    Immer wieder einmal gerät die "Today"-Sendung der BBC ins Fadenkreuz der Politik. Sie sei zu links, schimpfen die Konservativen und heckten den leicht hinterlistigen Plan aus, den Sender zu zwingen, die Gehälter der Moderatoren zu nennen. John Humphrys verdient stolze 700.000 Euro im Jahr, Frauen wie Sarah Montague nur ein Fünftel davon.
    Krach um Moderatorenjob nach Unterhauswahl
    Auch wenn es Krach gibt, wer "Today" am Morgen nach der Unterhauswahl moderieren darf, berichten alle Zeitungen darüber.
    "Natürlich gibt es eine Rivalität zwischen uns. In unserer Branche herrscht ein scharfer Wettbewerb. Irgendwann hat man mir diesen Job angeboten, und ich sagte ja. Das wollte ich unbedingt machen."
    BBC und "Today" gelten als Leitbilder im internationalen Journalismus. Auch in Deutschland übernahm man das Konzept, Journalisten selbst ein politisches Magazin präsentieren zu lassen. Zuvor durften nur ausgebildete Sprecher ans Mikrofon. Wolfgang Labuhn erinnert sich.
    "Es gab viele Kollegen im deutschen Fernsehen und Radio, die im deutschen Dienst der BBC in den 50er- und 60er-Jahren einmal angefangen haben und die natürlich ihre Erfahrungen und Eindrücke mit nach Deutschland brachten. Jedenfalls war es nach meiner Kenntnis der Westdeutsche Rundfunk, der als erster live moderierte Informationssendungen morgens und mittags, von Redakteuren moderierte Sendungen vorstellte. Der Deutschlandfunk schloss sich dem Anfang der 70er-Jahre an."
    Immer wieder gibt es auch Kritik
    "Today" ist das Flaggschiff der stolzen BBC, die immer wieder mal um ihre Gebühreneinnahmen ringt. Beim Brexit wollte es "Today" allen recht machen. Anschließend schimpften sowohl Brexiteers als auch Remainer auf die Morgensendung der BBC. Die Schotten fühlen sich unterrepräsentiert und manchmal kommt auch der Vorwurf wieder auf, die Journalisten kämen zu oft von Elite-Schulen und –Universitäten. Am Ende schalten sie aber doch alle morgens wieder ein, wenn das berühmte "Piep" in der BBC ertönt.