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60 Jahre "Brot für die Welt"
Kampf gegen Armut und für globale Gerechtigkeit

Wirtschaftswunder in Deutschland – Hungersnöte in anderen Ländern: In den 50er-Jahren mahnten Christen, den neu erworbenen Wohlstand mit den Armen zu teilen. 1959 eröffnete die evangelische Kirche die Spendenaktion „Brot für die Welt“, die es bis heute gibt - mit erweiterten Zielen.

    Eine Spendenbüchse der Hilfsorganisation "Brot für die Welt", fotografiert auf einer Pressekonferenz am 25. November 2004, in Stuttgart. Unter dem Motto "Es ist genug für alle da" startet die Hilfsorganisation "Brot für die Welt" am ersten Advent ihre 51. Spendenaktion.
    Das Hilfswerk Brot für die Welt ist inzwischen ein Global Player in der Entwicklungshilfe geworden (dpa / picture alliance / AP)
    "Zu einer Spendenaktion für die hungernde Bevölkerung in den unterentwickelten Ländern hat jetzt die evangelische Kirche aufgerufen. Am Sonnabend nahmen etwa 14.000 Berliner an einer Kundgebung in der Deutschlandhalle teil, die unter dem Motto ‚Brot für die Welt‘ stand."
    Zentraler Redner der Auftaktveranstaltung am 12. Dezember 1959 war Helmut Gollwitzer. Der Theologe erwähnte die Hungersnot in Indien, wegen der die Kirche die Aktion gestartet hatte, nur am Rande. Er erinnerte vor allem daran, dass viele Deutsche bis vor wenigen Jahren selbst gehungert hatten und ihren neu erworbenen Wohlstand nun auch teilen müssten.
    "Wer den Notleidenden nur das Evangelium bringt und nicht zugleich tätige Hilfe aus dem eigenen Opfer, der macht aus dem Evangelium fromme Sprüche."
    Almosen – aber auch Hilfe zur Selbsthilfe als Ziel
    Leitbild der Aktion war in den ersten Jahren die sogenannte Hungerhand des Berliner Künstlers Rudi Wagner, eine emporgereckte schwarze Hand, die zu rufen schien: Ich habe Hunger! Innerhalb weniger Wochen wurden 19 Millionen Mark gesammelt, was dazu führte, dass aus der Aktion eine dauerhafte Einrichtung wurde. Doch so eindrücklich das Plakatmotiv auch war, der Anspruch der Hilfsorganisation war eigentlich ein anderer, so der Leiter der Abteilung Politik bei "Brot für die Welt" Klaus Seitz.
    "Dass wir einem Mangel abhelfen, indem wir etwas transferieren: Reichtum, Know-how oder gar Nahrungsmittel, das war ja fast nie der Fall in der Geschichte von ‚Brot für die Welt‘, sondern unsere Arbeit bestand von Anfang an darin, Partnerorganisationen im Süden darin zu unterstützen, dass sie mit ihren Zielgruppen eine selbsttragende Entwicklung ermöglichen."
    Hilfe zur Selbsthilfe statt Almosen. Dieser Grundgedanke stand schon immer im Hintergrund, doch erst die Studentenbewegung politisierte die Organisation.
    Mitverantwortung der Weltwirtschaft
    Die 68er kritisierten die kirchlichen Hilfswerke – "Brot für die Welt" ebenso wie das ein Jahr früher gegründete katholische Pendant "Misereor" - als rein karitativ und paternalistisch. Ein Vorwurf, mit dem sich auch die Vollversammlung des Weltkirchenrates 1968 auseinandersetzte. In Folge des Treffens im schwedischen Uppsala änderte sich der Anspruch von "Brot für die Welt". Das Ziel, den Hunger zu besiegen, blieb zwar, doch wichtiger wurde ein anderes: Gerechtigkeit für alle! Und das hieß auch: die Verteilung von Armut und Reichtum auf der Welt in Frage zu stellen. So lautete das Motto der Spendenkampagne Anfang der 80er-Jahre: Hunger durch Überfluss. Punkt.
    "Da trat zum ersten Mal der Zusammenhang in den Vordergrund zwischen unserem eigenen Verhalten, unserer eigenen Agrarpolitik und dem Hunger weltweit. Das hat zu solcher Empörung geführt, vor allen Dingen seitens der deutschen Bauernverbände und der Lebensmittel- und Nahrungsmittelindustrie, dass es große Wellen in den Kirchen geschlagen hat, und wir waren dann gezwungen, dieses Plakat einzustampfen und es neu zu drucken mit einem Fragezeichen dahinter."
    Global Player in der Entwicklungshilfe
    Cornelia Füllkrug-Weitzel ist seit fast 20 Jahren Präsidentin bei "Brot für die Welt". Unter ihrer Führung ist aus dem Hilfswerk ein Global Player in der Entwicklungshilfe geworden. Gemeinsam mit seinen Partnerorganisationen bekämpft "Brot für die Welt" Kinderarbeit ebenso wie ungerechte Handelsbeziehungen. Das Geld dafür, im letzten Jahr waren es über 300 Millionen Euro, stammt nur noch zu 20 Prozent aus Spenden, über die Hälfte der Einnahmen sind Bundesmittel. An der Unabhängigkeit der Organisation habe das nichts geändert, betont Klaus Seitz, wenn beispielsweise die Verkehrspolitik der Bundesregierung mit dem Klimawandel kollidiere, dann werde das auch gesagt.
    "Auch hier ist es für uns recht selbstverständlich, dass wir ganz deutlich sagen, so kann es nicht weitergehen mit dem Automobilverkehr, mit dem motorisierten Individualverkehr in Deutschland, das geben die Ressourcen des Planeten nicht her. Und das hilft auch nichts, wenn wir da nur die Antriebe umstellen von Diesel- und Benzinmotoren zu E-Mobilität, das löst die Ressourcenproblematik überhaupt nicht."
    Kampf für globale Gerechtigkeit
    Auch in der Flüchtlingsfrage geht "Brot für die Welt" mit der Politik hart ins Gericht – auf Bundes- wie auf EU-Ebene.
    "Dass man Menschen auf dem Weg nach Europa absichtsvoll, nämlich zur Abschreckung, sterben lässt, ist ein humanitäres Armutszeugnis, und die EU verrät damit ihre fundamentalen Werte und Ziele, um deren Willen sie dereinst gegründet worden ist."
    "Mehr als fromme Sprüche", an diesem Anspruch seiner Gründungsväter hält "Brot für die Welt" bis heute fest. Und an der zentralen Botschaft: Globale Gerechtigkeit ist ohne Verzicht in den Industrieländern nicht möglich. Oder in den Worten Helmut Gollwitzers aus seiner Rede vor 60 Jahren: "Wir haben nur dann etwas getan, wenn es uns weh getan hat."