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60 Jahre Römische Verträge
Verbraucherrechte im Gesetzes-Pingpong

Dem Standort Brüssel wird viel Industrie-Lobbyismus nachgesagt. Wer sorgt da besser für die Rechte der EU-Bürger? Bei Fragen der Regulierung sollten die Mitgliedstaaten das letzte Wort haben, sagte Ursula Pachl vom EU-Verbraucherdachverband BEUC im Deutschlandfunk.

Ursula Pachl im Gespräch mit Jule Reimer |
    Mitglieder von Transparency International tragen Masken der früheren EU-Kommissare Viviane Reding und Karel De Gucht sowie von Ex-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
    Transparency International protestiert gegen die Wechsel von EU-Kommissaren in die Wirtschaft. (afp/THYS)
    Jule Reimer: "EU-Parlament beschließt strengere Lebensmittelkontrollen!" – "EU-Kommission droht Facebook, Twitter und Co., falls die Unternehmen ihre Nutzer nicht besser vor Betrug schützen!" – Das sind zwei aktuelle Meldungen, die alle Verbraucher in der Europäischen Union betreffen.
    Die Wurzeln der EU gehen in die 50er-Jahre zurück und die Europäer feiern am Samstag 60 Jahre Römische Verträge, die Geburtsstunde der Vorläuferorganisation, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957.
    Damals beschlossen sechs Gründerstaaten, darunter Frankreich und Deutschland, einen gemeinsamen Markt zu schaffen, in dem sich Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräfte frei bewegen konnten.
    Die Verbraucherrechte in Brüssel verteidigt der Europäische Dachverband BEUC. Ich fragte dessen stellvertretende Generaldirektorin Ursula Pachl, ob Europa aus Verbrauchersicht eine gute Idee gewesen ist.
    Gewährleistungsrechte in der EU erfolgreich ausgeweitet
    Ursula Pachl: Ja. Aus Verbrauchersicht muss man sagen, dass das durchaus die richtige Entwicklung ist, weil wir leben ja in einem Binnenmarkt. Und ein Binnenmarkt, der richtig funktionieren soll und auch die richtigen Ergebnisse für Verbraucher liefern soll, der braucht eine europäische Verbraucherpolitik. Die Verbraucherpolitik ist in den EU-Staaten seit 40 Jahren eigentlich eine Erfolgspolitik. Leider wissen das aber die wenigsten Bürger und Verbraucher in der EU.

    Reimer: Geben Sie mal ein Beispiel, wo Sie sagen, da haben wir gefeiert als Verbraucherverband.

    Pachl: Ja, da gibt es viele Beispiele. Das fängt an beim ganz klassischen Verbraucherrecht. Ein ganz gutes Beispiel sind die Gewährleistungsrechte, was macht man, wenn man ein Produkt hat, das nicht funktioniert und da gab es einen Mangel, der schon am Anfang vorhanden war.
    Da hatten wir zum Beispiel in Deutschland, in Österreich und in anderen Ländern immer nur eine sechsmonatige Frist für den Verbraucher, das geltend zu machen, und das ist dann 1999 – das war einer der großen Meilensteine – in eine Frist von zwei Jahren umgewandelt worden.
    Es gibt Rücktrittsrechte beim Online-Kauf. Es gibt ganz, ganz viele klassische Rechte, aber natürlich auch andere Bereiche, Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Flugzeugpassagierrechte, Roaming, Netzneutralität. Diese Dinge sind alle ganz wichtig für einen funktionierenden Binnenmarkt, in den die Verbraucher vertrauen können, wenn sie einkaufen.
    Das EU-Parlament als Stimme der Bürger in Brüssel
    Reimer: Andererseits wird ja Brüssel viel Industrie-Lobbyismus nachgesagt. Die Unternehmerverbände sind sehr stark. Für die sind ja mehr Rechte für die Verbraucher möglicherweise nicht immer so bequem. Wer ist verbraucherfreundlicher, das Europäische Parlament oder die EU-Kommission, die ja auch eine Art Neben-Regierung neben den Regierenden der Mitgliedsstaaten ist?
    Pachl: Das ist, glaube ich, pauschal schwer zu beantworten. Aber ich glaube, was wichtig ist, ist, dass man sich die Ergebnisse des Rechtsetzungsprozesses anschaut, und da haben wir es immer noch geschafft, für Verbraucher gute Ergebnisse zu erzielen.
    Man muss schon sagen, dass das Europäische Parlament natürlich auch die Stimme der Bürger ist in Brüssel und dass hier schon oft eine verbraucherschutzfreundlichere Lösung dann gefunden worden ist, als das ursprünglich von der Kommission vorgeschlagen wurde.
    Man muss auch sagen, dass die Mitgliedsstaaten nicht immer eine verbraucherfreundliche Position beziehen und dass das dann im gesetzgeberischen Pingpong zwischen den Institutionen schon sehr viel braucht. Aber die Resultate sprechen für sich. Ich glaube, sie sind, wenn man die Bilanz zieht, positiv.
    EU-Staaten sollten bei Regulierungsfragen das letzte Wort behalten
    Reimer: Gibt es irgendwas, wo Sie sagen, nee, da sollte sich Brüssel besser raushalten, das regeln wir aus Verbrauchersicht besser auf nationaler Ebene?
    Pachl: Es gibt ja eine eigene Kompetenz im EU-Vertrag für Verbraucherschutz. Das ist aber eine geteilte Kompetenz. Das heißt, die EU hat Kompetenzen und hat Aufgaben, aber auch die Mitgliedsstaaten, und das ist auch richtig so aus unserer Sicht.
    Gerade wenn es um den Bereich der Verbraucherinformation, der Verbrauchererziehung geht, da sollten schon die Mitgliedsstaaten weiterhin das letzte Wort und die Möglichkeiten haben, das so zu gestalten, wie das auch am besten ist, auch wenn es um Bereiche geht, wie jetzt die Behörden teilweise die Märkte regulieren, Telekom, Energiebehörden. Da glauben wir schon, dass es einfach wirklich noch Flexibilität braucht. Da muss man das Mittelmaß finden.
    Handelspolitik wird auf EU-Ebene gerade neu definiert
    Reimer: Wie stark, glauben Sie, müssen Sie als Verbraucherverband auch auf Handelspolitik gucken, wo man ja nicht auf den ersten Blick einen Zusammenhang versteht?
    Pachl: Na ja. Auf den ersten Blick, das war vielleicht früher mal so. Da war ja Handelspolitik vornehmlich eine Politik zum Abbau von Zöllen. Und ich muss sagen, dass auch die Verbraucherpolitik und wir als Verband uns sehr wenig um Handelspolitik gekümmert haben.
    Aber ich glaube, mit dem transatlantischen TTIP-Abkommen haben wir einen neuen Anfang hier auch gefunden. Handelspolitik ist inzwischen eben nicht mehr eine Politik, um technische Standards zu harmonisieren oder Zölle abzubauen, sondern hier geht es wirklich um global gesehene wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Ländern und da geht es dann wirklich um ganz große Politikbereiche, die sehr wichtig sind für Verbraucher.
    Da jetzt das TTIP-Abkommen ja ein bisschen im Kühlschrank ist, haben wir auch Zeit, Handelspolitik neu zu definieren, und das ist, was wir versuchen jetzt gerade auf EU-Ebene, auch in Zusammenarbeit mit unseren US-Kollegen zu sagen, was ist eine Handelspolitik, die auch den Verbrauchern konkrete Vorteile bringt und die auch Verbraucherschutz-Standards in wirklich guter Weise einbauen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.