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60. Jahrestag des Warschauer Aufstands

Thomas Urban geht in der Süddeutschen Zeitung auf die Rede des Bundeskanzlers zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands ein und bemerkt, dass Schröder sich zum falschen Zeitpunkt kritisch zum geplanten Zentrum gegen Vertreibungen geäußert habe, das unter anderen von Peter Glotz befürwortet wird. Urban stellt ausgerechnet in Polen Bewegung in dieser Debatte fest, die nun von den Hardlinern in beiden Ländern aufgehalten werden könnte und fährt fort: "In Wirklichkeit liegen die Ursachen für den Streit tiefer: Zunächst handelt es sich um das Problem einer großen gegenseitigen Enttäuschung, deren Vorgeschichte in der ersten polnischen Vertreibungsdebatte Mitte der neunziger Jahre zu suchen ist. Damals hatten Presse und Fernsehen erstmals ausführlich auch das Schicksal der 1945 in den Oder-Neiße-Gebieten zurückgebliebenen Deutschen dokumentiert, etwa ein Dutzend Studien erschienen dazu. Schließlich entbrannte in Polen eine heftige Debatte über diese düstere Seite der gemeinsamen Geschichte, in der das bislang allein gültige Täter-Opfer-Schema umgekehrt war. Die Befürworter der Aufarbeitung dieses Themas hofften auch, es damit zu erledigen".

Von Jochen Thies |
    Doch es kam anders, wie Urban zu berichten weiß. "Die organisierten Vertriebenen enttäuschte sie aber; sie reagierten auf zweierlei Weise. Eine kleine Gruppe gründete die Anwaltsfirma "Preußische Treuhand", das die Rückübertragungen ihres nach dem Krieg verlorenen Eigentums durchsetzen soll - und löste damit reale Ängste aus. Andere aber sahen durch die polnische Debatte das Feld dafür bereitet, gemeinsam das die Nationen trennende Thema aufzuarbeiten".

    Zu Recht stellt Urban fest, dass das Schicksal der Polen im Zweiten Weltkrieg im Kollektivgedächtnis der Deutschen bislang keinen Platz hatte, das vom Holocaust und dem Krieg mit der Sowjetunion überdeckt ist. Bezeichnend dafür die Verwechslung des Warschauer Aufstands vom August 1944 mit dem Ghetto-Aufstand vom Frühjahr 1943, die selbst einem deutschen Bundespräsidenten einstmals unterlief. Daran, so hoffen die Polen nach Schröders Rede, könnte sich nun etwas ändern.

    Margarete Wach befasst sich in der Neuen Zürcher Zeitung mit der Situation des polnischen Films, der sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet. Frau Wach stellt fest: "Gesellschaftliche Verortung bieten Dokumentarfilme, die sich mit den soziokulturellen Auswirkungen des entfesselten polnischen Kapitalismus und latenten Generationenkonflikten beschäftigen. In einem Land, wo knapp 40 Prozent der Bevölkerung unter 24 sind und davon 60 Prozent arbeitslos, ist der Druck zu wirtschaftlicher Migration enorm, wie es Leszek Dawid in seinem Debut "Bar in der Victoria Station" dokumentiert. Dass die Reintegration eines kriminellen Jugendlichen ausgerechnet durch den Sozialdienst in einer Pflegeanstalt für geistig behinderte Kinder glücken kann, stellt Jacek Blawut in dem ebenso unsentimentalen wie berührenden Film "Born Dead" (2003) unter Beweis. Den Grad politischer Desillusionierung der heutigen Mittdreißiger offenbart wiederum Maria Zmarz-Koczanowicz in ihrem Gruppenporträt "Generation 89", einer Bestandsaufnahme aus den letzten zwei Dekaden polnischer Zeitgeschichte".

    Zur generellen Situation des einst international hochgeachteten polnischen Films stellt Margarete Wach fest: "Die flächendeckende Kommerzialisierung in den neunziger Jahren ließ den Spielfilm zwischen Action-Imitaten und historischen Monumentalfilmen verdorren. Künstlerisch wertvolle Werke sind im Rahmen dieses "Lektürekinos", das nach langer Zeit wieder ein Durchschnittspublikum in die Kinosäle brachte, nicht entstanden". Das Interesse der Banken und Investoren ließ nach den ersten Flops nach, der Versuch, Produktionen nach französischem Vorbild finanzieren, scheiterte an der Parlamentslobby und am Widerstand amerikanischer Verleiher. Schließlich wurden die Kulturausgaben - auch infolge des Haushaltsdefizits - auf niedrigem Niveau eingefroren. Und vor zwei Jahren stellte dann auch noch der Staatssender TVP seine Spielfilmproduktion so gut wie ein. Margarete Wachs Fazit lautet somit: "Digitaltechnik und Selbstausbeutung - auf diesen gemeinsamen Nenner lassen sich all die "Verzweiflungstaten" junger Filmemacher bringen".

    Zum Tode des großen Fotografen Henri Cartier-Bresson schreibt Martina Meister in der Frankfurter Rundschau: "Eines Tages hatte er Simone de Beauvoir im Visier seiner Leica. Sie war einverstanden mit einer Fotosession, wollte aber wissen, wie lange es dauern würde. Henri Cartier-Bresson antwortete: "Ein wenig länger als beim Zahnarzt, ein wenig kürzer als beim Psychoanalytiker". Besser, lakonischer hätte er nicht zum Ausdruck bringen können, was seine Kunst ausmachte. Ein Porträt zu machen, so hatte er gesagt, sei wie eine Frage zu stellen. "Die Antwort kommt in dem Augenblick, da man auf den Auslöser drückt".

    Wilfried Wiegand beschreibt den Meister der Fotografie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung so: "Cartier-Bresson verkörpert alles, was Fotografie mit Malerei verbindet, und fast alles, was sie unterscheidet. Seine Fotos sind so komponiert, so elegant, so schön, wie kein Maler es besser könnte, zugleich aber frappieren sie uns durch die bedrohliche Nähe des Gegenstandes, die trancehafte Geschwindigkeit des Erfassens, das frappierend zufällige Zustandekommen der Schönheit". Wiegand fährt fort: "Mit Malerei hat das alles wenig zu tun, viel jedoch mit der Kunst des Films. Die unvermutete, wie mit einer bewegten Filmkamera im Vorübergehen festgehaltene Lebensschönheit macht seine fotografische Kunst unmittelbar verständlich und zugleich so rücksichtslos modern, dass sie zu den großen künstlerischen Leistungen des Jahrhunderts gehört. In Henri Cartier-Bresson, der am Montag im Alter von fünfundneunzig Jahren in Céreste im Südosten Frankreichs gestorben ist, verlieren wir einen der letzten Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts".

    "In diesen Tagen ist es dreißig Jahre her, dass die ersten Playmobilritter, Indianer und Bauarbeiter in den Spielzeuggeschäften auftauchten. Von dort bereiteten sie die freundlichste Übernahme der Wirtschaftsgeschichte vor", wie Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung zu berichten weiß, "schwärmten in alle deutschen Wohnungen aus, drangen durch Bodenritzen und Türspalte, vermehrten sich still und leise in Sofaritzen und Schranknischen und wuchsen so zum größten Volk der Erde heran: 1,8 Milliarden Playmobilfiguren soll es heute geben".
    Rühle schreibt weiter: "Playmobil war das erste Spielzeug, das sich der Ressourcenknappheit verdankte: Plastik, genauer, Acrylnitril-Butadien-Styro-Copolymere, damals das Lebenselixier allen Spielzeugs, wurde ebenfalls teurer. So entwickelten Horst Brandtstätter und sein Erfinder Hans Beck ihre energiesparende Figur und leiteten so die anthropozentrische Wende im Kinderzimmer ein: Playmobil stellte nicht die Technik in den Mittelpunkt, sondern ein multifunktionales Männchen".