Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gedieh in Wien eine große, blühende jüdische Gemeinde. Die Jüdinnen und Juden der Stadt waren nicht wie anderswo in einem Ghetto separiert; sie lebten zusammen mit der christlichen Mehrheitsbevölkerung innerhalb der Stadtmauern. Zwar hatte es auf dem Höhepunkt der europäischen Pestpogrome ein halbes Jahrhundert zuvor auch in Wien antijüdische Ausschreitungen gegeben, aber um das Jahr 1400 gestaltete sich der Alltag von Juden und Christen in der habsburgischen Residenzstadt weitgehend friedlich.
Mit dem Regierungsantritt Herzog Albrechts V. 1411 verschlechterte sich die Situation der jüdischen Minderheit in Wien allerdings dramatisch. Danielle Spera, die Direktorin des Jüdischen Museums Wien, weist darauf hin, dass verschwörungsmythologische Erzählungen schon damals eine wichtige Rolle spielten:
"Im Mittelalter und weit darüber hinaus – leider bis in die heutige Zeit – gab und gibt es Verschwörungstheorien. Und das war damals natürlich auch der Fall: Die Juden sind verantwortlich für die Pest, sagte man, sie sind verantwortlich für die Seuchen, man hat ihnen Hostienschändungen vorgeworfen. Es gab die abstrusesten Vorwürfe, die da ins Leben gerufen worden sind."
"Im Mittelalter und weit darüber hinaus – leider bis in die heutige Zeit – gab und gibt es Verschwörungstheorien. Und das war damals natürlich auch der Fall: Die Juden sind verantwortlich für die Pest, sagte man, sie sind verantwortlich für die Seuchen, man hat ihnen Hostienschändungen vorgeworfen. Es gab die abstrusesten Vorwürfe, die da ins Leben gerufen worden sind."
Herzog Albrecht V. brutalisierte die Judenverfolgung
Die Wiener Juden sollten angeblich auch die aufständischen Hussiten in Böhmen mit Waffen versorgen. Ein Gerücht, das durch nichts belegt war. Der streng katholische Habsburgerherzog Albrecht V. griff es dennoch gerne auf. Im Mai 1420 ließ er sämtliche Juden Wiens gefangen nehmen – mehr als 1.000 Menschen. Der ärmeren Gefangenen, etwa 800, entledigte der Herrscher mit kaltschnäuziger Brutalität, wie die Historikerin Martha Keil erläutert:
"Man hat diese 800 etwa, so wird berichtet, auf Booten ausgesetzt und die Donau abwärts getrieben. Sie wurden dort von Kaiser Sigismund aufgenommen und haben sich tatsächlich auch in Mähren und Ungarn ansiedeln können."
"Man hat diese 800 etwa, so wird berichtet, auf Booten ausgesetzt und die Donau abwärts getrieben. Sie wurden dort von Kaiser Sigismund aufgenommen und haben sich tatsächlich auch in Mähren und Ungarn ansiedeln können."
Die wohlhabenderen Jüdinnen und Juden Wiens, mehrere hundert Menschen, blieben in Haft. In den Kerkern des Habsburger-Herzogs wurden sie misshandelt und gefoltert; viele überlebten die Inhaftierung nicht. Es waren aber nicht nur antijüdische Ressentiments, die Albrecht V. zu seinen grausamen Aktivitäten motivierten, unterstreicht Danielle Spera:
"Die andere Seite ist, dass er auch Geldbedarf hatte. Er wollte Elisabeth von Luxemburg, die Tochter von Kaiser Sigismund, heiraten. Und dafür hat er Geld gebraucht. Und da wars natürlich am einfachsten, Jüdinnen und Juden zu vertreiben, zu töten und deren Vermögen zu beschlagnahmen."
Mit dem Massaker saniert Albrecht seine Finanzen
Und das setzten die habsburgischen Behörden mit gnadenloser Konsequenz in die Tat um. Die inhaftierten Juden wurden ihrer Häuser und Grundstücke und sämtlicher Habseligkeiten beraubt. Am 12. März 1421 kam es dann zu einer Massenhinrichtung auf der sogenannten Gänseweide vor den Toren der Stadt – ungefähr da, wo heute das weltbekannte Hundertwasserhaus steht: 120 jüdische Frauen und 92 jüdische Männer wurden in einem mörderischen Massenspektakel verbrannt.
Ein Massaker, mit dem Herzog Albrecht V. seine Finanzen sanierte. Einer triumphalen Hochzeit mit Königstochter Elisabeth im Stephansdom stand damit nichts mehr im Wege: Sie fand gut ein Jahr nach der Massenhinrichtung statt.
Ein Massaker, mit dem Herzog Albrecht V. seine Finanzen sanierte. Einer triumphalen Hochzeit mit Königstochter Elisabeth im Stephansdom stand damit nichts mehr im Wege: Sie fand gut ein Jahr nach der Massenhinrichtung statt.
Die "Wiener Gesera", wie das Pogrom nach dem hebräischen Wort für "Verhängnis" genannt wird, hat im Stadtbild der österreichischen Metropole bis heute Spuren hinterlassen erklärt Martha Keil:
"Die Synagoge, die dem Erdboden gleichgemacht wurde, die geschleift wurde, deren Steine wurden der Universität geschenkt – zur Gründung des neuen Fakultätsgebäudes. Da gibt's auch einen Eintrag im Universitätsarchiv, der sagt: ‚Aus den Trümmern des Alten Gesetzes wird auf wunderbare Weise ein Gebäude für die Tugenden des Neuen Gesetzes gemacht'."
"Die Synagoge, die dem Erdboden gleichgemacht wurde, die geschleift wurde, deren Steine wurden der Universität geschenkt – zur Gründung des neuen Fakultätsgebäudes. Da gibt's auch einen Eintrag im Universitätsarchiv, der sagt: ‚Aus den Trümmern des Alten Gesetzes wird auf wunderbare Weise ein Gebäude für die Tugenden des Neuen Gesetzes gemacht'."
Das jüdische Leben Wiens erlosch mit der "Gesera" für lange, lange Zeit. Erst eineinhalb Jahrhunderte später begannen Jüdinnen und Juden wieder nach Wien zurückzukehren und sich dauerhaft von neuem anzusiedeln.