Die Fotos von den Polizisten auf der Jagd nach revolutionären Studenten sind Teil jeder Fernsehdokumentation über den Widerstand gegen das Franco-Regime. Der breit angelegte Campus der Madrider Complutense-Universität war das Epizentrum der spanischen Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre. Doch für die Studenten von heute auf der Wiese liegen die revolutionären Zeiten weit zurück:
"Nein, ich weiß nicht viel davon, tut mir leid. Wie schlimm. Da oben sieht man Fotos aus dieser Zeit. Dort sind Versammlungen zu sehen. Aber mehr weiß ich auch nicht. Ich nehme an, es gab viel Repression."
"68 war hier doch nichts los. Mehr an der Sorbonne in Paris. Soweit ich das weiß."
Auch Enrique Ruano kennen die Studenten heute nicht mehr. Der damals 21-jährige Studentenführer hatte sich angeblich im Januar 1969 bei einer Hausdurchsuchung aus einem Fenster im siebten Stock gestürzt.
"Den haben sie umgebracht? Mein Gott. Ist das krass. Wie kann es sein, dass wir das nicht wissen? Das ist ja furchtbar. Na ja, jetzt erfahren wir ja davon."
Anders als unter den Studenten heute, gab es in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre kaum jemanden, der nicht wusste, was lief, erzählt Joaquín Arango. Die von ihm damals mitbegründete Studentengewerkschaft fand schnell großen Zulauf.
Angst vor V-Leuten
"Natürlich gab es Misstrauen und Angst wegen der verdeckten Polizisten unter uns. Trotzdem waren wir vor allem euphorisch. Die Bewegung wurde immer stärker. Unsere Bedeutung wuchs, und unsere Forderungen nach Demokratie wurden immer lauter."
21 Jahre war er damals alt, studierte Politik. Auch in Spanien erreichte die Bewegung an den Hochschulen und in den Fabriken 1968 ihren Höhepunkt, wie im benachbarten Frankreich. Dennoch inspirierten die Nachbarn jenseits der Pyrenäen die Spanier kaum:
"Wir belächelten die Franzosen. Was die machten, war ein Spiel. Bei uns war es ernst. Es war gefährlich. Die Forderungen der französischen Studenten erschienen uns in Ordnung, wir dachten uns aber auch: 'In Paris ist es leicht, zu demonstrieren.'"
Studenten vor dem Kriegsgericht
Joaquín Arango erzählt davon im Sitz der Ortega y Gasset-Gregorio-Maranón-Stiftung, in einem historischen Gebäude der spanischen Reformpädagogik in Madrid, wo er heute Migrationsforschungen betreibt. Ständig sei er damals verhaftet worden, erinnert er sich, während er durch das in den 1930er-Jahren im Bauhausstil errichtete Gebäude führt. Die Zahnbürste habe er immer in der Hosentasche gehabt, bereit für ein paar Nächte in einer Polizeizelle.
"Im Sommer 1968 überschätzt die Diktatur offenbar unsere Kraft", erzählt Jaime Pastor, damals Studienkollege Arangos. "Sie fürchtet, dass sich der Protest auch bei den Arbeitern ausweitet. Dass die Bewegung aus Frankreich zusätzlich befeuert werden könnte, dass es einen Generalstreik geben würde. Die Proteste kamen vor Kriegsgerichte. Damit war die tolerante Phase vorbei und es kam die Repression durch das Militär."
Damals Exil, heute Podemos
Die demokratische Studentengewerkschaft wurde zerschlagen, Pastor ging ins Exil nach Frankreich, Arango in die USA nach Berkeley. Anders als Arango, der sich später der Sozialdemokratie anschloss, blieb Pastor den marxistischen Postulaten bis heute treu, erst in einer kleinen leninistischen Partei, später bei der Antikapitalistischen Linken. Heute unterstützt er Podemos, der Partei der Bewegung der sogenannten Empörten, die er vor vier Jahren mitbegründete. Dennoch sagt der heute 71-Jährige:
"Podemos hat wenig mit 68 zu tun. Wir wollten eine Revolution. Die Bewegung der Empörten ist hingegen eine defensive Reaktion auf die Kürzungen am Sozialstaat. Wir wollten mehr als nur den Sozialstaat."
Nach Francos Tod fassten viele 68er neuen Mut, die Anführer der Studentenbewegung wollten das neue Spanien mitgestalten. Darunter auch Joaquín Arango:
"Das wollte ich nicht versäumen. Ich traf mich mit Freunden von damals, mit Joaquín Leguina zum Beispiel, der später Ministerpräsident der Region Madrid wurde. Wir wollten einen demokratischen Sozialismus. Im Laufe der Zeit besetzte die Sozialistische Arbeiterpartei den Raum der Sozialdemokratie, auch dank der internationalen Unterstützung, und es blieb nur noch die Wahl zwischen dieser Partei und der Irrelevanz. So gingen wir dorthin, auch wenn wir das durchaus kritisch sahen."
So wurde die Protestbewegung von 1968 zu einer der Keimzellen der spanischen Demokratie. Auch, wenn sich viele Spanier und viele Studenten auf dem Campus von Madrid heute nicht mehr daran erinnern.
Eine Deutschlandfunk-Produktion 2018