Die Politikerin und Buchautorin Sawsan Chebli hat jahrelange Erfahrung mit Hass im Netz. Sie berichtete auf dem Kölner Forum für Journalismuskritik, dass sie 2016 angefangen habe zu twittern. Praktisch mit dem ersten Tweet sei der Hass über sie hereingebrochen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte sie über das Wetter twittern können und sie wäre doch angegriffen worden - als Frau, als Muslimin, als Kind von Geflüchteten. Dabei seien häufig auch Bots am Werk gewesen mit dem Ziel eines orchestrierten Mundtotmachens.
Chebli betonte, der Hass gegen sie sei nicht im Netz geblieben: Sie sei mehrfach auf offener Straße angegriffen worden. Eine ihrer Kernforderungen lautet: Wir brauchen mehr Zivilcourage. Chebli forderte die Menschen dazu auf, im Netz einzuschreiten, so wie sie auch auf der Straße oder in der Bahn gegen Gewalt einschreiten würden.
Hasnain Kazim: Mit 17 kamen die ersten sieben Hass-Briefe
Der Journalist und Autor Hasnain Kazim unterstrich ebenfalls, dass es nicht nur um das Netz geht, sondern um den Hass in der Gesellschaft. Auch in Zeiten vor den Sozialen Medien hätten schon Flüchtlingsheime gebrannt. Das habe ihn als Jugendlichen geprägt und in den 1990er Jahren zu seinem ersten Text veranlasst. Daraufhin habe er als 17-Jähriger die ersten sieben Hassbriefe seines Lebens bekommen, sagte Kazim. Heute bekomme er hunderte, manchmal tausende aggressive Mails. Nie handele es sich dabei um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Argumenten, immer sei es eine Botschaft wie "Hau ab!".
Kazim findet, das Internet "wutifiziere" die Menschen. Für viele sei das Netz ein einfaches und anonymes Ventil für Wut und Frust. Kazim verlangte, die Gesellschaft müsse mehr für eine gute Diskussionskultur tun. Der angemessene, anständige Streit müsse wieder gelernt werden, am besten schon in der Schule.
Wissenschaftler Philip Sinner: Für Medienkompetenz ist lebenslanges Lernen nötig
Der Wissenschaftler Philip Sinner rief dazu auf, an die Menschen zu denken, die sich anders als Prominente nicht wehren können. Kinder und Jugendliche etwa könnten in aller Regel nicht laut zurücksprechen. Sinner berichtete aus der Forschung, dass oft Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen würden. Religion und Geschlecht seien weitere typische Merkmale für eine Aggression. Auch heute könnten Frauen in vielen Medien nicht so laut sprechen wie es Männer könnten.
Sinner verwies auf die zentrale Bedeutung der Medienkompetenz, für die allerdings ein lebenslanges Lernen nötig sei. Der Wissenschaftler betonte, jüngere Leute seien in dieser Hinsicht besser vorbereitet als häufig gedacht: In der Corona-Pandemie seien viele Ältere rasch in eigenartige Foren abgedriftet. Die Jüngeren hingegen hätten häufig medien- und quellenkritisches Verhalten gezeigt. Sinner würdigte zudem die Arbeit der "No Hate Speech"-Komitees in verschiedenen europäischen Ländern.
Roger Saha (RTL): "Hass darf sich nicht durchfressen"
Roger Saha, Redaktionsleiter des reichweitenstarken Portals rtl.de, berichtete über etwa 150 Social-Media-Kanäle, die sein Medienhaus unterhält. Jeden Tag träfen dort zwischen 30.000 und 40.000 Kommentare ein. Saha erläuterte, seine Redaktion setze auf ein mehrstufiges Verfahren, bei dem eingangs auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz komme. Alle kritischen Kommentare würden dann praktisch rund um die Uhr von Menschen geprüft. Der Anspruch von rtl.de sei: Man wolle "nichts Laufen lassen", der Hass dürfe sich nicht durchfressen. Verfolgen statt Löschen, das sei der richtige Weg.
Saha erinnerte an einen Fall, in dem eine Prominente im Netz angegriffen worden sei. RTL-Reporter hätten die Userinnen ausfindig gemacht und zwei von ihnen mit einem Kamerateam besucht. Sinner betonte, die beiden Frauen seien erschrocken gewesen, als sie ihre Kommentare noch einmal sahen. "Was, das habe ich geschrieben?" - so sei jeweils die Reaktion gewesen. Saha hob hervor, Dialog und Konfrontation seien sehr nützliche Elemente gegen den Hass, aber eben auch sehr aufwendig.