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70 Jahre Deutscher Sportbund
Ein Balanceakt zwischen Breiten- und Spitzensport

Vor 70 Jahren wurde der Deutsche Sportbund gegründet. Der Sport sollte sich damit nach dem Krieg in die neue demokratische Gesellschaftsordnung einfügen und gute Bedingungen für den Breiten- und Spitzensport schaffen. Über die Prioritäten gibt es aber bis heute Diskussionen.

Von Jessica Sturmberg |
Das Logo des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Der DOSB entstand aus einer Fusion von Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee (picture alliance / dpa-Zentralbild / Britta Pedersen)
Wofür soll der Sportdachverband in Deutschland stehen? Für einen erfolgreichen Spitzensport mit einer hohen Medaillenausbeute, die die Leistungsfähigkeit des deutschen Sportsystems darstellt? Oder soll er den Breitensport repräsentieren und für die 20 Millionen Mitglieder die besten Bedingen erstreiten?
Jedes Jahr im Dezember werden diese Fragen auf der Mitgliederversammlung verhandelt, jeweils anhand der aktuellen Probleme. Auf der Gründungsversammlung in Hannover im Dezember 1950 wurde erst einmal die grundsätzliche Frage geklärt, wofür oder - vielmehr noch - für wen der Verband da sein sollte.
Organisation gegen die Spaltung
Gründungspräsident Willi Daume erklärt ein paar Jahre später rückblickend: "Das Einigungswerk von Hannover hatte zunächst mal den Sinn, dass es im gespaltenen Deutschland auf unserer Seite eine Organisation geben sollte, bei der alle zu Hause sein konnten."
Der damalige NOK-Präsident Willi Daume beim Besuch auf dem Olympiagelände am 28.7.1971 in München.
Der damalige NOK-Präsident Willi Daume beim Besuch auf dem Olympiagelände am 28.7.1971 in München. (picture alliance / dpa)
Heute klingt das sehr viel selbstverständlicher als es 1950 war. Ein Anknüpfen an die Struktur vor der Nazizeit erschien nicht sinnvoll, da sie in weltanschauliche Gruppen zersplittert war, konfessioneller, bürgerlicher, Arbeiter- und kommunistischer Sport koexistierten und sprachen nicht mit einer Stimme. Im Nachkriegsdeutschland stellt sich der Deutsche Sportbund ganz neu auf und vereint die Sportfachverbände und die Landessportbünde unter seinem Dach.
Einen Festakt zum 50-jährigen Bestehen des Deutschen Sportbundes (DSB) begehen am 07.12.2000 im Hodlersaal des Rathauses von Hannover Funktionäre und Gründungsmitglieder. Im gleichen Saal wurde am 10. Dezember 1950 die Dachorganisation des deutschen Sports gegründet. Heute zählt der DSB fast 27 Millionen Mitglieder in 87 700 Turn- und Sportvereinen.
70 Jahre Deutscher Sportbund - "Ein Stück sozialer Kitt"
Gegründet als demokratische Dachorganisation für den westdeutschen Sport musste der Deutsche Sportbund viele Herausforderungen meistern: die Zeit des medizinischen Wettrüstens in Ost und West, die Wiedervereinigung. Der Nachfolgeverband DOSB sieht sich heute ganz anderen Aufgaben gegenüber.
Die Gründung ist zugleich der Abschluss des strukturellen Neuaufbaus von unten nach oben: Die Allierten lassen in den Jahren zuvor erst Vereine wieder zu, dann die Landesverbände. Erst dann folgt der Dachverband. In den ersten Jahren bemüht sich der DSB vor allem um das Verhältnis zur DDR und den Kontakt zu den Menschen dort.
Je mehr sich aber die Teilung auch im Sport manifestiert, desto mehr entwickelt sich ein Wettstreit der Systeme – und der DSB fokussiert sich verstärkt auf die Platzierung im Medaillenspiegel. So begleitete den Deutschen Sportbund die Kritik, sich zu sehr auf den Spitzensport und seine Bedürfnisse und zu wenig auf den Breitensport auszurichten.
"Zahl von Medaillen sagt nichts über Freiheit aus"
Medaillen aber seien nicht der richtige Maßstab für eine erfolgreiche Sportpolitik, mahnte etwa Helmut Schmidt in seiner Zeit als Bundeskanzler:
Altbundeskanzler Helmut Schmidt bei einer Tagung 2010 mit einer Zigarette in der Hand.
Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Jahr 2010 (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
"Auf der anderen Seite bin ich sicher, dass Sie genau so wissen, wie ich glaube es zu wissen, dass die Zahl von Medaillen nichts aussagt über die Freiheit in einer Gesellschaft, dass sie nichts aussagt über die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft und übrigens auch nichts über den Wohlstand einer Gesellschaft."
Aber trotz der Kritik am DSB, sich zu sehr auf die Bedürfnisse des Spitzensports auszurichten: In den 70er Jahren startet der Sportbund dann seine erfolgreichste Breitensport-Kampagne seiner Existenz.
Die Trimm-Dich mit dem Maskottchen Trimmy, die gegen die Verfettung der Menschen infolge der Wirtschaftswunderjahre, gegen die aufkommenden Zivilisationskrankheiten und die zunehmende Zahl an Herzinfarkten angehen sollte. Bewegung für alle, für die Gesundheit, aber auch für das gesellige Zusammensein.
Mit der Wiedervereinigung, einem gesamtdeutschen Team und dem Anti-Doping-Kampf rücken dann aber wieder andere Themen in den Vordergrund. Nach einigen nicht erfüllten Hoffnungen bei Olympischen Spielen wächst der Druck, NOK und DSB zum Deutschen Olympischen Sportbund DOSB zu fusionieren.
"Dringend notwendige Optimierung des Leistungssports"
Der damalige NOK-Präsident Klaus Steinbach wirbt vor der entscheidenden Abstimmung 2006 in Köln:
NOK-Präsident Klaus Steinbach
NOK-Präsident Klaus Steinbach (AP)
"Wir sind uns alle einig, dass wir eine dringend notwendige Optimierung des Leistungssports und der Leistungssportsteuerung brauchen. Dies betrifft das Verhältnis zwischen den Dachorganisationen und den Spitzenverbänden, den Olympiastützpunkten bis hin zu den Landessportbünden und dem wissenschaftlichen Verbundsystem, aber auch der Partnerschaft zur Bundesregierung."
Mit großer Mehrheit wird die Fusion beschlossen, Sportfunktionär Walter Tröger und der damalige Skiverbandspräsident Alfons Hörmann gehören zu der Minderheit, die dagegen stimmt, auch mit dem Argument, dass der Spitzensport ein noch größeres Gewicht bekommen könnte. Eine Sorge, die 14 Jahre nach der Fusion nicht ganz unbegründet erscheint, meint Sporthistoriker Lorenz Peiffer.
"Wie hoch wird der Leistungssport in Deutschland gefördert und wenn man sich dann dagegen anschaut, mit welchen geringen Beträgen letztendlich der Schulsport gefördert wird, dann sind das Diskrepanzen, über die man mal nachdenken müsste."
Zumindest fließt inzwischen wieder mehr Geld in die Sanierung von Sportstätten. Das Coronavirus stellt den DOSB aber vor eine neue Herausforderung, nämlich die Menschen zu überzeugen, ihrem Sportverein trotz pandemiebedingtem Stillstand nicht den Rücken zu kehren. Und auch langfristig müsse der DOSB die Vereine besser fördern, um weiter als sozialer Kitt innerhalb der Gesellschaft zu fungieren, mahnt Lorenz Peiffer.
"Ganz klare Position innerhalb der Gesellschaft beziehen"
"Vereine sind ein Stück sozialer Kitt innerhalb einer Gesellschaft, von dort her ist die Förderung der Vereine und der Vereinsarbeit eine ganz, ganz wichtige Angelegenheit. Der Sport hat auch, wenn er seine Ansprüche ernst nimmt, nämlich nicht zu unterscheiden zwischen arm und reich, zwischen weiß und schwarz, dann hat er auch ganz klare Positionen innerhalb dieser Gesellschaft zu beziehen. Das heißt, er muss sich aussprechen gegen Rassismus, gegen Homophobie, gegen Antisemitismus."
Da müsse der Sport ganz unmissverständlich sein, so Peiffer.