Auf jedem Pult des Werte und Normen-Kurses der 11. Klasse des beruflichen Gymnasiums in Wilhelmshaven liegt ein Grundgesetz. Inzwischen kennen die Schülerinnen und Schüler sich gut aus in diesem Buch, blättern versiert durch die Seiten, können Artikel zitieren und haben das Werk zu schätzen gelernt. Das ist eine neue Erfahrung für sie:
"Da wir alle, ich würde sagen fast noch nie so ein Buch in der Hand hatten und wir kennen alle den Begriff "Meinungsfreiheit" oder ähnliche Begriffe, aber uns damit jetzt so genau auseinander zu setzen, diese auch durch zu lesen und umzuformulieren, das hat uns alle sehr bewegt und auch informiert."
Erzählt der 19-jährige Timo. Seine Lehrerin Mareike Schulz hatte der Klasse vorgeschlagen sich an dem Projekt "Mein Grundgesetz" zu beteiligen.
"Wir haben im Kurs uns über Rechtspopulismus unterhalten und über die Vorfälle in Chemnitz und ja, dann bin ich eben auf dieses Projekt gestoßen und der Kurs ist sofort darauf eingestiegen, das ging per Mehrheitsentscheid ganz schnell, dass wir da mitmachen."
Noch nicht alle Rechte umgesetzt
Also hat jeder ein Grundgesetz bekommen, in kleinen Gruppen haben die Schülerinnen und Schüler die Artikel ausgewählt, mit denen sie sich gerne auseinander setzen wollen. Zum Beispiel:
"Artikel 3, Absatz 1. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Artikel 3, Absatz 2. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Liest die 16-jährige Merle vor. In ihrer Gruppe haben sie dann über den Absatz diskutiert, erzählt Anita und findet, dass dieser Artikel nicht immer vollständig umgesetzt wird.
"Zum Beispiel haben Frauen und Männer denselben Beruf und dieselbe Stundenanzahl, aber bekommen nicht dasselbe Gehalt."
Besonders wichtig: die Meinungsfreiheit
Eine andere Gruppe hat sich mit Artikel 5, Absatz 1, der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit beschäftigt.
"Und wir haben dort auch die Problematik mit dem Rechtspopulismus behandelt, also dass eben dort auch gewisse Blockaden sind, da man eben da Rechtspopulismus nicht einschränken kann, weil es ja so gesehen erlaubt ist, weil sie ja nur mit Anspielungen arbeiten. Das diese Linien eben sehr schwammig sind und dass es eben eine riesen Herausforderung ist den Rechtspopulismus dadurch auch zu bekämpfen."
Gleichzeitig, erzählt Kiano, sei ihnen dieser Artikel aber auch besonders wichtig geworden, schließlich herrsche nicht überall Meinungs- und Pressefreiheit.
"Zum Beispiel die Pressefreiheit in der Türkei wird auch sehr unterdrückt, da einfach alle Staatsgegner einfach eingesperrt werden können, dafür, dass sie einfach irgendwas gegen einen Staat, oder gegen eine Meinung sagen können."
Und dann gab es aber auch Dinge, die die Schülerinnen und Schüler gewundert haben:
"Also in Artikel 22, Absatz 2 steht, dass die Bundesflagge schwarz, rot, gold ist und wir haben da, ich glaube, eine Stunde lang darüber diskutiert, dass die für uns nicht gold ist, sondern gelb. Und warum es im Grundgesetz festgelegt ist, dass die Flagge schwarz, rot, gold ist und das wir das ein bisschen überflüssig irgendwo fanden."
Gesetz mit einer fast literarischen Sprache
Gemeinsam in ihren Gruppen haben sie Texte über die Artikel geschrieben, die sie sich ausgesucht haben, für den Deutschlandfunk, aber auch für ihre eigene Webseite. Hier haben sie die Texte in ihrer Sprache für andere Jugendliche umformuliert. Insgesamt sei den Schülern immer wieder die Sprache des Grundgesetzes aufgefallen, berichtet Lehrerin Schulz.
"Sie haben gesagt, dass das nicht ‚Peter ist doof‘ – Sätze sind – so haben sie das genannt und dass diese fast literarische Sprache aber trotzdem zu jedem spricht. Und wenn da solche Ergebnisse kommen, das finde ich großartig, dass man nicht nur sachlich, fachlich was lernt, sondern, dass da mehrere Kompetenzen angesprochen werden."
So hat die Klasse zum Beispiel auch über die Geschichte des Grundgesetzes gesprochen.
"Dass das Grundgesetz nichts anderes war als ein Provisorium, das nach der Zerstörung des zweiten Weltkriegs zunächst einmal ganz provisorisch das Zusammenleben regeln sollte und heute ist es für uns das Buch der Deutschen, also das Steuerungselement, das uns zusammen hält und ja diese Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes haben wir auch mit diesem Projekt besonders hervorgehoben."
Inzwischen sind die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Stoff weiter, sie sprechen jetzt im Unterricht über die Todesstrafe in Amerika. Aber auch spielt in ihren Diskussionen immer wieder das Grundgesetz eine Rolle, erzählt Kiano.
"Da wir dieses Grundgesetz brauchen, damit wir hier so leben können, wie wir grade hier leben und es ist natürlich ein guter Ansatz und eine gute Lebensorientierung, damit wir hier alle in Frieden leben können."