"Hier kamen sie auf mich zugerannt und baten mich, sie zu schützen", "
sagt Tymofij Machonjok. Der 93-Jährige steht am Lemberger "Hügel des Ruhmes", einem Ort, an dem im Zweiten Weltkrieg gefallene sowjetische Soldaten begraben sind. Es ist ein ruhiger Ort, überall sattes Grün, Stille. Ganz anders war es am 9. Mai.
Als einige Veteranen und Kommunisten an den Sieg über Hitler-Deutschland erinnern wollen, kommt es zu Ausschreitungen. Ältere Menschen werden von rechtsextremen Jugendlichen angegriffen. Rote sowjetische Fahnen werden aus Händen gerissen und mit Füßen getreten. Tymofij Machonjok ist empört.
" "Ich als Kriegsveteran verurteile diejenigen, die heute die Bevölkerung zu einem Krieg anstacheln - zu einem Krieg unter Brüdern, Russen und Ukrainern. Bei uns werden Feindseligkeiten geschürt. Ich hasse unsere Machthaber hier in Lemberg, denn ich habe im Krieg damals für andere Ideale gekämpft."
Der sowjetische Kriegsveteran meint Menschen wie Ruslan Koschelynskyj, 42, Abgeordneter des Lemberger Stadtrats und Vize-Chef der rechtspopulistischen Partei "Swoboda", die vor allem in der Westukraine ihre Hochburgen hat. Er und seine Parteikollegen waren bei den Kundgebungen am 9. Mai ebenfalls mit dabei.
"Die Lemberger werden die rote Fahne nie als ein Symbol der Befreiung ansehen. Denn sie ist ein Symbol der Unterdrückung. Praktisch jede zweite Familie hier in Galizien hat damals unter der sowjetischen Macht gelitten."
Die pro-russische Mehrheit im ukrainischen Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das die Nutzung sowjetischer Siegesfahnen ausdrücklich erlaubt. Für Koschelynskyj und seine Partei ist das ein Skandal. Auch die Mehrheit der Lemberger Bürger verurteilen die Ereignisse am 9. Mai. Über 80 Prozent sprachen in einer Umfrage von einer gezielten Provokation. Professor Jaroslaw Hryzak, Historiker an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg, spricht von einem Schachzug der derzeitigen Regierung:
"Die regierenden Politiker in Kiew sind daran interessiert, aus Galizien eine Insel des radikalen ukrainischen Nationalismus zu machen. Wenn man Galizier in den Rechtsextremismus treibt, macht man aus ihnen ein Schreckgespenst. Vor diesem Hintergrund ist es dann ein Leichtes, Wahlen zu gewinnen. Jeder gemäßigte Kandidat hat dann bessere Chancen als ein Nationalist". "
Ausschreitungen als politisches Instrument also, um das eigene Image zu pflegen? Dafür spricht auch die Ankündigung einiger Politiker, vor allem der Kommunisten aus dem Osten der Ukraine, am heutigen 22. Juni nach Lemberg kommen zu wollen, um hier Flagge zu zeigen. Im doppelten Sinne. Es könnte wieder zu Krawallen kommen, befürchtet der Historiker Hryzak.
Der Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 70 Jahren markiert eine Zäsur in der Geschichte Lembergs. Die polnische Stadt wurde erst im Herbst 1939 als Folge des Hitler-Stalin-Pakts Teil der Sowjetunion. Die Westukrainer erlebten eine Sowjetisierung im Schnelldurchlauf, die viele Opfer kostete. Ein besonders trauriges Kapitel in der Geschichte Galiziens beginnt jedoch im Juni 1941. Als deutsche Truppen anrücken, beginnen sowjetische Geheimdienste, politische Häftlinge in westukrainischen Gefängnissen zu erschießen. Tausende sterben.
In einem dreistöckigen gelben Gebäude an der ehemaligen Lonzkoho Straße in Lemberg hat man immer noch das Gefühl, Knie hoch im Blut zu stehen. Das ehemalige Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes NKWD ist heute ein Museum. Ruslan Sabilyj ist der Direktor der Gedenkstätte "Türma na Lonzkoho".
" "Zwischen dem 22. Juni und den 28. Juni 1941 wurden allein in diesem Gefängnis 1681 Menschen erschossen."
Als Anfang Juli 1941 die Nazis kommen, öffnen sie die Tore der Gefängnisse, sagt Sabilyj und zeigt auf Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden des Museums, auf denen Reihen von Leichen im Gefängnishof zu sehen sind.
"Diese Fotos haben die Deutschen gemacht, als sie nach Lemberg kamen. Sie taten es aus Propagandagründen, um zu zeigen, welche hässliche Fratze die sowjetische Macht hatte."
Die Nazis nutzen die Welle der Empörung, auch um den Zorn gegen Juden zu schüren - die damals ein Viertel der Stadtbevölkerung ausmachten. Es beginnt eine Welle der Pogrome, an denen sich auch Ukrainer beteiligen. Über dieses Kapitel der Geschichte spricht man in Lemberg bis heute ungern. Genauso wie über die Tatsache, dass ukrainische Nationalisten mit Nazis kollaboriert haben. Ganze Verbände sind im Sommer 1941 mit Hitler-Truppen einmarschiert und haben in Lemberg eine unabhängige Ukraine ausgerufen. Viele Lemberger sehen diese Menschen als Helden an. Doch im russisch geprägten Osten der Ukraine gelten die ukrainischen Nationalisten bis heute als Verbrecher. Und so holt der Zweite Weltkrieg die Ukraine immer wieder ein, sagt der Historiker Hryzak.
"Der Krieg spaltet die Ukraine. Doch die Erinnerung an die Opfer könnte das Land vereinen. Man muss nicht zählen, wer wie viele Opfer zu beklagen hat. Es geht um eine gemeinsame Tragödie, an die erinnert werden muss. Man darf den Krieg nicht feiern, man muss ihn beenden. Und das geht nur durch eine Versöhnung."
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn das ukrainische Verfassungsgericht hat vor wenigen Tagen die Entscheidung des Parlaments gekippt und das Aufhängen roter Fahnen bei offiziellen Anlässen für verfassungswidrig erklärt.
sagt Tymofij Machonjok. Der 93-Jährige steht am Lemberger "Hügel des Ruhmes", einem Ort, an dem im Zweiten Weltkrieg gefallene sowjetische Soldaten begraben sind. Es ist ein ruhiger Ort, überall sattes Grün, Stille. Ganz anders war es am 9. Mai.
Als einige Veteranen und Kommunisten an den Sieg über Hitler-Deutschland erinnern wollen, kommt es zu Ausschreitungen. Ältere Menschen werden von rechtsextremen Jugendlichen angegriffen. Rote sowjetische Fahnen werden aus Händen gerissen und mit Füßen getreten. Tymofij Machonjok ist empört.
" "Ich als Kriegsveteran verurteile diejenigen, die heute die Bevölkerung zu einem Krieg anstacheln - zu einem Krieg unter Brüdern, Russen und Ukrainern. Bei uns werden Feindseligkeiten geschürt. Ich hasse unsere Machthaber hier in Lemberg, denn ich habe im Krieg damals für andere Ideale gekämpft."
Der sowjetische Kriegsveteran meint Menschen wie Ruslan Koschelynskyj, 42, Abgeordneter des Lemberger Stadtrats und Vize-Chef der rechtspopulistischen Partei "Swoboda", die vor allem in der Westukraine ihre Hochburgen hat. Er und seine Parteikollegen waren bei den Kundgebungen am 9. Mai ebenfalls mit dabei.
"Die Lemberger werden die rote Fahne nie als ein Symbol der Befreiung ansehen. Denn sie ist ein Symbol der Unterdrückung. Praktisch jede zweite Familie hier in Galizien hat damals unter der sowjetischen Macht gelitten."
Die pro-russische Mehrheit im ukrainischen Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das die Nutzung sowjetischer Siegesfahnen ausdrücklich erlaubt. Für Koschelynskyj und seine Partei ist das ein Skandal. Auch die Mehrheit der Lemberger Bürger verurteilen die Ereignisse am 9. Mai. Über 80 Prozent sprachen in einer Umfrage von einer gezielten Provokation. Professor Jaroslaw Hryzak, Historiker an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg, spricht von einem Schachzug der derzeitigen Regierung:
"Die regierenden Politiker in Kiew sind daran interessiert, aus Galizien eine Insel des radikalen ukrainischen Nationalismus zu machen. Wenn man Galizier in den Rechtsextremismus treibt, macht man aus ihnen ein Schreckgespenst. Vor diesem Hintergrund ist es dann ein Leichtes, Wahlen zu gewinnen. Jeder gemäßigte Kandidat hat dann bessere Chancen als ein Nationalist". "
Ausschreitungen als politisches Instrument also, um das eigene Image zu pflegen? Dafür spricht auch die Ankündigung einiger Politiker, vor allem der Kommunisten aus dem Osten der Ukraine, am heutigen 22. Juni nach Lemberg kommen zu wollen, um hier Flagge zu zeigen. Im doppelten Sinne. Es könnte wieder zu Krawallen kommen, befürchtet der Historiker Hryzak.
Der Angriff Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 70 Jahren markiert eine Zäsur in der Geschichte Lembergs. Die polnische Stadt wurde erst im Herbst 1939 als Folge des Hitler-Stalin-Pakts Teil der Sowjetunion. Die Westukrainer erlebten eine Sowjetisierung im Schnelldurchlauf, die viele Opfer kostete. Ein besonders trauriges Kapitel in der Geschichte Galiziens beginnt jedoch im Juni 1941. Als deutsche Truppen anrücken, beginnen sowjetische Geheimdienste, politische Häftlinge in westukrainischen Gefängnissen zu erschießen. Tausende sterben.
In einem dreistöckigen gelben Gebäude an der ehemaligen Lonzkoho Straße in Lemberg hat man immer noch das Gefühl, Knie hoch im Blut zu stehen. Das ehemalige Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes NKWD ist heute ein Museum. Ruslan Sabilyj ist der Direktor der Gedenkstätte "Türma na Lonzkoho".
" "Zwischen dem 22. Juni und den 28. Juni 1941 wurden allein in diesem Gefängnis 1681 Menschen erschossen."
Als Anfang Juli 1941 die Nazis kommen, öffnen sie die Tore der Gefängnisse, sagt Sabilyj und zeigt auf Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden des Museums, auf denen Reihen von Leichen im Gefängnishof zu sehen sind.
"Diese Fotos haben die Deutschen gemacht, als sie nach Lemberg kamen. Sie taten es aus Propagandagründen, um zu zeigen, welche hässliche Fratze die sowjetische Macht hatte."
Die Nazis nutzen die Welle der Empörung, auch um den Zorn gegen Juden zu schüren - die damals ein Viertel der Stadtbevölkerung ausmachten. Es beginnt eine Welle der Pogrome, an denen sich auch Ukrainer beteiligen. Über dieses Kapitel der Geschichte spricht man in Lemberg bis heute ungern. Genauso wie über die Tatsache, dass ukrainische Nationalisten mit Nazis kollaboriert haben. Ganze Verbände sind im Sommer 1941 mit Hitler-Truppen einmarschiert und haben in Lemberg eine unabhängige Ukraine ausgerufen. Viele Lemberger sehen diese Menschen als Helden an. Doch im russisch geprägten Osten der Ukraine gelten die ukrainischen Nationalisten bis heute als Verbrecher. Und so holt der Zweite Weltkrieg die Ukraine immer wieder ein, sagt der Historiker Hryzak.
"Der Krieg spaltet die Ukraine. Doch die Erinnerung an die Opfer könnte das Land vereinen. Man muss nicht zählen, wer wie viele Opfer zu beklagen hat. Es geht um eine gemeinsame Tragödie, an die erinnert werden muss. Man darf den Krieg nicht feiern, man muss ihn beenden. Und das geht nur durch eine Versöhnung."
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn das ukrainische Verfassungsgericht hat vor wenigen Tagen die Entscheidung des Parlaments gekippt und das Aufhängen roter Fahnen bei offiziellen Anlässen für verfassungswidrig erklärt.