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70 Jahre VW Bulli
Zwischen Hippie-Nostalgie und Dieselskandal

Die Idee für den legendären VW Bulli wird in diesem Jahr 70 Jahre: Neben dem Käfer steht der vielseitige Transporter wie wohl kaum noch ein anderes Auto für die deutschen Wirtschaftswunderjahre und Campers Traum von der großen Freiheit. Beim internationalen Bulli-Treffen in Niedersachsen wird aber nicht nur gefeiert.

Von Dietrich Mohaupt |
    2017 feiern Fans weltweit 70 Jahre VW Bulli
    2017 feiern Fans weltweit 70 Jahre VW Bulli (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Direkt am Ufer der Weser liegt der Campingplatz Weißehütte. Gegen Mittag verteilen sich erst knapp 50 VW-Busse auf der sanft zum Fluss hin geneigten Wiese. Aber so langsam trudeln immer mehr ein – in allen Farben und Varianten, einige mit Anhängern, andere mit den obligatorischen Surfbrettern auf dem Dachgepäckträger. Nach einem kurzen Stopp bei der Anmeldung rollen die Fahrzeuge auf den Platz. Jeder sucht sich hier selbst seinen Stellplatz aus. Schnell sind die Wagen abgestellt, ein paar Handgriffe nur, dann steht die Sonnenmarkise.
    Schlafstatt blitzschnell hergerichtet
    Vor einem der Bullis ist schon der Grill in Betrieb, ein ganzes Spanferkel steckt hier auf dem Spieß. Aus Kiel sind Nicole und Michael angereist mit ihrem T3, Baujahr 1987. Die Innenausstattung des ehemaligen Bundeswehr-Bullis ist eher einfach gehalten, Luxus sucht man vergebens – aber gemütlich ist es. Bunte Vorhänge vor den Fenstern sorgen für schummriges, stimmungsvolles Licht, unter der Sitzbank ist eine kleine Kühlbox verstaut, selbst gebastelte Schränke bieten ausreichend Stauraum für den Camper-Alltagsbedarf. Und – ein ganz wesentlicher Vorteil – die Schlafstatt ist blitzschnell hergerichtet, betont Michael.
    "So – also ich denke mal, ich werde so ca. drei Minuten brauchen, dann ist das Bett gemacht! Nimm mal die beiden Taschen hinten raus … einmal die untere Matratze ziehen … hier wieder reinschieben, einmal die Bettwäsche weg, dann kommt das Bettlaken rauf – und schon legen wir uns ins Bett."
    Ganz ehrlich: Das hat keine drei Minuten gedauert … Respekt! Ziemlich stolz ist Michael auch auf das Herz des Bullis, das hinten im Heck seine Arbeit verrichtet.
    Das böse D-Wort
    "Der 50 PS Saugdiesel – also … der sieht schier aus, der ölt nicht, der leckt nicht – also, wir sind vollkommen zufrieden."
    Da war es – das böse Wort: DIESEL! Der Abgasskandal lässt den Volkswagen-Konzern einfach nicht zur Ruhe kommen. Das müssten doch harte Zeiten sein für echte VW-Bulli-Enthusiasten, oder? Von wegen. Nicole winkt ab.
    "Mich interessiert's gar nicht – ich fahre auch im Alltag einen VW, und ich denke, der ist nicht viel sauberer als unser altes Auto, also hält mich nicht davon ab, weiterhin Bulli zu fahren."
    Identitätsstiftendes Auto
    Trotz Diesel-Gate bei VW: Zwischen den echten Fan und seinen Bulli passt offensichtlich kein Blatt Papier. Klaus Peter Wiedmann, Professor für Marketing und Management an der Leibnitz Universität Hannover, hat sich mit diesem Effekt schon intensiv befasst.
    "Wir haben einige Forschung gemacht, wo beispielsweise Heritage eine ganz große Rolle spielt: Der Bulli, der uns damals 'hochgebracht' hatte - in Anführungszeichen, Wirtschaftswunder … das sind alles Dinge, die tief drin stecken!"
    Das Bulli-Fieber
    Das Bulli-Fieber hat auch Volker aus Köln erwischt. Seit 1973 ist er infiziert, mit seinem T3 ist er gerade mal wieder auf großer Tour durch Deutschland unterwegs. Seit vier Wochen schon geht es von einem Bulli-Treffen zum nächsten. Für ihn gilt: "Wo mein Bulli steht, da bin ich zu Hause in dem Moment – bis es weiter geht."
    Volker hat sich auf dem Campingplatz an der Weser mit der Familie seiner Tochter getroffen, die – wer hätte es gedacht – ebenfalls mit einem Bulli angereist ist. "Ja, meine Tochter ist ja von klein auf mit dem Bulli-Virus infiziert, die ist quasi im Bulli groß geworden und hat dann ihren Mann angesteckt und jetzt die Kinder auch – also, das bleibt in der Familie und wird weiter gegeben!"
    Geist der Flower-Power-Zeit
    Auf dem idyllischen Campingplatz ist tatsächlich ein bisschen was vom Geist der guten, alten Flower-Power-Zeit zu spüren. Die meisten Bullis hier stammen zwar aus den 1980er- und 1990er-Jahren, hinter den Lenkrädern sitzen auch keine in Ehren ergrauten Alt-Hippies. Aber an vielen VW-Bussen kleben jede Menge bunte "Peace not war"-Sticker. In so manch einer Windschutzscheibe baumelt ein indianischer Traumfänger, andere haben den Innenraum mit Batik-Tüchern und bunten Stofftieren ausstaffiert.
    Das Bulli-Treffen ist kein Hippie-Lager in Southern California … aber auf dem ganzen Campingplatz herrscht eine sehr familiäre Atmosphäre und neben zahllosen Benzin-Gesprächen und Technik-Klönschnack ist immer auch ein bisschen Zeit von Freiheit und Abenteuer zu träumen.
    "Freiheit … das ist ganz klar, steht an erster Stelle! / Also, ich wollte schon immer einen Bulli haben – es entschleunigt einfach im Alltag / Meinen Bulli habe ich seit 28 Jahren – das VW-Bus-Fieber habe ich seit 1973, das wird man nicht mehr los! / Das ist ein Stück Deutschland – Bulli fahren kann man eigentlich ... es ist ein Gefühl. Bulli fahren ist wahre Liebe!"
    Tief in den Genen der Deutschen verankert
    Nach 70 Jahren ist die Zuneigung zum VW-Bulli offenbar tatsächlich auf dem besten Weg, sich tief in den Genen der Deutschen zu verankern. Die VW-Werbestrategen dürften 1959 davon nicht einmal zu träumen gewagt haben – für sie war der Bulli damals einfach nur …
    "… wirtschaftlich, robust, immer einsatzbereit – ein echter VW!"