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70 Jahre WHO
"Ohne Gesundheit kann es keinen Frieden geben"

Vor 70 Jahren wurde die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegründet. Ihr Ziel: Das Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung zu verwirklichen. Erfolge beim Kampf gegen Infektionskrankheiten prägen ihre Geschichte. Heute ist ihre Arbeit vor allem aus finanziellen Gründen gefährdet.

Von Joachim Budde |
    Das Gebäude der WHO in Genf.
    Sitz der Weltgesundheitsorganisation in Genf. (dpa/pa/epa Keystone Di Nolfi)
    Wenn es um die Erfolge der Weltgesundheitsorganisation WHO geht, ist egal, wen man fragt – die Antwort ist immer dieselbe. Auch bei Mareike Haase, Gesundheitsexpertin bei Brot für die Welt:
    "Wenn man jetzt mal auf die Anfänge der WHO blickt, war sicher einer der wesentlichen Erfolge die Ausrottung der Pocken in den 60er- und 70er-Jahren."
    Noch Ende der 60er-Jahre töteten die Pocken jedes Jahr 2,7 Millionen Menschen. Die Krankheit steht exemplarisch dafür, dass die WHO am meisten Aufsehen damit erregt, dass sie Infektionskrankheiten bekämpft: Tuberkulose, Malaria, HIV/AIDS, Grippe, Kinderlähmung, Ebola oder Zika – um nur ein paar zu nennen. Doch schon von Anfang an stand Gesundheit als Menschenrecht als großes Ziel dieser Unterorganisation der Vereinten Nationen fest. So steht es ganz vorn in der Verfassung der WHO, die am 7. April 1948 offiziell in Kraft trat. So sei es noch heute, sagt Bernhard Schwartländer. Er leitet in der WHO-Zentrale in Genf den Stab des Generaldirektors:
    "Ohne Gesundheit kann es keinen Frieden geben. Ohne Gesundheit kann es keine nachhaltige Entwicklung geben. Das ist undenkbar. Ohne Gesundheit kann man nicht glücklich sein."
    Gesundheit als Menschenrecht
    Robert Yates findet schon die Tatsache bemerkenswert, dass die WHO überhaupt gegründet wurde. Er ist Experte für Gesundheitsökonomie der Denkfabrik Chatham House, dem Royal Institute of International Affairs in London.

    "Gerade noch hatten sich die Menschen im Zweiten Weltkrieg gegenseitig umgebracht. Und jetzt verfolgten sie die Idee, dass jeder ein Recht auf Gesundheitsversorgung habe – das waren kühne Forderungen."
    Kühne Forderungen, die bis heute nicht erfüllt sind. Auch weitere spektakuläre Erfolge sind rar. Kaum jemand würdigt die Organisation dafür, dass sie zum Beispiel eine völkerrechtlich verbindliche Rahmenrichtlinie geschaffen hat, die Menschen vor den Gefahren des Tabaks schützt. Oder eine Liste mit unentbehrlichen Medikamenten aufgestellt hat, die es auch Menschen in armen Ländern ermöglicht, zu erschwinglichen Preisen zum Beispiel an hochwirksame Medikamente gegen das AIDS-Virus HIV zu gelangen.
    Gavin Yamey leitet an der Duke University in Durham im US-Bundesstaat North Carolina das Center for Policy Impact in Global Health. Er lobt noch unscheinbarere Leistungen:
    "Diese unbesungenen kleinen alltäglichen Heldentaten der WHO. Und zwar, dass sie als die herausragende internationale Gesundheitsagentur wissenschaftliche und technische Leitlinien für alle Länder bereitstellt. Das kommt nicht in die Schlagzeilen, aber es ist unersetzlich für die Erfolge der globalen Gesundheit und rettet Leben."
    Bei allem Lob ist Gavin Yamey aber auch deutlich, wenn man ihn nach Misserfolgen fragt. Bei der Schweinegrippe beispielsweise warfen viele Beobachter der damaligen Generaldirektorin Margaret Chan Alarmismus vor. Sie habe den Impfherstellern in die Tasche gespielt. Die WHO hatte empfohlen große Mengen Impfstoff vorzuhalten. Die Epidemie blieb jedoch mild.
    Ebola-Epidemie: Aus der Krise gelernt
    Das jüngste und prominenteste Negativbeispiel aber hat 11.000 Menschen das Leben gekostet:
    "Es hat viele Berichte gegeben, dass die WHO während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika am Steuer eingeschlafen ist. Diese Kritik ist wirklich berechtigt."
    Bei dieser Epidemie zeigte sich wie in einem Brennglas, wo es bei der WHO haperte. Angelegt hatten die Mitgliedsstaaten das Problem schon im Jahr 2011 in der Weltgesundheitsversammlung. Es herrschte die Finanzkrise, darum kürzten die Staaten das Budget um 13 Prozent. Die WHO strich daraufhin ihrerseits die Mittel der Abteilung für globale Gesundheitssicherheit und die Notfallreserven zusammen. Als dann im März 2014 deutlich wurde, dass in Westafrika eine Epidemie des Ebolafiebers grassierte, dauerte es noch bis August, ehe die WHO den Internationalen Gesundheitsnotstand ausrief. Bernhard Schwartländer, der Stabschef der WHO blickt zurück:
    "Wir haben da sehr viel gelernt. Einen Teil dieser Lektionen mussten wir auch sehr hart lernen. Denn das Riesenproblem das wir mit der großen Ebola-Epidemie hatten, war natürlich ein Umbruchspunkt."
    Inzwischen hat die WHO ihre interne Kommunikation verbessert, hat Abläufe gestrafft und ein zentrales Lagezentrum eingerichtet, das sämtliche schweren Krankheitsfälle auf der Erde in kürzester Zeit bewertet. Für Notfälle gibt es einen speziellen Fonds.
    "Wir können also sofort Spezialisten einfliegen und müssen nicht irgendwo Geld suchen. Das ist eine ganz neue Struktur, die erlaubt, eben praktisch diese Arbeit viel effektiver zu leisten. Und ich denke, wir sind heute sehr, sehr viel besser aufgestellt."
    "Es ist ermutigend von Bernhard zu hören, dass die WHO besser vorbereitet ist", sagt Gavin Yamey. "Aber der Weg zu einem globalen Gesundheitssystem, das wirklich bereit ist für den nächsten Ausbruch, ist noch lang. Die WHO hat zweifellos Lehren gezogen. Wer aber denkt, das internationale Gesundheitssystem sei auf eine große Pandemie vorbereitet, ist völlig verblendet."
    Unsichere Finanzierung
    Gerade an dem Notfallfonds zeige sich, wie halbherzig die Mitgliedsstaaten seien:
    "Die WHO hat um nur 100 Millionen Dollar für diesen Notfallfonds gebeten. Ich schaue gerade auf der Website nach: Nicht einmal die Hälfte ist zusammengekommen. Das ist armselig! Wenn die Weltgemeinschaft nicht einmal nach einer Krise wie Ebola eine so winzige Summe aufbringen kann – was machen wir hier eigentlich?"
    Mareike Haase, die Gesundheitsexpertin von Brot für die Welt, ist der Ansicht, dass die Mitgliedsstaaten ein sehr ambivalentes Verhältnis zur WHO haben.
    "Es ist schon irritierend zu sehen, dass es zum einen riesige Anforderungen gibt, was die WHO leisten sollte, und dann aber auf der anderen Seite die Mitgliedsstaaten nicht gewillt sind, einen Beitrag dazu zu leisten. Also ich glaube, die WHO wird vielfach mehr als Dienstleistungsorganisationen wahrgenommen und viel zu wenig als Organisation, die ja durch die Mitgliedsstaaten besteht."
    Dabei ist das Budget der WHO verhältnismäßig klein.
    "Die haben ein Zweijahresbudget von ungefähr 4,5 Milliarden US-Dollar, das entspricht einem größeren westeuropäischen Krankenhaus."
    Das meiste Geld geben übrigens die USA für die WHO. Direkt dahinter liegt eine philanthropische Stiftung, die Bill-and-Melinda-Gates-Foundation. Deutschland kommt an fünfter Stelle.
    Brot für die Welt, die Entwicklungsorganisation der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat erst 2017 in einer Studie kritisch Bilanz gezogen. Viele Mitgliedsstaaten, heißt es darin, bemängelten einerseits, die WHO sei ineffizient. Andererseits machten sie finanzielle Zusagen davon abhängig, dass die WHO ihre Effizienz steigere.
    "Das ist natürlich ein Teufelskreis", sagt Mareike Haase.
    Auch reiche Länder profitieren
    Dabei nutze die WHO all ihren Mitgliedern. Das mag bei den ärmeren Ländern, die mehr unter Infektionskrankheiten zu leiden haben, sichtbarer sein. Aber auch reiche Länder profitieren. Schließlich hätten die Vereinten Nationen erst vor drei Jahren in ihren Zielen für eine nachhaltige Entwicklung festgehalten, "dass wir alle Entwicklungsländer sind und alle noch viel aufzuholen haben."
    Darum nutze die WHO auch Deutschland. Mareike Haase nennt ganz konkrete Beispiele:
    "Wir haben eine starke Zweiklassenmedizin, die ganz starke Privatisierung, die oftmals – nicht immer, aber auch – zu einer Verschlechterung der Qualität der Gesundheitsversorgung führt. Wir haben auch hier keine flächendeckende Gesundheitsversorgung, zum Beispiel, dass Geflüchtete oftmals ausgeschlossen sind, also das sind ja auch alles Aspekte, gegen die die WHO arbeiten sollte und auch vielfach arbeitet. Insofern profitieren wir, denke ich, auch hier sehr stark davon."
    Die WHO versuche, das deutlich zu machen, sagt Bernhard Schwartländer, der Stabschef des Generalsekretärs:
    "Da kann man immer noch mehr leisten. Aber wir sind im Moment recht zuversichtlich, dass wir uns auch besser darstellen, aber auch effektiver arbeiten und zielgerichtet arbeiten, sehr effizient arbeiten, dass wir die Mittel erreichen können, die wir brauchen, um unsere Arbeit, unseren Teil zu leisten."
    Für Robert Yates vom Chatham House eine schwierige Aufgabe:
    "Häufig sind die Wünsche der Mitgliedsländer zu einem Thema sehr unterschiedlich. Und die arme WHO muss versuchen, alle glücklich zu machen – immer im Bewusstsein, dass davon ihr Budget abhängt. Das ist also ein phänomenal schwieriger Job, und mir tun die Generaldirektoren der WHO wirklich leid."
    Gavin Yamey, der Experte für globale Gesundheit von der Duke University, findet, die WHO müsse ihren Nutzen stärker herausstellen:
    "Ich mag Wirtschaftsterminologie nicht unbedingt, wenn es um Gesundheit geht. Aber die WHO muss zeigen, welch außerordentlichen Ertrag sie erwirtschaftet, wenn man in sie investiert. Den gesundheitlichen, sozialen und ja auch wirtschaftlichen Ertrag. Sie muss das zeigen und die Mitgliedsstaaten müssen nachlegen. Wir alle sind dafür verantwortlich, nicht wahr? Die WHO besteht aus den Mitgliedsstaaten. Aus uns. Und dennoch hungern wir sie aus."