Weltpolitische Nachrichten wie die vom US-Ausstieg aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran erreichen auch die 71. Filmfestspiele von Cannes. Doch steckt das Festival unter einer Art Käseglocke: mit seinen ganz eigenen Themen und seiner Selbstbezogenheit. Der iranische Regisseur Asghar Farhadi hat also die Ereignisse um das Nuklearabkommen nur ganz sachte angedeutet und war weit davon entfernt, sie zu kommentieren.
Dafür hat er aber die Chance genutzt, zur internationalen Presse zu sprechen, um auf das besondere Schicksal seines Landsmannes Jafar Panahi aufmerksam zu machen. Panahi ist mit seinem Film "Three Faces" auch zum Wettbewerb nach Cannes geladen. Ob er aber trotz Berufs- und Reiseverbots nach Frankreich kommen darf, ist äuβerst fraglich. Asghar Farhadi erklärte, Panahi und er hofften immer noch auf grünes Licht. Es falle ihm sehr schwer zu akzeptieren, dass er hier sein dürfe und Panahi womöglich nicht. Dabei gehe es nicht ums Reisen, sondern darum, dass es für einen Regisseur wichtig sei, die Premiere seines neuen Films selbst mitzuerleben. Eine wohlüberlegte Solidaritätsbekundung für Panahi, die Farhadi wohl keinen Ärger mit Teheran einbringen wird, weil er sie so sachte vorgetragen hat.
Der typische Wahnsinn bei Familientreffen
Zur Eröffnung wurde Farhadis Film "Everybody knows" gezeigt. Farhadi selbst nennt den Film eine spanische Geschichte mit einer iranischen Seele. Der Plot, die Schauspieler, die Sprache und der Drehort sind spanisch, nur das Drehbuch und die Regie kommen mit Asghar Fargadi aus dem Iran.
Der Film erzählt von einer Spanierin gespielt von Penelope Cruz, die seit langem in Argentinien lebt, aber mit ihren Kindern zurück in ihr Heimatdorf fährt - zur Hochzeit ihrer kleinen Schwester. Die weitverzweigte Familie wird vorgestellt mit all ihren Liebenswürdigkeiten, Macken und Animositäten - der typische Wahnsinn bei solch einem Familientreffen. Doch dann, am Abend der Feier, wird die Tochter dieser spanischen Argentinierin entführt. Und weil die Kidnapper darauf bestehen, dass die Polizei nicht eingeschaltet wird, macht sich die Familie selbst auf die Suche.
Es entspinnt sich ein Netz an Verdächtigungen, so eng gestrickt, dass am Ende keiner mehr weiβ, wem er eigentlich trauen kann. Dabei kommen alte Geschichten auf den Tisch, die immer noch fortwirken. Bei "Everybody knows" handelt es sich um keinen "Thriller" im klassischen Sinne, sondern eher um eine Art Familien-Beziehungs-Porträt, wie sie der zweifache Oscar-Preisträger Farhadi gerne zeichnet. Ihn interessieren zwischenmenschliche Verbindungen. Dieses Mal besonders die zwischen Eltern und Kindern und zwischen Lebenspartnern und Ex-Partnern.
Das Hollywood-Traumpaar Bardem und Cruz funktioniert gut als Schauspiel-Duo. Die beiden spielen ein Ex-Paar, das schon lange getrennt ist. Jeder hat inzwischen ein neues Leben: sie in Argentinien, er in Spanien. Aber es liegt noch einiges zwischen den beiden in der Luft. Wie immer bei Farhadis sehr dialogbetonten Filmen ist das, was wir nicht auf der Leinwand sehen, mindestens genauso wichtig, wie das, was wir tatsächlich gezeigt bekommen.
Zu viel Künstlichkeit
Als Eröffnungsfilm ist Farhadis Werk nur bedingt geeignet. Zwar braucht man große Stars für die Eröffnungsgala. Positiv ist auch, dass die Hauptdarsteller ganz im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit das gleiche Honorar bekommen haben. Bardem wirkt als absolutes Kraftzentrum des Films, wenn er den Mann spielt, der alles daran setzt, die Tochter seiner Ex-Freundin zu befreien. Überzeugend ist auch die Tatsache, dass der Film universelle Themen behandelt: Es geht um Familiengeheimnisse, von denen jeder weiß. Aber jeder glaubt, dass er der einzige mit diesem Wissen ist. Ein Irrglaube mit verheerenden Konsequenzen. Negativ fällt dagegen die Künstlichkeit auf, in die Farhadi in seinen Filmen immer wieder abgleitet. Ein überbetontes Schauspielern lähmt insgesamt den ansonsten klugen und guten Film.