Na, Gott sei Dank! Der kleine Quentin wird in Cannes endlich mal wieder Sonne tanken dürfen. Monatelang hat er schließlich im düsteren Schneideraum gesessen, Tag und Nacht durchgearbeitet – und am Ende: mit Erfolg. Quentin Tarantinos jüngster Film ist auf den allerletzten Drücker fertig geworden für den Wettbewerb von Cannes. Aufatmen bei ihm und seinem Team, noch größere Erleichterung beim Festivalleiter Thierry Frémaux. Dem, der ohnehin mal gerne durch undiplomatische Wortwahl auffällt, entfuhr denn auch ein besonders überhebliches Lob: Quentin Tarantino sei ein wahres Kind von Cannes, zuverlässig und pünktlich! Brav, kleiner Quentin!
"Brav, kleiner Quentin!"
Den wird das paternalistische Schulterklopfen allerdings wohl kaum tangieren. Der Superstar des US-amerikanischen Autorenkinos ist bekanntlich hartgesotten. Ob in seinem neuesten Film allerdings so viel Blut fließen wird wie einst in seinem Goldene-Palme-Gewinner "Pulp Fiction"? Wer weiß! Tarantino spielt in "Once upon a time in Hollywood" dafür gleiche mehrere Trümpfe aus: Leonardo Di Caprio und Brad Pitt führen die Besetzungsliste an in dieser filmischen Hommage an die Kinowelt von Quentin Tarantinos Kindheit.
Mit dem Film im Film, mit der Ehrerbietung gegenüber der eigenen Zunft fährt man immer gut bei den großen Festivals – sich selbst zu feiern, das ist schließlich Teil des Business‘. Das weiß auch der Spanier Pedro Almodóvar, der das komplizierte Leben eines Regisseurs verfilmt hat.
Almodóvar – auch er ein Palmen-Veteran, ein Wiederholungsgast an der Croisette – wie übrigens viele, die im diesjährigen Wettbewerb vertreten sind: Ken Loach zum Beispiel oder Terrence Malick, auch die Dardenne-Brüder aus Belgien. Sie alle besitzen Dauerkarten: Kommt ein neuer Film von ihnen, folgt umgehend eine Einladung nach Cannes. Wiedersehen macht schließlich Freude!
Ein goldenes Klassentreffen
So liest sich die Liste der insgesamt 21 Palmenanwärter über weite Strecken mal wieder wie die Gästeliste eines goldenen Klassentreffens. Anwärter – wohlgemerkt. Denn die Filmemacherinnen muss man förmlich mit der Lupe suchen: 4 aus 21 – das ist kein guter Schnitt, aber schon besser als bisher. Dafür schmückt sich Thierry Frémaux mit einer paritätisch besetzten Palmen-Jury: vier Frauen und vier Männer von vier Kontinenten, mit dem mexikanischen Regisseur und mehrfachen Oscar-Preisträger Alejandro González Iñárritu an der Spitze.
Bei aller Weltläufigkeit jedoch sind und bleiben die Internationalen Filmfestspiele von Cannes ein französisches Festival…bien sûr! Sechs der 21 Wettbewerbsfilme kommen aus Frankreich – keiner übrigens aus Deutschland, das soll nicht verschwiegen werden.
Cannes - weiterhin ohne Streamingdienst-Produktionen
In Frankreich gilt das Kino als nationales Kulturgut, und die Kinobetreiber sind dort so mächtig wie wohl sonst nirgends. Deshalb steht Cannes auch weiterhin für das cineastische Gemeinschaftserlebnis im abgedunkelten Saal. Ohne einen echten Kinostart läuft hier nichts. Während in Venedig im vergangenen Jahr der Netflix-Film "Roma" das Rennen machte, bleibt man in Cannes resolut: Hier kommt keine Streamingdienst-Produktion ins Programm – vorerst zumindest. Das Kino ist tot, es lebe das Kino? Jim Jarmusch wird mit einer Zombie-Parodie am Dienstagabend die Filmfestspiele eröffnen. "The Dead don’t die" – in Cannes ist und bleibt man zuversichtlich.