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75. Geburtstag David Gilmour
Der Gitarren-Buddha von Brighton

Sein Gitarrenspiel ist genauso legendär wie seine Songs, seine Band und die verbitterten Grabenkämpfe mit Ex-Kollege Roger Waters: David Gilmour ist Ausnahmemusiker, unverwüstlicher Idealist und ein charmanter Dickkopf. Nun wird er 75 Jahre alt.

Von Marcel Anders |
Ein Mann mit weißen kurzen Haaren und Bart steht in schwarzem T-Shirt vor einem Mikrofon. Er singt und spielt dabei E-Gitarre
Gitarrist David Gilmour am 19.09.2015 bei einem Konzert in Oberhausen. (picture alliance / dpa - Henning Kaiser)
Musik: "Shine On You Crazy Diamond"
"Er war ein richtiger Glamour-Typ. Mit seinen langen Haaren und seinem Hut sah er immer toll aus. Ein echter Popstar, unser David."
Die Erinnerungen von Pink Floyd-Schlagzeuger Nick Mason haben nur wenig mit dem aktuellen Erscheinungsbild von David Gilmour gemeinsam: Der Popstar aus Cambridge trägt kurzen, weißen Bart unter kahlem Kopf. Schlabber-Pullis kaschieren seine Buddha-artige Körperfülle nur wenig. Gilmour läuft gerne barfuß, vor allem am Strand des englischen Seebads Brighton. Interviews gibt er kaum. Stattdessen unterstützt er seine Frau Polly Samson bei ihren Buchprojekten und hat angefangen, Saxofon zu spielen.
"Im Grunde verfolge ich keine Karriere mehr. Musik ist eher eine Teilzeitbeschäftigung – ein Hobby. Und ich muss auch nichts mehr tun. Ich habe alles erreicht. Jetzt konzentriere ich mich auf Privates – und sehe keine Notwendigkeit, weiter um den Globus zu tingeln und Tausende von Konzerten zu geben. Das ist nicht mein Ding."
Musik: "Wish You Were Here"

Launischer Brummbär

Gilmour hat nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch das Naturell eines Brummbären: Er ist redselig und nett, wenn ihm ein Gesprächsthema zusagt - kurzangebunden und schroff, wenn es ihm nicht gefällt. Etwa bei Fragen zu Pink Floyd und einer möglichen Wiedervereinigung, zu Ex-Kollege Roger Waters, dem verstorbenen Syd Barrett und auch zu Bandmeilensteinen wie "The Dark Side Of The Moon", "Wish You Were Here" oder "The Wall". Denn: Pink Floyd, so betont David Gilmour, sei für ihn passé.
"Ich hatte eine lange und erfolgreiche Karriere. Eine Zeitlang mit Roger, aber immer mit Nick – und ich bin zufrieden damit. Die unglücklichen Momente haben weniger als fünf Prozent ausgemacht, und die anderen 95 waren ein reines Vergnügen. Also sehr befriedigend, was die Arbeit betrifft, und sehr nett in Bezug auf unser soziales Miteinander. Wir haben wirklich viel gelacht. Aber es passiert auch Mist und Sachen gehen in die Brüche. Das gehört zum Leben."
Musik: "Money"

Der gute Ton

Pink Floyd hat Gilmour zum Millionär gemacht, zur Ikone. Sein atmosphärisch-entspanntes Gitarrenspiel trägt zum Kult bei: Gilmour spielt nie zu viele Töne. Schneller, lauter, vertrackter – das überlässt er anderen. Als Gitarrist steht der Brite für Räumlichkeit, Tiefe und viel Gefühl – und erzielt damit den größtmöglichen Effekt. Schon als junger Mann hatte er beim Bending, dem Saitenziehen, eine erhabene Aura in den Fingern. Dass Stücke wie "Comfortably Numb" zu Klassikern der Rockgeschichte wurden, ist für Gilmour OK. Er ist sogar stolz darauf – die Analyse jedoch, sollen andere leisten. "Es ist nicht mein Job, das zu beschreiben - ich mache es einfach. Nur so viel: Einer meiner großen Helden ist Hank Marvin. Er hat tolle Sachen gemacht und sich dabei von einer Pop-Band begleiten lassen. Was ich für eine brillante Idee halte. Eine, die ich gerne ein bisschen modernisiere. Er ist einer meiner Haupteinflüsse was melodische Gitarre betrifft." Aktuell greift Gilmour eher selten zur Gitarre. Etwa, um seinen Kindern Unterricht zu geben oder seine Frau Polly auf Lesungen zu begleiten. Im Juni 2019 wurden über 100 Instrumente aus der Sammlung von David Gilmour versteigert – für knapp 20 Millionen Dollar. Ein Fünftel davon allein für seine schwarze Stratocaster von 1969. Eigentlich kein besonders toller Jahrgang, Fender-Instrumente bis 1964 gelten als begehrter. Dass aber "Shine On You Crazy Diamond" oder "Money" damit eingespielt wurden, macht seine Black Strat zur teuersten Gitarre der Welt.

Idealistischer Verweigerer

Als nächstes will sich Gilmour von seinem Hausboot-Studio auf der Themse trennen. Und aktuelle Musik interessiert den Buddha von Brighton ohnehin nicht mehr: "Ich habe keine Lust mehr auf diesen Prozess des endlosen Suchens, mit dem ich früher fast 23 Stunden am Tag verbracht habe. Das überlasse ich anderen - und ab und zu spielen sie mir etwas vor, das ich tatsächlich OK finde. Aber was ich immer kaufe, sind Alben von Bob Dylan, Leonard Cohen, Neil Young und Joni Mitchell – falls sie je ein neues machen sollte."
Musik: "Another Brick In The Wall Part 2"
Die Gleichgültigkeit, die er gegenüber der Musik demonstriert, gilt nicht für alle Bereiche seines Lebens. Gilmour ist immer noch ein Hippie und latent unzufrieden mit dem, was auf diesem Planeten passiert - politisch wie sozial.
"Ende der 80er-Jahre gab es einen Moment, als alles ein bisschen offener und entspannter schien. Das war, als die Mauer fiel und wir dachten, die Welt würde sich in einen besseren Ort verwandeln. Doch schon kurz darauf gab es diese Massaker in Ost-Europa. Und als nächstes tauchten Sachen wie der IS auf, während England zu einem Polizeistaat geworden ist, in dem die Regierung jeden Protest niederknüppeln lässt. Es ist als ob sich die Welt wieder zusammenzieht, und das gefällt mir nicht."
Deshalb setzt sich Gilmour für die Fridays For Future-Bewegung ein, demonstriert gegen den Brexit und ist auch mit 75 ein kritischer, wachsamer Mensch. Seine Musik ist ebenso quergedacht und idealistisch wie er selbst.