Februar 1964. Der New Yorker Pressefotograf Daniel Kramer sieht im Fernsehen einen jungen Musiker mit Gitarre und Mundharmonika auftreten, von dem er bisher nie gehört hatte. Der Musiker Bob Dylan besingt den einsamen Tod von Hattie Carroll, einer schwarzen Frau von 51 Jahren, die bei einem Fest weißer Amerikaner Getränke servierte und von einem Gast aus Rassenhass zu Tode geprügelt wurde. Dylan klagt in "The Lonesome Death of Hattie Carroll" die Rassenjustiz an, die den Mörder mit sechs Monaten Freiheitsstrafe davon kommen ließ.
"Seine Stimme klang wie die Stimme von einem hohen Berg. Eine alte Stimme, brüchig, vom Wetter aufgeraut, eine Stimme, die man im Regen hat stehen lassen und die Rost ansetzte. Was ich damals nicht wusste, ist, dass Mr. Dylan ein Sänger mit vielen Stimmen war."
Schreibt Daniel Kramer in seinem jetzt erschienenen Buch über die Jahre 1964 und -65 mit Bob Dylan. Er wollte diesen ruppigen politischen Alleinunterhalter aus dem Fernsehen kennenlernen und porträtieren, rief seinen Manager an, kassierte eine Absage nach der anderen, bis er dann schließlich doch eine Stunde Audienz bekam im Anwesen von Dylans Manager in Woodstock. Im Eingang von der Straße aus hing das Schild: "Wenn Sie nicht vorher bei uns angerufen haben, verschwinden Sie bitte wieder."
Fotos, von denen einige sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben
Dylan, damals 23, am Beginn seiner Karriere, kam zu spät, mit dem Motorrad, in Jeans und Cowboy-Stiefeln, mit Mütze. Und damit begann eine Geschichte, die zwei Jahre anhielt. Es entstanden Hunderte von Fotos, von denen einige sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben, vor allem das Plattencover von Dylans fünftem Album "Subterranean Homesick Blues": Der Sänger mit einer Zigarette rauchenden Frau im roten Kleid am Kamin, zahlreiche Schallplatten um die beiden herum.
Kramer brachte, nachdem seine Zusammenarbeit mit Dylan endete, 1967 einen Fotoband dazu heraus. Jetzt erscheint dieses Buch, um mehr als 150 bisher unveröffentlichte Aufnahmen ergänzt, in einer limitierten Premium-Edition beim Kölner Taschen Verlag.
Als Kramer und Dylan sich kennenlernten, war es Hochsommer. Eine der beeindruckendsten Aufnahmen entstand in jenem Haus in Woodstock: Dylan sitzt am Küchentisch und liest mit ernster Miene den New York Herald Tribune. Rechts am Fenster, im Bikini, von hinten: Sally Grossman, die Frau von Dylans Manager. Die beiden stehen nur einen Meter voneinander entfernt, und obwohl jeder mit sich selbst beschäftigt ist, enthält das Foto eine eigentümliche Intimität. Die Portraits der 1960er-Jahre zeigten meist Pärchen, wo sich Mann und Frau aufeinander beziehen. Die neutrale Ungewandtheit von Dylan und Grossman sind typisch für Kramers Kamerablick.
Der Sänger in privater Umgebung
Im ersten Teil von Daniel Kramers Fotoband sehen wir den Sänger meist in privater Umgebung, beim Schach- oder Billardspielen, mit Brille, mit Zylinderhut im Auto, das Notizheft auf dem Schoß, beim Anprobieren neuer Stiefel im Schuhgeschäft.
Und dann tritt diese Frau in sein Leben. Er kennt sie schon seit einigen Jahren, aber in Kramers Buch werden die beiden sichtlich ein Paar: Bob Dylan und Joan Baez. Hier singen sie zusammen, 1965.
Der Bildband endet mit Dylan vor einem Riesenpublikum, im Forest Hills Stadion im New Yorker Stadtteil Queens, Ende 1965. Die Stimmung war gereizt, weil Dylan nur das erste Set wie üblich mit Gitarre und Mundharmonika bestückte und danach Rockmusik mit Band aufführte. Für viele Fans war das ein Verrat an der puristischen Idee des Polit-Barden. Kramer beschreibt die Lage so:
"Während der Pause konferierte Bob mit seiner Band. Sie sollten mit allem rechnen. Als Bob dann mit E-Gitarre und Rockband auf die Bühne kam, ging ein Raunen durch das ausgebuchte Stadion. Dann rief das Publikum: 'Wir wollen Dylan, wir wollen Dylan!' "