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75 Jahre Grindelhochhäuser in Hamburg
Das Richtfest für Deutschlands erste Hochhaussiedlung

Zwölf Gebäuderiegel mit über 2.000 Wohnungen - die Grindelhochäuser in Hamburg waren eines der ambitioniertesten Nachkriegsbauprojekte. Bald nach der Grundsteinlegung am 12. Juli 1946 drohte es zu scheitern. Heute ist das Ensemble ein Denkmal der Architektur-Moderne.

Von Martin Tschechne |
    Die denkmalgeschützten Grindelhochhäuser, aufgenommen 2016 in Hamburg-Harvestehude von Süd-Osten aus
    Die Grindelhochhäuser in Hamburg-Harvestehude (picture alliance / dpa / Markus Scholz)
    "Es wird immer Geschmackssache bleiben, ob man in einem Hochhaus wohnen will oder nicht. Unbestreitbar ist, dass die Hochhäuser sich gleichbleibender, ja, wenn nicht steigender Beliebtheit erfreuen."
    Sommer 1955, Richtfest auf dem Hamburger Grindelberg. Und während der Richtkranz zur Musik aus dem "Freischütz" Stockwerk um Stockwerk nach oben gezogen wird, genießt Bausenator Johannes Büll das seltene Vergnügen, einem Projekt seine guten Wünsche mit auf den Weg zu geben, das längst fertig und bewohnt ist.

    Zwischen Hoffnungen und Sorgen

    Mehr als neun Jahre zuvor, am 12. Juli 1946, war der Grundstein gelegt worden zu dieser ersten Hochhaussiedlung in Deutschland. Vielen erschien das Ensemble wie der Blick in eine freie und heitere Zukunft – aber manchen erfüllte es auch mit Sorge, räumte Büll ein:
    "Es hat nicht an warnenden Stimmen gefehlt, die dieses Projekt bevölkerungspolitisch als Grab der Nation bezeichnet haben. Unsere vorsichtigen überschlägigen Ermittlungen haben ergeben, dass zurzeit etwa 800 bis 1.000 Kinder auf diesem Gelände leben und spielen. Und das Leben auf den Kinderspielplätzen ist eine Freude. Nicht für alle, gebe ich zu."
    Blick aus einem der Grindelhochhäuser in Hamburg-Eimsbüttel.
    Wohnen in Ikonen 
    Ursprünglich sollten die Grindelhochhäuser von britischen Offizieren bewohnt werden, diese gingen aber dann doch nach Frankfurt. Die Neubauten konnten zivil genutzt werden. Seit der Nachkriegszeit lockt das denkmalgeschützte Gebäudeensemble mit seiner zentralen Lage und attraktiven Grünflächen.
    "Eine innerstädtische Großwohnanlage als grüne Oase"- schwärmt die Stadthistorikerin Helga Magdalena Thienel, während sie sich um die eigene Achse dreht. Um sie herum: zwölf riesige, bis zu 14 Stockwerke hohe Gebäuderiegel für mehr als 3.000 Bewohner. Gelber Klinker, große Fenster, Balkone - alles wirkt offen und leicht:
    "Egal, wo sie sich in der Anlage aufhalten: Sie werden immer nur einige der zwölf Hochhäuser sehen können; nie alle zusammen. Das wird erreicht durch die versetzte Anordnung der Hochhausblöcke und durch die sehr geschickte Platzierung von Bäumen, die auch die Häuser zusätzlich im Sommer verdecken."
    Ein kleiner Junge zwischen Trümmern und Hausruinen in Hamburg
    Bombardierung von Hamburg 1943
    Am 24. Juli 1943 begann in der Nacht das erste Bombardement der "Operation Gomorrha" auf Hamburg. In mehreren Angriffen versuchten englische und amerikanische Bomberverbände, die Hansestadt zu zerstören und töteten dabei Schätzungen zufolge rund 40.000 Menschen. Die Folgen sind bis heute in Hamburg spürbar.
    Hamburg lag in Trümmern. Und es war wohl eine ganze Kette glücklicher Fügungen, die so kluge Planung so kurz nach dem Krieg überhaupt möglich machten. Die britische Militärverwaltung, erstens, suchte eine Operationsbasis und Wohnraum für ihre Mitarbeiter und deren Familien; der Stadtteil Harvestehude galt schon damals als beste Lage. Die Siegermacht zeigte sich, zweitens, weitsichtig genug, das Projekt als Beitrag zur Gestaltung einer Zukunft Deutschlands zu begreifen. Und drittens: Schon im Januar 1947 beschlossen die Besatzer, sich gemeinsam mit den Amerikanern in Frankfurt niederzulassen. Und Biagia Bongiorno, Kunsthistorikerin am Hamburger Denkmalschutzamt, freut sich noch heute. Was für ein Glück:
    "Es waren deutsche Architekten, die hochgradig der klassischen Moderne verhaftet waren. Darum ist, glaube ich, die Frage falsch, dass es britisch ist. Diese Hochhäuser sind meiner Meinung nach nicht britisch. Da stecken eher Ideen von Le Corbusier drin. Von Ernst May. Also von solchen großen, wichtigen Architekten der Moderne."
     Hamburger Grindelhochhäuser
    Hier spiegelt sich die Klassische Moderne - Fassade eines der Grindelhochhäuser (imago images / Angerer)

    1950 zogen die ersten Bewohner ein

    Es gab Engpässe beim Baumaterial, beim Transport, es fehlten Arbeitskräfte. Zeitweilig kam der Bau ganz zum Erliegen. Aber 1950 zogen die ersten Bewohner ein. Die städtische Wohnungsgesellschaft Saga ließ einen Film drehen – der Kommentator wollte sich schier überschlagen vor Begeisterung:
    "Sämtliche technischen Anlagen des Grindel-Projekts sind von hoher Vollendung. Für die Hausfrauen und die alleinstehenden Berufstätigen erübrigen sich weite Wege durch die gut durchdachte und vorausschauende Planung. An die Bequemlichkeit der Autobesitzer wurde natürlich auch gedacht. Eine große Tiefgarage bietet 220 Wagen Platz, die hier fachmännisch betreut werden."
    Der Phoenix-See in Dortmund, entstanden auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerk Hoesch in Dortmund-Hoerde. 
    Urbanität im Wandel
    Was können Architekten tun, um eine neue Unwirtlichkeit der Städte zu verhindern? Wie können sie Lebensräume schaffen, in denen Menschen sich zu Hause fühlen? Architekturhistoriker Wolfgang Sonne fordert die Abkehr von der funktionsgetrennten Stadt und mehr Vielfalt im urbanen Wohnungsbau.
    Seit dem Jahr 2000, gründlich renoviert und modernisiert, steht das ganze Ensemble unter Denkmalschutz. Was dabei geschützt wird? Für die Stadthistorikerin Thienel ist es weniger ein Zustand als vielmehr ein Versprechen zum Aufbruch, damals wie heute:
    "Zu einer Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als auch in Hamburg die autogerechte Stadt geplant und gebaut wurde, geschah hier etwas ganz Erstaunliches: Das Gebiet der Grindelhochhäuser wurde an den vier Rändern jeweils nur mit einer Einbahnstraßenschleife erschlossen und im Inneren als komplett autofreie Großwohnsiedlung gebaut."