Um zwei Minuten nach elf Uhr vormittags schien die Welt in Japan endgültig unterzugehen. Drei Tage vorher war die Industriestadt Hiroshima von einer bis dahin nie gesehenen Bombe erschüttert worden. Am 9. August 1945 ereilte dann die 250.000-Einwohnerstadt Nagasaki ein ähnliches Schicksal.
Eine heftige Druckwelle zerstörte auch hier fast alle Gebäude. 70.000 Menschen starben, ähnlich viele wurden verletzt. Eine knappe Woche später kündigte Japan seine Kapitulation gegenüber den USA an, der Zweite Weltkrieg war beendet. Die Detonation über Nagasaki markierte das zweite und bis heute letzte Mal, dass eine Atombombe kriegerisch eingesetzt wurde.
Wer heute am Ground Zero von Nagasaki steht, sieht von dieser Vergangenheit: gar nicht mehr so viel. Zwar stehen hier, wie auch in Hiroshima, ein Atombombenmuseum und einige Monumente. Aber der "Heiwa kouen", auf Deutsch "Friedenspark", dient in Nagasaki längst nicht nur dem Andenken. Er ist auch viel weniger touristisch orientiert als der berühmtere Friedenspark in Hiroshima, den jedes Jahr Millionen besuchen. In Nagasaki liegt am Ort des Einschlags eine der größten Sportanlagen der Stadt.
"Das Sportzentrum im Park steht seit 1951. Es war von Anfang an als Teil des Wiederaufbaus von Nagasaki gedacht. Sie sollte dem Wunsch nach Frieden dienen, mit Sport als Basis für den Austausch zwischen den Bewohnern der Region", sagt Yuji Takeuchi.
Er ist Abteilungsleiter im Bauamt der Stadt Nagasaki. Vor der Atombombe war hier eine Shoppingmeile, sagt er, mit kleinen Läden und Restaurants. Dass sich seine Amtsvorgänger in den Nachkriegsjahren gegen einen Wiederaufbau der Konsumzone und für ein Sportprojekt entschieden haben, macht den 49-jährigen Yuji Takeuchi stolz.
Positives aus dem Ort des Schreckens ziehen
"Ich wurde selbst in Nagasaki geboren. Als die Bombe fiel, war meine Oma gerade mit meiner Mutter schwanger. Sie lebten etwas außerhalb der Stadt. Später machte es die beiden glücklich zu sehen, wie ich als Grundschüler hier zum Schwimmen ging. Es ist ja in etwa der Ort, wo nur drei Jahrzehnte vorher die Atombombe alles zerstört hatte. Als Kind konnte ich das alles noch nicht so wertschätzen. Aber wenn ich heute daran zurückdenke, sind es tolle Erinnerungen."
In Zeiten ohne Pandemie schicken acht Schulen und eine Universität ihre Sportler hierher. Neben dem Schwimmbad liegen im Friedenspark ein Platz für Rugby und Fußball, mehrere Tennisplätze und ein Leichtathletikanlage. Die Nutzung der Laufbahn ist kostenlos für alle, für die anderen Sportarten wird eine Gebühr erhoben. Daher weiß die Stadt, dass im Jahr mindestens 440.000 Personen hier Sport treiben.
Dazu gehört auch die zwölfjährige Nodoka Takanishi. Die Nachwuchsfußballerin schreibt per E-Mail: "Ich trainiere seit letztem Jahr regelmäßig im April im Friedenspark. Meine Eltern haben mir erzählt, was hier früher passiert ist und sie haben gesagt, dass das nie wieder geschehen darf und dass Frieden wichtig ist. Ich bin dankbar, dass ich mit meinem Schülerteam hier einfach trainieren und Spaß haben kann. Wenn ich groß bin, will ich Fußballerin werden. Ich will Japan international mit der Nationalmannschaft vertreten. Das ist mein Traum."
Wissen über die Atombomben schwindet
Von Nagasaki in Japan in die weite Welt. Der Gedanke, dass Sport der kollektiven Erholung und der Völkerverständigung dient, klingt attraktiv. Zumal sich die Stadt Nagasaki weltweit für atomare Abrüstung einsetzt. Allerdings schwindet allmählich das Wissen über die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Nodoka Takanishis Trainer und Lehrer, Tsutomu Abe beobachtet das mit Sorge:
"Es ist super, wie die Jugend hier trainiert. Aber es gibt immer weniger Kinder und Jugendliche, die sich mit der Geschichte der Stadt auskennen. Als ich hier in Nagasaki aufwuchs, lernte ich noch über die Schäden, über die gesundheitlichen Gefahren der Strahlung und so weiter. Das Thema hat damals auch alle interessiert. Aber das lässt nach. Wahrscheinlich ist das überall so, im Ausland und in ganz Japan. Aber eben auch in Hiroshima und Nagasaki. Wir versuchen dem seit einigen Jahren mit Bildungsinitiativen und zu begegnen, auch durch Sportturniere. Wir wollen die kollektive Erinnerung von Nagasaki aus am Leben halten."
Im nur ein paar Gehminuten von der Sportanlage entfernten Atombombenmuseum sind mehrere Bilder von lokalen Athleten der damaligen Zeit ausgestellt. Sport war in Nagasaki schon vor der Atombombe wichtig.
Gelungene Bewältigung des Traumas?
Allerdings ist der Lehrer Tsutomu Abe mit seiner Sorge um die Erinnerung nicht allein. Sie wird geteilt vom Historiker Hibiki Yamaguchi. Er arbeitet am Forschungszentrum für die Abschaffung von Atomwaffen der Universität Nagasaki und beschäftigt sich mit der Nachkriegsgeschichte der Stadt. Yamaguchi sagt:
"Viele Leute, die im Friedenspark trainieren, wissen heute gar nicht mehr, dass genau dort die Bombe einschlug. Das Atombombenmuseum liegt nämlich auf der anderen Seite einer Straße, die durch den Park führt. Deshalb denken viele nicht daran, dass sich der Einschlagsbereich sehr weit ausdehnte. Ich selbst bin heute 44 und habe in meiner Jugend auch im Park trainiert. Aber dass ich auf der Tartanbahn über den Boden lief, wo die Bombe alles zerstört hatte, habe ich auch erst später gelernt."
Sieht so eine gelungene Bewältigung eines Traumas aus: der Schmerz ist vergangen und jetzt wird Sport betrieben? Nicht ganz, glaubt der Historiker Hibiki Yamaguchi. Man müsse doch auch die Geschichte kennen, die erst zu den Atombomben führte. Erst dann könne man auch die Entwicklung danach richtig begreifen:
"Ich glaube, die meisten haben schon eine vage Ahnung von der Atombombe. Alle Schüler müssen einmal ins Museum gehen. Aber sie verstehen zum Beispiel auch nicht unbedingt, dass die Atombombe an sich ein Problem ist, das bis heute reicht. Dabei geht es nicht nur um Krankheiten der Überlebenden in Nagasaki und Hiroshima. Auch die Bedrohung eines Atomkriegs besteht bis heute. Das sollten Menschen dringend wissen."
Dafür wiederum reiche ein Sportpark allein nicht aus.