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75 Jahre Nagasaki
Erinnerungskultur per App

Am 9. August jährt sich die Atombombenexplosion in Nagasaki zum 75. Mal. Ein Kunstprojekt von Shinpei Takeda erinnert an den Tag. Bodenzeichnungen können per App im „Hypocenter Park“, dem damaligen Zentrum der Zerstörung, angesteuert werden. Zu Wort kommen Überlebende und Geflüchtete.

Von Peter Backof |
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Ein vergängliches Kunstprojekt, das an nie endendes Leid erinnert (Der Hypocenter Park in Nagaski- ein Kunstprojekt, das an 75 Jahre Nagasaki erinnert)
Shinpei Takeda: "Sie sehen einen Park. Auf den Boden sind Wellenkurven gemalt, also etwas abstrakt: die Abbildung von menschlichen Stimmen."
Sagt Shinpei Takeda in einem Zoom-Konferenz-Interview, Düsseldorf-Nagasaki. Ganze 1,8 Kilometer Laufweg hat er vor Ort im "Hypocenter"-Park mit diesen Soundwellenkurven bemalt. Auf den ersten Blick kalligrafisch und etwas klischeehaft japanisch, aber das liegt auch an der Farbe: Dunkel eingefärbte Reissuppe. Ansonsten und über Takedas Intervention hinaus, prägt den "Hypocenter Park": ein riesiger dunkler Monolith, Symbol für die unsagbare Vernichtung, die die Atombombe brachte, am 9. August ´45, um 11:02 vormittags. Wo sich heute der Hypocenter Park erstreckt, war die Zerstörung am größten. Daher nennt Takeda seine Arbeit "Ground Zero".
Shinpei Takeda: "Die Explosion war heißer als die Sonnenoberfläche. In diesem Teil der Stadt waren damals alle sofort tot. Es gab niemand mehr, der noch nach Leichen suchte. Man hat einfach Erde darüber geschüttet. Unter dem Park ist alles voller Knochen. Der Park sieht so friedlich aus, aber es ist ein Friedhof. - Und wie ist das heute? Ja, es gibt alljährlich diese Gedenkveranstaltungen. Aber ich denke, das ist erstarrt zum Ritual. Man sagt `Möge so etwas nie wieder geschehen; wir müssen unserer Großonkel und -tanten gedenken! Wir müssen, wir müssen, wir müssen!"
Globale Diaspora
Für Shinpei Takeda: Erinnerungskultur zwangsweise. Und er ist ungewöhnliche Wege gegangen, um die Geschichte neu erfahrbar zu machen. Seit mittlerweile 15 Jahren führt er Interviews mit Menschen, die die Atombombe überlebt haben und dann Nagasaki verließen. Ein aufwendiges Recherche-Projekt: Bei eigenen künstlerischen "Residencies" stieß Takeda auf eine globale Diaspora, fand Überlebende in Mexiko, Brasilien, Bolivien, China, USA.
Shinpei Takeda: "Die Menschen erzählen zum Beispiel, dass sie Nagasaki und überhaupt Japan verlassen mussten, weil sie diskriminiert wurden. Es gab Mythen und Gerüchte rund um die Radioaktivität – die gibt ja bis heute. Wie könne man nur eine Frau heiraten, die Strahlungsopfer ist? Viele japanische Frauen heirateten damals hier stationierte US-Soldaten und gingen mit ihnen nach Amerika. Ein Geschichte, die kaum bekannt ist. Der Tenor ist: Vergessen, Verdrängen, Nie wieder!"
Jens Herder: "Das Besondere, was wir hier haben: Wir können hier auch mit dem ´Head Mounted Display´ arbeiten und das verbinden. Und wir haben auch eine Bewegungsaufzeichnung. Sie sehen hier diese kleinen Kameras, die oben verteilt sind. Wir kriegen die Bewegung einer Person mit".
Real und digital
Dafür mussten Shinpei Takedas Wellenkurvenzeichnungen mit Markern versehen werden, als Schnittstelle zwischen analoger und virtueller Realität.
Jens Herder: "Er hat jetzt per Hand den Marker gemalt. Das hat er uns dann fotografiert, zu uns geschickt, wir haben das analysiert, ob es gut genug ist, um Marker zu sein. Und da haben wir gesagt: ´Nee, ist nicht genug, der Prozentsatz, der stimmt noch nicht, für die Erkennung´".
Gar nicht so leicht, das Echte ins Virtuelle zu bringen, wenn als QR-Code dunkle Reissuppe dient. Takedas Vision war es, dass man entlang der 1,8 Kilometer Laufweg einen ganzen Chor der Überlebenden-Stimmen auf dem Handy hören kann.Jens Herder musste ihn ausbremsen. Es gibt jetzt 13 Marker, an denen die Verzahnung der Realitäten gut klappt. Ohnedies bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit das Projekt überhaupt realisieren zu dürfen, am historisch sensiblen Ort. Und die Installation mit App wird nach dem 10. August auch vor Ort spurlos verschwunden sein. Allenfalls dokumentiert im Netz wird man sie weiter erleben können.
Aktiv und lebendig
Gut, denn wer kann fürs echte Erlebnis denn schon nach Nagasaki pilgern? Für Shinpei Takeda schließlich hat dieses Vergängliche seiner Installation aber noch eine zweite, tiefere Bedeutung.
Shinpei Takeda: "Ich bin ja gar nicht interessiert, Denkmäler in die Welt zu setzen, die bleiben. Was sollen junge Leute heute denn zu einem plakativen Mahnmal sagen? Sie lassen dieses Erinnern über sich ergehen und wischen weiter. Stattdessen bekam ich Feedback, man könne sich, gerade durch dieses Abstrakte meiner Arbeit, selber etwas vorstellen. Erinnerung ist also etwas Aktives, Lebendiges, das sich immer verändert. Da will ich hin."