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75 Jahre Nürnberger Prozesse
"Es werden auch Urteile über die Geschichte gefällt"

Bei der internationalen Strafjustiz gehe es immer auch darum, symbolische Urteile zu sprechen, sagte die Historikerin Annette Weinke im Dlf. Man habe in den Nürnberger Prozessen sehr bewusst und sehr reflektiert eine Deutung der geschichtlichen Ereignisse vorgenommen.

Annette Weinke im Gespräch mit Benedikt Schulz |
Blick auf die Anklagebank beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg, 18.03.1946. Die Angeklagten schauen interessiert zum Zeugenstand (nicht im Bild) in dem im Moment dieser Aufnahme gerade Hermann Göring saß und seine Aussage machte.
Blick auf die Anklagebank beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg, 18.03.1946. (picture-alliance / dpa)
Am 20. November jährt sich der Prozessauftakt der Nürnberger Prozesse zum 75. Mal. Schon Ende 1941 hätten die Exil-Regierungen angefangen, "das erste Mal vorzusprechen, dass im Bereich der Kriegsverbrecher-Politik etwas getan werden müsse", sagte die Historikerin Annette Weinke im Dlf. Weinke lehrt am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena und habilitierte 2014 mit einer Studie zu "Transnationalen Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert".
Bild zeigt das zerstörte Nürnberg, Text: 8. Mai 1945, Als stünde die Zeit still
Als stünde die Zeit still (imago images / Everett Collection)
"Der Schönheitsfehler ist, dass es sich um ein Gericht der militärischen Sieger handelte, was keine dauerhafte Lösung sein konnte", so Weinke im Bezug auf die Nürnberger Prozesse. Er sei nicht modellbildend für die internationale Strafgerichtsbarkeit gewesen. Das, was seit dem späten 19. Jahrhundert und dann verstärkt ab dem Ersten Weltkrieg als ein permanentes internationales Strafgericht diskutiert worden ist, sei "eine Ad-hoc-Lösung" gewesen.
Geschichtsmythen die Grundlage entziehen
Für die breitere Öffentlichkeit sei wichtig gewesen, dass überhaupt etwas geschehen sei. Der Prozesse habe deshalb relativ wenig Kritik ausgelöst. Die Kritik habe sich dann erst in den Folgejahren aufgebaut. Der Prozess sei sehr wichtig gewesen, "um Geschichtsmythen, Geschichtslegenden die Grundlage zu entziehen", so Weinke.
Im Dlf sprach sie auch über den Konflikt zwischen staatlicher Souveränität und Völkerstrafrecht. Die langfristige Folge Nürnbergs sei, "dass staatliche Souveränität nicht absolut gesetzt werden kann".