Funken knistern, Metalle versetzen bei Berührung einen Schlag, Magnete üben geisterhafte Kräfte aus. Elektrizität war im 19. Jahrhundert das Modethema der Physik. Auch das Volk ließ sich faszinieren: Auf Jahrmärkten wurden luftleer gepumpte, unter Hochspannung stehende Glaskolben vorgezeigt, in denen sich spektakuläre Leuchterscheinungen abspielten. Manche dieser Erscheinungen gaben den Physikern Rätsel auf. Bestand ein feiner Strahl, der sich wie ein Faden durch den Kolben zog, aus Materie, also aus Teilchen? Oder war es eine Welle ähnlich wie Licht?
"Für die Teilchentheorie sprach ein Experiment, bei dem der Strahl eine Metallschale elektrisch auflud. Die Erklärung: Die Teilchen geben dort einfach ihre Ladung ab." So der britische Physiker George Thomson 1965 auf einem Vortrag. "Dazu kam der Befund, dass Magnetfelder den Strahl ablenken. Auch das ließ sich leicht durch magnetische Teilchen erklären."
Die Idee mit den Teilchen vertraten um das Jahr 1895 vor allem britische Gelehrte, unter ihnen Joseph John Thomson, der Vater von George Thomson. In Deutschland dagegen setzte man auf die Wellentheorie. So wollte Heinrich Hertz gemessen haben, dass elektrische Felder den Strahl im Kolben nicht ablenken – ein krasser Widerspruch zur Teilchen-Hypothese. Und: "Heinrich Hertz entdeckte auch, dass die Strahlen sehr dünne Goldfolien durchdringen konnten. Das bestärkte ihn in seiner Ansicht, dass diese Strahlen aus Wellen bestehen."
Ein winziger Bruchteil der Masse eines Wasserstoffatoms
Um Klarheit in die Sache zu bringen, machte sich Joseph Thomson an der Universität Cambridge an die Arbeit und verfeinerte seine Experimente. "Es gelang ihm, noch mehr Luft aus dem Kolben herauszupumpen und dadurch ein besseres Vakuum zu schaffen. Jetzt zeigte sich: Die Strahlen werden ja doch von elektrischen Feldern abgelenkt. Damit war das stichhaltigste Argument gegen die Partikeltheorie hinfällig."
Dann gelang Thomson ein weiteres Experiment: Indirekt konnte er die Masse jener Teilchen bestimmen, aus denen sich der Strahl im Kolben offenbar zusammensetzte. Das Ergebnis war verblüffend, erinnerte sich der Physiker im Jahre 1934: "Die Masse dieses Teilchens ist nur ein winziger Bruchteil der Masse eines Wasserstoffatoms. Und schon ein Wasserstoffatom ist ja derart klein, dass eine Wolke aus Milliarden von ihnen mit den heutigen Methoden der Wissenschaft nicht nachweisbar ist."
Das Teilchen trägt eine negative elektrische Ladung und ist deutlich kleiner als ein Atom – was auch erklärte, dass es mühelos eine Goldfolie passieren konnte. Aus alledem zog Thomson eine gewagte Schlussfolgerung: Es müsse sich um ein Elementarteilchen handeln – einen Materiebaustein der Natur, unteilbar und fundamental. Thomson selber sprach von einem Korpuskel. Doch bald sollte sich eine andere Bezeichnung durchsetzen – das Elektron. Als Thomson 1897 seine Erkenntnisse veröffentlichte, war die Reaktion der Fachwelt verhalten. „Am Anfang glaubten nur sehr wenige an die Existenz dieser Gebilde, die kleiner waren als Atome. Als ich 1897 bei einem Vortrag in London meine Resultate vorstellte, dachten manche, ich wollte sie auf den Arm nehmen."
Eine Basis für die gesamte Elektrotechnik
Doch in den Folgejahren wurde die Entdeckung nach und nach anerkannt, und 1906 erhielt Thomson den Nobelpreis für Physik. Mit dem Elektron hatte er ein Teilchen entdeckt, das noch heute zu den elementaren Materiebausteinen zählt – die Hülle eines jeden Atoms besteht aus Elektronen. Und als Thomson einige Jahre vor seinem Tod am 30. August 1940 auf sein Lebenswerk zurückblickte, durfte er feststellen: Seine Entdeckung hatte nicht nur das Grundlagenwissen bereichert, sondern auch die Basis geschaffen für neue Industriezweige.
"Viele Entdeckungen wurden ohne jeden Gedanken an eine praktische Anwendung gemacht, und manche schienen dafür zunächst völlig ungeeignet. So war es auch bei der Entdeckung des Elektrons – es schien zunächst völlig unnütz. Doch nun ist es die Grundlage vieler Produkte, an deren Herstellung große Fabriken beteiligt sind und Abertausende von Arbeitern."
Und heute hängen Milliardenmärkte am Elektron – Computer, Handy und die gesamte Elektrotechnik.