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75. Todestag von Felix Salten
Der vermeintliche Pornograf, der Bambi erfand

Der österreichische Schriftsteller Felix Salten ist heute, wenn überhaupt, für sein vermeintliches Kinderbuch "Bambi" bekannt, Doch auch der prompt verbotene Skandalroman über die Hure "Josefine Mutzenbacher" wird ihm zugeschrieben. Am 8. Oktober 1945 starb der Wiener Bohemien in der Schweiz.

Von Beatrix Novy |
    Der österreichische Schriftsteller Felix Salten in einer schwarz-weiß- Photographie von 1917
    Felix Salten wurde als Journalist im deutschsprachigen Raum extrem erfolgreich und bekannt, heute ist er weitgehend vergessen. (picture-alliance / IMAGNO)
    "Junge Mädchen, die in den Wohnungen der Bürgersleute am fremden Herd stehen, junge Burschen, die in den Kasernen exerzieren, eine ganze junge Menschheit, die in der ungeheuren Stadt kein Zuhause hat, die im Wirbel dieses brausenden Lebens verlaufen und einsam ist, findet hier, im rauchig-dunstigen Saal ein Stückchen Heimat."
    Tanzböden, Tierbändiger, Damen ohne Unterleib - der Wurstlprater im großen Wiener Pratergelände diente seit je dem Vergnügen des einfachen Volks und seiner Beobachter aus den höheren Klassen. Zu letzteren gehörte Felix Salten, Journalist und Schriftsteller. 1911 erschien das Buch, das seinen Nachruhm als moderner Autor mitbegründen sollte: Wurstlprater". Eine Bild-Text-Collage über Trostlosigkeit und Kraft des Schaustellergewerbes mit eindrücklichen Fotos von Emil Mayer, die neben den zeitgenössischen Genres der Sozialreportage eines Max Winter oder den Flaneur-Skizzen eines Peter Altenberg eine intermediale Neuheit darstellte.
    Fürsprecher der sexuellen Befreiung
    Offen propagierte Salten das Recht, das die "junge Menschheit" sich nachts auf den Praterwiesen nahm: auf ein Leben ohne heuchelnde Sexualmoral.
    "Einfach, wie nirgendwo anders sonst, enthüllen sich hier die einfachen menschlichen Triebe. Die Lust des Weibes am Mann. Die Lust des Mannes am Weibe."
    Schwarz-weiß-Aufnahme der Literatengruppe" Jung-Wien" beim  Praterausflug (von links nach rechts): Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann, Felix Salten (sitzend) "mit jungen Frauen. Fotografie um 1894
    Die "Jung-Wien"-Literaten beim Praterausflug: Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann und Felix Salten (von links nach rechts ) (picture-alliance / IMAGNO/Austrian Archives)
    Die libertäre Gesinnung teilte der Autor mit seinen Schriftstellerkollegen im Kaffeehaus. Felix Salten, geboren 1869 als Siegmund Salzmann in Budapest, aufgewachsen in Wien, stieß früh zur Literatengruppe "Jung Wien". Im Café Griensteidl traf er Hermann Bahr und Arthur Schnitzler, lernte den jungen Hugo von Hofmannsthal kennen und schloss herzliche Feindschaft mit Karl Kraus, der sich in gewohnter Gnadenlosigkeit an den Schwächen seines Kollegen rieb
    "Im journalistischen Dienste hart mitgenommen, hat sich der Literat bis heute doch seine Eigenart zu wahren gewusst. Die Verwechslung des Dativs mit dem Akkusativ gelingt ihm noch immer mit unverminderter Jugendfrische."
    Multimedialer Mehrfachverwerter
    Ja, Salten schrieb für Geld, weil er es gern ausgab. Er tat es mit immensem Fleiß und unter etlichen Synonymen, schrieb Romane, Theaterkritiken, Bühnenstücke, Libretti und Leitartikel, reüssierte bei großen Zeitschriften, nutzte die Möglichkeiten des neuen Mediums Film und verfasste Drehbücher:
    "Sein Schreiben orientiert sich stark auch an einer Nachverwertung, die Möglichkeit, seine Romane filmisch umzusetzen, ist etwas, was ihm schon sehr bewusst ist und auch beim Schreiben kenntlich steuert", so der Historiker Siegfried Mattl über Saltens literarische Produktivität, die sich an Strömungen der Zeit ausrichtete. Spektakulären Nachruhm erntete er nur mit zwei Titeln, zu einem von ihnen hat er sich nie ausdrücklich bekannt: Die – durchaus zufriedene - Lebensbeichte der Dirne Josefine Mutzenbacher, angeblich von ihr selbst erzählt.
    "Aus Armut und Elend, wie ich entstammt bin, habe ich alles meinem Körper zu verdanken. Ich bin nicht im Dreck der Vororte erstickt. Ich habe mir eine schöne Bildung erworben, die ich nur einzig und allein der Hurerei verdanke."
    Neues aus der "Fifty Shades"-Reihe: "Grey" von E. L. James
    Werner Fuld - Ein Jahrtausend erotischer Literatur in Europa
    Von Decamerone aus dem 14. Jahrhundert bis zu Fifty Shades of Grey: Der Literaturkritiker Werner Fuld erzählt in seinem Buch "Geschichte des sinnlichen Schreibens" von erotischer Literatur quer durch die europäische Literaturgeschichte.
    Saltens anderes Erfolgsbuch über ein getüpfeltes Reh stempelte den angeblichen Pornografen zum angeblichen Kinderbuchautor: "Bambi" war nur eines seiner schönen Tierbücher, mit denen er einen eigenen Weg beschritt, die Natur nach Menschenart, und doch realistisch sprechen zu lassen. So wie Waldemar Bonsels "Biene Maja", ebenfalls kein Kinderbuch, wurde auch "Bambi" zum historischen Missverständnis.
    "Was war das?" fragte Bambi erregt.
    "Nichts", beschwichtigte die Mutter.
    "Aber…" Bambi zitterte, "aber… ich hab’s doch gesehen."
    "Nun ja", sagte die Mutter, "erschrick nicht. Der Iltis hat die Maus getötet."
    "Bambi"mit seinen Freunden, dem Skunk, dem Schmetterling und dem Hasen "Klopfer". Der Trickfilm-Klassiker des US-amerikanischen Regisseurs, Zeichners und Produzenten Walt Disney erzählt die Geschichte des kleinen Rehs "Bambi", das seine Mutter durch Jäger verliert. Fortan streift es allein durch die Wälder und besteht mit einigen Freunden allerlei Abenteuer. Erwachsen geworden wird es Leittier einer Herde. Der Film kam 1942 in die Kinos. | Verwendung weltweit
    Machte den angeblichen Pornografen Felix Salten zum angeblichen Kinderbuchautor: "Bambi", hier in der Disney-Verfilmung von 1942 (Buena Vista)
    Dass Bambis Mutter selbst das Opfer eines Jägers wird, konnte sogar in der niedlichen Disney-Verfilmung nicht verschwiegen werden und schockiert seither Generationen kleiner Kinogänger.
    Bambi als Produkt des Ersten Weltkriegs
    "Worum geht es in Bambi? Es geht um Massaker, es geht um die Jagd, die eigentlich als analog gesehen werden sollte zur Erfahrung dieser industriellen Kriegsmaschinerie des Ersten Weltkriegs, die Salten ja sehr beunruhigt hat."
    Die Bambi-Verfilmung und ihren enormen Erfolg hat Salten noch erlebt – und um ein verspätet angemessenes Honorar von Disney gestritten. Die Nazis und den Zweiten Weltkrieg überlebte er in der Schweiz, wohin seine Tochter ihn geholt hatte, nur um ein paar Monate: Er starb am 8. Oktober 1945.