"Diesseitig bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug."
Felix Klee rezitiert Worte seines Vaters Paul Klee. Heute stehen sie auf dessen Grabstein; geheimnisvoll entrückt, kindlich-heiter und glasklar konstruktiv wie das Werk dieses genial erfinderischen Künstlers. 1933 in Nazi-Deutschland verfemt und exiliert, wurde Klee im bundesdeutschen Wirtschaftswunder umstandslos wieder eingebürgert: als jenseits der Zeiten Lebender, dessen bunte Inventionen der grauen Nachkriegszeit etwas Glanz und Weltläufigkeit gaben. Auch Kunsthistoriker schwärmten für den scheinbar unpolitischen Mal- und Zeichenkünstler. Uwe M. Schneede, ehemals Leiter der Hamburger Kunsthalle:
"Das hatte mit diesem poetischen und einen hereinziehenden Werk zu tun. Jedenfalls ist sein Werk nicht mehr so ohne Weiteres auf einen Nenner zu bringen, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Das Bild dieses Künstlers ist viel zu komplex."
"Ich begreife mich nicht"
Paul Klee wird 1879 in Münchenbuchsee bei Bern geboren und wächst in einem gutbürgerlichen, musischen Elternhaus auf. Die Mutter, eine kunstsinnige Baslerin mit südfranzösischen und afrikanischen Wurzeln, der Vater, ein Berner Musikpädagoge. Der 18-jährige Paul schreibt in sein Tagebuch:
"Je länger je mehr beängstigt mich meine wachsende Liebe zur Musik. Ich begreife mich nicht."
Doch die Kunst ist stärker. Klee geht an die Kunstakademie München. Die Musikalität durchzieht sein ganzes Werk, viele Blätter wirken wie Partituren. Der feine farbige Klang seiner frühen Aquarelle – etwa von seiner Tunisreise 1914 – fasziniert bis heute. Vor dem Ersten Weltkrieg wird er Mitglied des "Blauen Reiters". Im gleichen Monat, da sein Freund Franz Marc fällt, wird Klee zum Kriegsdienst berufen. Am Fliegerhorst Landshut muss er Flugzeuge mit Tarnanstrichen bepinseln - und überlebt.
1921 wird Paul Klee ans Weimarer Bauhaus berufen; sein Aufstieg zu einem der bekanntesten und beliebtesten deutschen Künstler beginnt - trotz schwieriger Anfänge; der ehemalige Bauhausschüler Felix Klee:
"Es war für Deutschland sowieso keine einfache Zeit. Und trotzdem hat das Bauhaus eine unglaubliche Vitalität gehabt. Wir waren aber sehr allein: 'Uns trägt kein Volk', ist ein Ausspruch meines Vaters. Und uns trug wirklich kein Volk!"
Klees Forderung an den modernen Künstler: Unsichtbares sichtbar machen
Solche Betrachtungen Klees hat man als Demokratieferne interpretiert, doch sie waren eher persönlich-künstlerisch als politisch. Am progressiven Bauhaus bietet er seine fein gesponnene "Bildnerische Gestaltungslehre" an; der stille Meister bekommt den Spitznamen "Bauhaus-Buddha". Klee fordert: Der moderne Künstler solle "nicht Sichtbares abbilden, sondern Unsichtbares sichtbar machen". So bekommen seine konstruktiven Bilder eine flirrende, fast filmische Qualität. Der Bauhaus-Spezialist Wulf Herzogenrath:
"Er hat die Geschwindigkeit, das Leben und den Prozess in die statischen Künste der Zeichnung, des Aquarells mit eingeführt: Die "Zwitschermaschine" ist so ein wunderbares Beispiel: ein Ingenieur-Produkt, das macht Musik, ja das kann ich nicht mal hören, und trotzdem, ich kann die Bewegung, die Veränderung sehen. Und das ironisiert die Grund-Bauhaushaltung, ohne deshalb Anti-Bauhaus zu sein."
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wird Paul Klee entlassen. Ende 1933 flieht er in die Schweiz. In diesen unsicheren Zeiten entstehen Hunderte von privaten Skizzen: nervös hingestrichelt auf kleine, meist billige Papiere. Der Kunsthistoriker Ulrich Krempel:
"Klee beschreibt vieles ja höchstens in Vorahnung, also die wirklich schrecklichsten Dimensionen dessen, was da in Deutschland zum Beispiel geschehen ist, in den Lagern, oder was in diesem riesigen Krieg bis 1945 noch alles geschieht. Das vermag er ja hier 1940 nicht zu beschreiben. Aber er gibt ihm schon ein Bild. Es ist kein Trost in diesen Arbeiten, aber es ist auch kein Verzicht auf Hoffnung."
Am 29. Juni 1940 starb Paul Klee an einer Herzlähmung. Sein letztes enigmatisches Bild zeigt nur noch eine Welt, die bereits verlassen wurde, in der - als Spur des Künstlers - einzig ein bekritzeltes Blatt geblieben ist.