Archiv


80er-Jahre Glitzer- und Perücken-Kostümfest

An die Protest-, Selbstverwirklichungs- und Illusionsmaschine der Popmusik dockt Irina Brook an bei ihrer Inszenierung von Ibsens "Peer Gynt" auf der Perner-Insel Hallein für die Salzburger Festspiele. Iggy Pop schrieb ein Lied für das Stück, Sam Shepard übersetzte die Monologe von Peer Gynt neu.

Von Karin Fischer |
    Wer hätte das gedacht: Rockstars sind ruhmsüchtige Egoisten mit einem deutlichen Hang zu Drogen und Frauen, deren Erfolg unter Ausblendung sämtlicher Moral- und Wertvorstellungen zustande kommt, was den etablierten Star zur prima Projektionsfolie für die Normalos macht, ihn selbst aber zur rein äußeren Hülle und zu einem inneren Nichts verkommen lässt. Alles zu wollen, alles zu kriegen, aber ständig auf der Suche nach sich oder vielmehr auf der Flucht vor sich selbst zu sein, ist das Thema, das Irina Brook in diesem Salzburger Auftragswerk in allen möglichen Tönen ausmusiziert, von Blues bis Country, von Gitarren-Poesie bis Rock:

    "Independent Boy” ist eines der Lieder, das Brooks Exfreund Iggy Pop extra für das Stück geschrieben hat, neben Autor und Dramatiker Sam Shepard, der die Monologe von Peer Gynt in neue, traurig-poetische Verse übersetzt hat, die ebenfalls vertont werden, und natürlich passt das Bild des rastlosen Rockstars wunderbar: Ibsens "Lügengeschichten” werden an die Protest-, Selbstverwirklichungs- und Illusionsmaschine "Musik” angedockt, schon ganz am Anfang ist Peer, was die anderen, ob aus Aberglauben oder Furcht, in ihm sehen, eine Projektion. Ein Labyrinth zeigt ihm später, dass er sich selbst verloren hat. Seine Weltenreise im vierten und fünften Akt findet nicht in der marokkanischen Wüste oder im Irrenhaus statt, sondern in einer Provinz-Bar, einer Pressekonferenz in New York oder einer buddhistischen Meditation zur Selbsterfahrung. Nur: Ist das im Jahr 2012 wirklich interessant, vor allem, wenn es ganz schwer als 80er-Jahre Glitzer- und Perücken-Kostümfest daher kommt?

    Irina Brook gehört zu jenen Regisseurinnen und Regisseuren, die einen Stoff gern gemeinsam und durch Improvisation entwickeln und erarbeiten und deren Erfolg auch auf dem Spielerischen und der Atmosphäre im Team beruht. Ihre vielfarbige Truppe besteht aus beeindruckend vielseitigen Schauspielern aus den USA, Norwegen, Ruanda, Frankreich oder Japan; die Solveig ist indischer Herkunft und hat auch schon bei Pina Bausch getanzt, Ingvar Sigurdsson, der Peer Gynt, kommt aus Island, Mireille Maalouf, Mutter Aase, aus Beirut.

    Kraftvoll ist er, auch in der Schwäche noch männlich, dabei eindeutig ein Loser und von Anfang an eher ein altes Kind als ein jugendlicher Welteroberer. Auf quadratischer weißer Spielfläche in der mit ein paar Säulen, wenigen Requisiten und mit vielen Musikinstrumenten ausgestatteten großen Halle wechseln mit ein paar Handgriffen Schauplätze und Stimmungen. Dennoch wirken, trotz des musikalischen Aufwands, die Darsteller oft verhalten und eindimensional, der Text zelebriert statt gespielt, die Inszenierung undynamisch und wie in einer einzigen Lautstärke gehalten.

    ""Your never heard of P.G. and the Trolls?' -

    "Oh, of course, my mother has all your Albums.”"

    Erst als Peer als desillusionierter alter Mann zurückkehrt, sich vom Knopfgießer mehr Zeit erbittet und in Solveigs Schoß seinen Frieden findet, ist etwas vom einfachen Zauber der Regiearbeit auch wirklich zu spüren. Das aber im ungebrochensten, kitschigsten Moment der Inszenierung. Und das gibt dann doch sehr zu denken.