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895 Seiten braune Vergangenheit

Erich Ernst Bruno Priebke, an den Namen kann man sich erinnern: Das war jener SS-Hauptsturmführer, unter dessen Kommando eines der schwersten deutschen Kriegsverbrechen in Italien geschah, der nach dem Krieg nach Argentinien entwich, dort 1994 aufgespürt und in Italien verurteilt wurde, in einem Prozess der Schlagzeilen machte. Inzwischen ist er 91 und steht immer noch unter Hausarrest. Priebke lebt, und schreibt: ein Erinnerungsbuch, oder vielmehr Rechtfertigungsschrift, und Priebke will gelesen werden von den Italienern, selbst wenn er ihnen die Bücher schenken muss. Vae Victis, heißt der Schinken, das ist lateinisch und heißt "Wehe den Besiegten".

Von Thomas Migge |
    Er fühlt sich unschuldig und zu unrecht verurteilt. Erich Priebke sieht sich als ehemaligen SS-Mann, der doch nur seine Pflicht tat: das, was seine Vorgesetzten wollten. Er akzeptiert nicht, dass er vor einigen Jahren nach einem international Aufsehen erregenden Prozess in Rom zu lebenslangem Hausarrest verurteilt wurde, weil er einer der Hauptverantwortlichen für ein Massaker war, bei dem am 24.3.1944 in den römischen Höhlen der Fosse Ardeatine 335 willkürlich ausgesuchte Italiener ermordet wurden.

    Eben weil er sich unschuldig fühlt, brachte er seine Interpretation der Dinge zu Papier. Im Selbstverlag mit dem Namen www.priebke.it verlegt erschien die Autobiographie des Deutschen unter dem Titel "Vae Victis": 895 Seiten dick und 1,38 Kilogramm schwer. Ein Buch, das bisher so gut wie niemand gelesen hat, das aber Thema der Feuilletons ist. Und das, obwohl es in nicht einer einzigen Buchhandlung zwischen Mailand und Palermo ausliegt. "Vae Victis" ist dafür in staatlichen und kommunalen Büchereien zu finden.

    Das linkspolitische Wochenmagazin "Diario" enthüllt in seiner neuesten Ausgabe in einer umfangreichen Reportage, dass die Autobiographie in hunderten von öffentlichen Bibliotheken bereits vorliegt. Per Post sind die einzelnen Bände dort eingetroffen, berichteten aufgebrachte Direktoren dieser Institutionen. Direktoren, die nicht wissen, was sie nun mit diesem Geschenk
    machen sollen. In der Regel verschenken Verlage ihre Bücher nicht und schon gar nicht an Bibliotheken. Was tun? Viele Bibliotheksleiter wandten sich deshalb in den letzten Tagen an Kulturminister Giuliano Urbani. Er soll entscheiden, ob das Geschenk des ehemaligen Nazi angenommen werden soll oder nicht. Im Kulturministerium schweigt man zum Fall Priebke. Erst recht deutschen Journalisten gegenüber. Befürchtet wird ein kulturpolitischer Fauxpax.

    Die Tatsache aber, dass Urbani nicht sofort entschied, dass die Bücher an den Absender zurückgeschickt werden, deutet darauf hin, dass es unter Umständen innerhalb der Regierung politische Kräfte gibt, die alles andere als schlecht über Priebke denken. Es ist bekannt, dass nicht wenige Mitglieder der Regierungspartei Alleanza Nazionale, hervorgegangen aus der neofaschistischen Partei MSI, die Verurteilung Priebkes lautstark kritisiert hatten. Haben sie Priebke dabei geholfen, seinen medienträchtigen Coup mit den Buchgeschenken zu landen? Und, auch das fragen sich viele Italiener, woher hat der Verurteilte das viele Geld, um so ein Buch tausendfach drucken und verschenken zu können? Wer steckt in Wirklichkeit hinter der Buch-Initiative?

    Priebke schweigt zu diesen Fragen. Auch Paolo Giachini, der Verteidiger und Mitautor Priebkes, gibt keine Antworten. Er ist nicht so wohlhabend, um so eine Aktion zu finanzieren. Und der Verurteilte? Er gilt, das muss selbst der Verteidiger der Klägerseite, der Nachkommen der in den Fosse Ardeatine Ermordeten, zugeben, fast so arm wie eine Kirchenmaus. Priebkes Guthaben aus seiner Exilzeit im argentinischen Bariloche sind, so ergaben Ermittlungen, aufgebraucht und seine Söhne, die in den USA leben, lassen nichts von sich hören.

    Könnte es also sein, so fragen sich Kenner der rechten Szene Italiens, dass neonazistische Kreise mit der Buchinitiative das Image eines ihrer Helden aufmöbeln wollen? Vielleicht jene Kreise, gegen die die Staatsanwaltschaft von La Spezia in der Toskana ermittelt? Gemeint ist eine erst vor kurzem entdeckte Hilfsgemeinschaft für ehemalige Nazis, deren Aufgabe darin besteht, das Image der ihren, wie zum Beispiel Priebke, zu verbessern. Eine Hilfsgemeinschaft, soviel wurde durch verschiedene Indiskretionen der Staatsanwaltschaft bekannt, bei der nicht nur alte Männer mitmachen, sondern auch jüngere und junge Ewiggestrige.

    Leute wie jene kleinen italienischen Verleger zum Beispiel, die seit einiger Zeit, seit Alleanza Nazionale in Rom mitregiert, ihr jahrzehntelang geduckt gehaltenes Haupt nun stolz erheben und jetzt ganz offen rechtsradikale Literatur herausgeben und in eigenen Buchhandlungen vertreiben. Viele Fragen sind offen, die Kulturminister Urbani beantworten sollte.