Oscars – so white, so male, so #MeToo? Die 90. Ausgabe der Oscar-Verleihung letzte Nacht war ja die erste nach Öffentlichwerden sexueller Übergriffe in der US-Filmindustrie, unter anderem durch den Produzenten Harvey Weinstein. Ja, da war das moderative Drumherum letzte Nacht vermutlich wichtiger als die Preisverkündigungen. Aber einen #MeToo-Overkill gab es offenbar nicht.
Sigrid Fischer: Hartwig Tegeler, wie politisch war die 90. Ausgabe der Oscars?
Hartwig Tegeler: Wacker geschlagen, würde ich das Ganze mal nennen. Wacker geschlagen hat sich Jimmy Kimmel, der das zweite Mal die Oscars präsentierte in diesen… nach 90 Jahren sozusagen großes Jubiläum. Aber natürlich hat er sich dann auch mal richtig herausgelehnt: Im Gegensatz zu vielen anderen, die Reden hielten, die Verlautbarungen gaben, hat er dann Harvey Weinstein auch benannt. Also die Oscar-Statue stand vor ihm, und er sagte: Das ist endlich mal ein vorbildlicher Mann, der die Hände bei sich behält und keinen Penis hat. Also, wie gesagt, wacker geschlagen. Aber man darf eben nicht vergessen – das Ganze ist eine Luxus-Glamour-Party, auf der sich die Szene selber feiert, die Industrie selber feiert. Da gibt es natürlich Symbole, Verlautbarungen, dieses berühmte: "I want to thank my Mom and Dad".
Und trotzdem gab es in dieser Nacht ein paar positive Ausreißer: Also, das ist ein mal natürlich das gemeinsame Auftreten von Salma Hayek, Ashley Judd und Annabella Sciorra, drei Schauspielerinnen, die in der #MeToo-Debatte sehr federführend sind, die auch Geld sammeln für die Opfer dieser sexuellen Belästigungen …
Der rätselhafte Begriff "Inclusion Rider"
Fischer: … und die betroffen sind.
Tegeler: Die auch betroffen sind, die Harvey Weinstein auch eben der Belästigung beschuldigen. Und was eben auch sehr eindrucksvoll war, das war dieser Einspieler, der dann thematisch noch ein bisschen breiter war, in dem dann weiße, schwarze und Latino-Filmemacherinnen und -Filmemacher wie beispielsweise Mira Sorvino, Lee Daniels, Greta Gerwig, die auch nominiert war, oder auch Dee Rees, eine afro-amerikanische Regisseurin, die diesen wunderbaren, vierfach nominierten Film "Mudbound" gedreht hat – die setzen sich in dem Einspieler für Gleichberechtigung, Vielfalt und gegen Ausgrenzung ein. Also das war wirklich eindrucksvoll.
Und was aber auch sehr, sehr spannend war, das muss man schon sagen, das war die Dankesrede von Francis McDormand. Die hat ja den Oscar bekommen als beste Hauptdarstellerin für den Film "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri". Die bat zunächst darum, man möge sie doch bitte, wenn sie jetzt hyperventiliere – was sich im Übrigen auch so anhörte – vom Boden aufheben, weil sie etwas zu sagen habe. Und das tat sie dann auch, indem sie nämlich alle nominierten Frauen im Saal, Meryl Streep, die 21-fach Nominierte war da Vorreiterin, die mögen doch bitte aufstehen, also ein Zeichen setzen. Und dann kam Francis McDormand uns am Ende, sage ich mal, mit einem Fachbegriff, über den wir, die wir nun vielleicht in der Regel nicht Tag für Tag Verträge in Hollywood aushandeln, wohl doch ein bisschen rätseln sollten:
"So, I'm hyperventilating a little bit. If I fall over, pick me up – 'cause I got some things to say. If I may be so honoured to have all the female nominees in every category stand with me in this room tonight. I have to words to leave with you tonight, ladies and gentlemen: inclusion rider."
Fischer: Ja, Inclusion Rider, da haben alle dann drüber gerätselt. Da geht es um eine Klausel in den Verträgen, wenn man in einem Film mitspielt, ne?
Tegeler: Genau. Und die hat sie jetzt einfach schlichtweg gefordert. Und zwar eine Klausel, eine Vertragsklausel, die die Besetzung eines Films möglichst vielfältig macht. Also, das soll so sein, also Repräsentation von Frauen und Minderheiten sollen quasi ausgeglichen sein. Und man kann es auf Deutsch nennen: eine Gleichheitsklausel oder einen Inklusionsparagrafen.
Fischer: Ja, also ich merke schon: Weniger Symbolik – wie bei den Golden Globes, als die Damen in schwarzen Kleidern auftraten – sondern wirklich klare Worte bei den Oscars gestern. Kommen wir zu den Preisen: Da war ja relativ klar, das Rennen würde sich zwischen "Three Billboards" und "Shape of Water" abspielen. "Shape of Water" hat gewonnen – und damit ja auch ein Stückchen Diversity: "I am an immigrant", hat der Mexikaner Del Toro gesagt. Ist die Entscheidung gut, Bester Film – "Shape of Water"?
Tegeler: Ja, ich finde sie sehr gut. Also, es ist auch falsch, diesen Film als Märchen zu bezeichnet und damit abschätzig zu bezeichnen. Es ist ein Märchen, wie Del Toro auch selber sagt, für unruhige Zeiten. Es geht also um eine Frau, die sich in ein Monster verliebt, ein Fischmonster verliebt, die eine Freundschaft hat mit einem schwulen Nachbarn und einer afro-amerikanischen Kollegin. Da ist schon viel Subtext drin und viel Politisches im Untergrund der Geschichte. Und das dann eben auch noch wunderbar gefilmt. Also, Hollywood hat da quasi so was wie die Quadratur des Kreises geschafft, weil ein Genrefilm – sehr unüblich für Hollywood-Verleihungen, dass ein Genrefilm einen Oscar bekommt – und dann auch noch Filmkunst, und der auch sehr gut ankommt bei Kritik und Publikum. Also, ich finde es ist ein sehr, sehr schöner Film, wenn man so will: ein politischer Märchenfilm, der in diese Zeiten reingehört.
Wie tiefgreifend ist der Strukturwandel?
Fischer: Ja, "Get Out", ein Film über Alltagsrassismus, wurde auch noch berücksichtigt, Spielbergs "Verlegerin" eher nicht – also Herr Trump kam sehr glimpflich weg, glaube ich, mit seinem Angriff auf die Pressefreiheit. Waren denn die Oscars ein Zeichen für Strukturwandel insgesamt? Was haben Sie da für ein Gefühl?
Tegeler: Ja, Frau Fischer, das ist natürlich die große Frage und das ist sehr schwer abzuschätzen. Ridley Scott, der alte Filmregisseur und Hase hat gesagt, diese Büchse, die jetzt aufgemacht worden ist, die kann man nicht wieder zu kriegen. Wollen wir mal hoffen. Francis McDormand hat ja in jedem Fall etwas sehr Konkretes gefordert mit ihren letzten zwei Sätzen, diese Gleichheitsklausel, diesen Inklusionsparagrafen. Also, wenn wir tatsächlich mal fragen: Wie tiefgreifend ist der Strukturwandel? Wie tiefgreifend, und findet er tatsächlich statt? Dann sage ich mal, treffen wir uns in zwei, drei Jahren hier und fragen mal gemäß Inklusionsparagraf: Wie sehen die Besetzungslisten aus? Und dann können wir ernsthaft die Frage beantworten – und zwar nicht nur symbolisch in Smoking und Abendkleid –, wie weit das mit Gleichberechtigung, Vielfalt und Inklusion ist. Vorher können wir, glaube ich, nichts sagen.
Fischer: Genau. In der Praxis eben muss es sich beweisen. Vielen Dank, Hartwig Tegeler.