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90. Todestag von Ferruccio Busoni
Ein Bewahrer und Aufrührer

Ferruccio Busoni ist einer der großen Unbekannten des frühen 20. Jahrhunderts. Er hat als Komponist und Pianist seinen ganz eigenen Weg eingeschlagen - am besten nachhörbar in seinem grüblerischen Hauptwerk, der Oper "Doktor Faust". Vor 90 Jahren ist er gestorben.

Von Wolfgang Schreiber |
    Der Komponist, Pianist und Lehrer Ferruccio Busoni
    Der Komponist, Pianist und Lehrer Ferruccio Busoni (picture alliance / dpa / Ullstein)
    Johann Sebastian Bach trifft auf Ferruccio Busoni, den Pianisten, Komponisten und Arrangeur – den Forscher, Lehrer, Musikschriftsteller. Der Italiener mit deutschen Wurzeln zählte zu den schillerndsten Figuren in Zeiten der Umbrüche zwischen Spätromantik, früher Avantgarde und Erstem Weltkrieg. Das Wagner-Fieber klang gerade aus, Schönbergs Atonalität dämmerte herauf. Dabei ging Busoni, der auf sanfte Art zerrissene, ganz eigene Wege. Der Pianist Busoni folgte dem Übervirtuosen Franz Liszt. Der Musiker und der Denker Busoni aber huldigte, kühn genug, Johann Sebastian Bach.
    Er wagte es, Bachs "Kunst der Fuge" zu bearbeiten
    Fantasia Contrappuntistica heißt die Klavierkomposition, mit der Ferruccio Busoni es wagte, Johann Sebastian Bachs Fragment gebliebenen Zyklus einer "Kunst der Fuge" zu bearbeiten, womöglich zu vollenden. Er wurde zum genialen Klavierbearbeiter, weil er die Ideen älterer Komponisten, von Bach bis Liszt, in der Tiefe begreifen und im Klang noch übersteigern wollte. Bis heute tut sich der Musikbetrieb schwer mit Busonis chamäleonhafter Figur, mit seiner Musik. Der Komponist Wolfgang Rihm fühlt sich von ihm angezogen, ja sogar herausgefordert.
    "Busoni für den unvorbereiteten Hörer vorzubereiten - das geht nicht, weil Busoni ist der Typus des Komponisten, der eigentlich nicht festlegbar ist auf irgendeine Begrifflichkeit, die man in die Hand nehmen kann. Busoni entwischt einem ständig, und vielleicht ist das die beste Einführung, dass man sagen kann: Man kann sich bei Busoni auf nichts verlassen."
    Dass Ferruccio Busoni heutzutage am klassischen Musikhorizont nur verschwommen sichtbar wird, kann nicht verwundern. Sein öffentliches Wirken war enzyklopädisch ausgreifend, seine Wirkung zwingend nur auf die Zeitgenossen, seine Musik klingt noch immer fremd, auf seltsame Weise alt und neu. Der am 1. April 1866 im toskanischen Empoli nahe Florenz Geborene wuchs zweisprachig auf, schon mit zehn spielte er öffentlich Klavier. Es zog ihn bald in die Welt hinaus: Als junger Konzertvirtuose und Klavierlehrer ging Busoni nach Leipzig, dann nach Helsinki, wo er Freund und Förderer des Komponisten Jean Sibelius wurde. Von 1894 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs lebte und arbeitete Busoni in Berlin, als Professor einer Hochschul-Meisterklasse. In Berlin komponierte Busoni viele Jahre an seinem grüblerischen Hauptwerk, der Oper "Doktor Faust", die sich nicht auf Goethe bezieht, sondern auf das mittelalterliche Volksbuch.
    "Ich will das Unbekannte"
    Busoni konnte seine Oper "Doktor Faust" nicht mehr fertigstellen. Er starb am 27. Juli 1924 in Berlin. "Ich will das Unbekannte", so lautete das Glaubensbekenntnis des kämpferischen Musikers und Universalisten. In seiner futuristischen Schrift "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst" steht der entscheidende Satz:
    "Frei ist die Tonkunst geboren und frei zu werden ihre Bestimmung – durch die Ungebundenheit ihrer Unmaterialität."
    Als eine Prophetenfigur der Zukunft offenbart sich heute der Pianist, Komponist und bekennende Intellektuelle Ferruccio Busoni. Bewahrer und Aufrührer. Wie hat Wolfgang Rihm Busonis Musik einmal genannt? "Eine abenteuerliche Mischung aus Schönberg, Richard Strauss und dem späten Franz Liszt". Zu den Absonderlichkeiten in Busonis Schaffen gehört das mehr als einstündige Klavierkonzert mit Männerchor - wie Beethovens Chorfantasie eine Mixtur aus Instrumentalkonzert und Kantate. Ein Fanal für den utopischen Geist des Ferruccio Busoni.