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90er-Jahre
Dieses ganze Lack- und Boa-Gedöns

Hans Peter Geerdes kennt man besser unter dem Namen H.P. Baxxter. Er ist der Sänger und Rave-Einpeitscher der Band Scooter. Mit Hits wie "Hyper Hyper" prägte er den Sound der 90er weltweit mit. Jetzt moderiert er den "Summer of the 90s" beim Kultursender ARTE.

Hans Peter Geerdes im Gespräch mit Eric Leimann |
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    Baxxter mit seiner Gruppe Scooter auf einem Konzert. (Ole Spata/dpa)
    Eric Leimann Wenn man am Ende eines Jahrzehnts steht und sich überlegt, was für das Jahrzehnt prägend war, ist das ja meistens ganz schön schwierig, das zu sagen. Weil man noch nicht genug Abstand hat. Haben wir jetzt genug Abstand, um über die 90-er als Ganzes zu reden?
    Hans Peter Geerdes Also, ich denke schon. Wenn man überlegt: Die ganzen Nullerjahre, was alles passiert ist, das ist für mich schon alles sehr, sehr weit weg. In den 80-ern war es New Wave, Punk. Und in den 90-ern Techno, Grunge. Und ich finde auch, das ist in den Nullerjahren ausgeblieben. Ich könnte jetzt nicht sagen, was jetzt von 2000 bis 2009 musikalisch eine bahnbrechende Entwicklung war oder ein Genre, das neu entstanden ist. Das waren alles Sachen, die es schon in den 90-ern gab, die weiterentwickelt wurden. Und dann kam das mit Scooter, der Erfolg praktisch über Nacht. Plötzlich wurde das Leben auf den Kopf gestellt, das war das persönliche Empfinden, aber - so allgemein - war es doch ein deutlicher Umbruch. Auch gesellschaftlich, durch die Maueröffnung, alles, was dann kam. Ich habe mit Sccoter unsere ersten Discoauftritte in den neuen Bundesländern waren richtig abenteuerlich, ich denke da sehr gerne dran zurück: So diese Zeit, wo wir selber mit dem Kombi am Wochenende losgefahren sind, hinten drin auf der Ladefläche die Keyboards, auf dem Rücksitz die Tänzerinnen und dann sind wir von Disco zu Disco getingelt.
    Leimann Reden wir doch ruhig noch mal über die 90-er und was sie ausmachten - abseits von dem persönlichen Weg. Wenn Sie an prägende Dinge denken aus den 90-ern, was fällt Ihnen dann ein?
    Geerdes Sicherlich war das zum ersten Mal eine Riesendiskussion, was die Medien anging, als Prinzessin Diana gestorben ist. Also das war schon ... die Nachricht war für mich so unwirklich, das konnte man sich gar nicht vorstellen. Und dann eben diese Diskussion hinterher, dass sie praktisch durch die Paparazzi so getrieben ... und dann fing das erstmals an, dass man im Bewusstsein hatte, was auch Medien machen können ... oder ...
    Leimann Wenn wir schon über die Medien sprechen: Wie gehen Sie selbst damit um, dass man in den 90-ern Scooter eher als Trash belächelt hat?
    Geerdes Es ist bei uns einfach dieses Abschalten, Feiern, Vollgas geben und eigentlich so dem Alltag zu entfliehen, das war von Anfang an unsere Intuition. Und das wurde von einigen vielleicht auch nicht ganz verstanden und deswegen mit Argwohn betrachtet. Dann kommt noch hinzu, der eigene Prophet gilt im eigenen Land nichts. Dass wir schon parallel damals im Ausland wirklich große Erfolge hatten und da auch durchaus ernsthafte Interviews gegeben haben, was hier zu dem Zeitpunkt noch gar nicht möglich war.
    Leimann Diese Eurodance-Szene - kann man denn retrospektiv erklären, wo dieser große Erfolg herkam? Was die Leute da auf einmal dran begeistert hat?
    Geerdes Für mich persönlich war diese Eurodance-Szene damals zu platt, muss ich ehrlich sagen. Es war immer nach dem selben Schema: Schwarzer Rapper oder männlicher Rapper, Sängerin. Und dann dieser einfache Beat drunter... Gut, ich muss zugeben, es gab viele Songs, die fand ich selber auch gut. Aber im großen und ganzen wollten wir bewusst uns da nicht eingliedern, weil wir haben uns immer gesehen mehr in der Techno-Szene. Unser Problem mit Scooter war, dass wir immer zwischen den Stühlen waren. Da gab es die Techno-Szene, die uns nicht akzeptiert hat. Dann gab es die Eurodance-Szene, die fanden selbst wir zu kommerziell (lacht) und irgendwo dazwischen war Scooter. Es gab da sicherlich auch qualitativ gute Sachen wie eben Snap oder Culture Beat, die waren auch super produziert und jede Menge Nachahmer, die das mit sehr einfachen Mitteln kopiert haben, deshalb gab es da so einen Wust von Titeln zu der Zeit, die alle gleich strukturiert waren.
    Leimann Aber gab es auch so eine richtige Hörerschaft, die man charakterisieren konnte? Oder waren es Leute, so durch die Bank weg, weil es eben der Mainstream war?
    Geerdes Also, ich glaube, das waren so die ganz normalen Jugendlichen. Das lief im Radio, tat niemandem weh. Auf den Partys, wo ich mich befand am Wochenende, wurde das sicherlich nicht gespielt. Das waren eben Raves, Techno-Veranstaltungen und diese Eurodance-Sachen liefen ja wirklich im Radio rauf und runter. Und das war eigentlich ganz schön zu dieser Zeit, da kamen auch viele Sender neu an den Start, Anfang der 90-er. Also Jugendsender, N-Joy Radio, erinnere ich mich. Damals waren die wirklich innovativ, da wurden auch Dinge gespielt, die man eben sonst nicht im Radio gehört hat. Das ist dann irgendwann alles wieder verwässert über die Jahre und heutzutage ist es fast beliebig, welchen Sender man einschaltet, es ist überall ungefähr das Gleiche.
    Leimann Es wird ja auch als das Jahrzehnt der Dance Music bezeichnet, die 90-er. Also, wo das Ganze von den Subkulturen in den Mainstream gegangen ist. Gibt es einen Grund dafür, warum die Leute in den 90-ern so tanzwütig waren?
    Geerdes Ja, es hat sich so....das ganze Lebensgefühl hat sich verändert, wie ich schon erwähnte, auch durch diese Grenzöffnung, die politische Situation. Dann aber eben auch dieses „No Future" und dieses Depressive aus den 80-ern hatte man langsam satt, glaube ich. Und dann kam auch eine neue Generation. Plötzlich war diese Musik da - kurz aufgeflackert als Acid House, was aber nur so ein ganz kurzes Aufflackern war, da dachte man schon: Oh, ein kurzer Hype. Und dann kam das so richtig aus dem Underground, diese Techno-Faszination. Alles, was dazu gehörte, diese ganz neue Art von Raves und Partys, was man vorher gar nicht kannte. Früher ging man da in seine Disko, Großraumdisko oder Club und das war's. Plötzlich gab's riesige Events in jeder Großstadt. Raves mit den tollsten DJs. Die DJs wurden zu Superstars, das war ein riesiger Umbruch.
    Leimann Hätte diese Kultur auch ohne Drogen funktioniert oder eigentlich gar nicht?
    Geerdes Also das ist jetzt so eine Grundsatzfrage. Drogen, da kann man fragen: Hat jemals irgendeine musikalische Evolution ohne Drogen, hätte das funktioniert? Das war ja in den 60-ern diese ganze Psychedelic-Schiene, Woodstock, was weiß ich, also irgendwelche Drogen gab es glaube ich zu jeder Epoche, die gerade „in" waren. Ich muss sagen: Zum Glück ist der Kelch an mir vorbeigegangen (lacht) und ich sitze hier heute noch. Also, klar, was man beobachtet hat, dass sehr viel, gerade in dieser Rave-Anfangsphase wurden sehr viele Pillen eingeworfen. Ich hatte immer Schiss davor, hab's nie probiert. Weil ich mich auch selber kenne und alles, was mir gefällt, da habe ich Schwierigkeiten, davon zu lassen, loszulassen. Ich hab's einfach nicht probiert und bei mir hat's wunderbar auch ohne funktioniert, aber ich glaube schon, dass auch viele, die jetzt nicht so von der Musik gepackt wurden wie ich, die aber dieses ganze Drumherum toll fanden, sich so haben mitreißen lassen und fanden das vielleicht toll, auf Droge oder in irgendeine andere Dimension einzuklinken.
    Leimann Was finden Sie peinlich an den 90-ern, wenn sie es heute sehen oder hören?
    Geerdes Ja, das ist ja oft so ne Sache. Ich finde, fast jedes Jahrzehnt hat im Nachhinein betrachtet sehr viel peinliche Aspekte. Außer die 60-er, komischerweise. Die finde ich immer so stylisch (lacht)...selbst die 70-er, wenn man manchmal diese Plateauschuhe und was da alles dazugehörte. Das wirkt ja dann irgendwann lächerlich. Und so ist es auch in den 90-ern. Dieses ganze Lack und Boa-Gedöns und diese Schuhe, ich weiß gar nicht, das sah zum Teil - in Nachhinein betrachtet schrecklich aus eigentlich.
    Leimann Haben Sie einen Lieblingsfilm und ein Lieblingsalbum aus den 90-ern?
    Geerdes Ja, ich habe einen Lieblingsfilm, der heißt „Fargo" - von den Cohen-Brüdern. Ich mag die Filme sehr, die sind irgendwie anders, die sind skurril, da gab es auch plötzlich Schauspieler, die hat man vorher nie gesehen oder jedenfalls nicht bewusst. Diesen Steve Buscemi oder den Macy. Und seitdem bin ich da so ein bisschen Fan und das war der erste Film, der mir auffiel, ich glaube von 96 ist der Fargo.
    Leimann Und die ikonenhaften Alben aus den 90-ern, auch wenn man selber vielleicht schon nicht mehr in der Phase war, in der man stark von Musik neu geprägt wird. Aber gibt es ikonenhafte Alben aus den 90-ern für Sie?
    Geerdes Bei mir war es in den 90-ern so, dass das Album weniger relevant wurde als Tonträger sondern viel mehr die Maxis. Im Dance-Bereich kamen ständig irgendwelche neuen Tracks raus. Es war nicht mehr so: Ich habe die Lieblingsband X und kaufe mir jedes Album, sondern plötzlich war: Der DJ hat ne neue Scheibe und dann kam Westbam, dann kam Sven Väth und irgendwelche neuen Releases jede Woche. Das hat sich da sehr verändert. Weil früher war es tatsächlich so: Man hat gewartet, bis endlich ein Album rauskam und in den 90-ern habe ich mir fast nur Maxis gekauft oder Vinyl.
    Leimann Also ist die Maxi die ikonenhafte Platte der 90-er?
    Geerdes Ja, ganau (lacht).
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.