(In dieser schriftlichen Fassung des Beitrags fehlen die Wortlaute eingespielter Originalaufnahmen von Lesungen und Interviews mit dem Schriftsteller. Zu hören sind sie im Audiofile der Sendung.)
Keine zehn Kilometer von hier entfernt sitzt ein Mann in seiner Wohnung und hört dieser Sendung zu. Er hat einige Freunde um sich versammelt. Er ist entschuldigt, er konnte heute nicht zu uns ins Studio kommen, der Weg von der Taubengasse ins Funkhaus wäre ohnehin eine Weltreise für ihn gewesen, die wir ihm nicht zumuten wollten, denn es ist sein Geburtstag, sein 95. Geburtstag, der 95. Geburtstag eines Hommes de lettre, ohne den das literarische Leben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts langsamer in Gang gekommen wäre als es kam, ohne den viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Lyrikerinnen und Lyriker, Erzählerinnen und Erzähler, deren Namen heute in aller Munde sind, gar nicht erst die literarische Bühne hätten betreten können. Herzlichen Glückwunsch zum 95. Geburtstag, Hans Bender.
Am 1. Juli 1919, ein Jahr nach dem Ende des Weltkriegs, wurde er als Spross einer Gastwirtsfamilie in Mühlhausen im Kraichgau geboren, er besuchte Internate in Bruchsal und Sasbach. In den soeben im Rimbaud Verlag erschienen Band mit "Aufzeichnungen" erinnert sich Hans Bender an diese Zeit. Sie kulminieren in dem Satz:
"Wir wuchsen hinein in den ideologischen Irrsinn, der alles Verlangen nach Freiheit erstickte."
"Self-Made-Unternehmen"
Nach dem Abitur und dem Beginn seines Studiums in Erlangen, nach dem Krieg, genauer, nach Arbeitsdienst und Rückkehr aus russischer Gefangenschaft konnte Hans Bender erst 1949 an der Universität Heidelberg mit der Germanistik weiter machen. Doch das Studium vergangener Literatur in Zeiten, da alle Zeichen auf Aufbruch standen, erfüllte ihn nicht, er gab es auf. Lieber als in Hörsälen hielt er sich in Buchhandlungen auf und stöberte herum in den Stapeln mit Neuerscheinungen. Und suchte die Nähe zu jungen Menschen, die schrieben wie er, denen er Gehör zu verschaffen trachtete. Er gründete in der Tradition der in der Nazizeit verbotenen "Eremitenpresse" eines V.O. Stomps (1897 – 1970) die Zeitschrift "Konturen". Auch das ein "Self-Made-Unternehmen". Bender finanzierte sie mit eigenem Taschengeld. Sodann, wir sind noch den frühen 50er Jahren, lernte er einen Mann kennen, der wie er Ausschau hielt nach neuen Stimmen, Stoffen und Schreibweisen in der deutschen Gegenwartsliteratur. Es war Walter Höllerer, mit dem Hans Bender die Zeitschrift "Akzente" gründete. Sie avancierte zu einer der bedeutendsten Literaturzeitschriften Deutschlands und existiert noch heute, dankbar weiter geführt von Michael Krüger.
Zeitschriftenherausgeber wie Hans Bender waren sich schnell einig darin, dass die Vorbilder der neuen Zeit nicht aus einem auch literarisch versehrten Deutschland kommen konnten, sondern aus Welten, in denen literarische Gattungen gepflegt wurden, die stilbildend auch für ein junges Deutschland sein sollten: die Kurzgeschichte. Und die besten Kurzgeschichten, siehe Ernest Hemingway, kamen aus Amerika. Diese Gattung in Schwung zu bringen, war eines der Verdienste des Hans Bender.
Zeitschriftenherausgeber wie Hans Bender waren sich schnell einig darin, dass die Vorbilder der neuen Zeit nicht aus einem auch literarisch versehrten Deutschland kommen konnten, sondern aus Welten, in denen literarische Gattungen gepflegt wurden, die stilbildend auch für ein junges Deutschland sein sollten: die Kurzgeschichte. Und die besten Kurzgeschichten, siehe Ernest Hemingway, kamen aus Amerika. Diese Gattung in Schwung zu bringen, war eines der Verdienste des Hans Bender.
Nach einem Zwischenstopp in Mannheim zog Hans Bender 1959 in die Stadt, in der Heinrich Böll lebte, Albrecht Fabri, auch ein Jürgen Becker, der für die neue literarische Avantgarde und auch in der Gunst Hans Benders stand. Hans Bender zog in die Stadt also, in der er auch heute noch lebt: nach Köln. Über Hans Benders Verhältnis zu seiner Heimatstadt und das Verhältnis der Kölner Literaturszene zu ihm ist ein schönes Buch erschienen. Es heißt "In der Stadt, wo du lebst". Es versammelt Reden, Gedichte, Tagebuchaufzeichnungen, Selbstzeugnisse, Fotos, es ist erschienen im "Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner".
Hans Bender war bis 1962 Leiter des Feuilletons der "Deutschen Zeitung", danach bis 1964 Chefredakteur des Magazins "Magnum", eine kurze Zeit lang Lektor im Münchner Hanser Verlag, aber Köln war und blieb seine Heimat, hier verkehrte er in Szenekneipen wie dem "Cami", hier waren auch die großen Rundfunkstationen, ohne deren damals großzügig bemessene Sendezeiten für Literatur das literarische Leben in Deutschland ärmer gewesen wäre. Der Deutschlandfunk existierte gerade einmal zwei Jahre, da kam Hans Bender in unsere Studios und las einen Essay, der von einer Modernität zeugt, die heute noch aktuell anmutet. Sein Kronzeuge war just jener irische Schriftsteller, der so gar nichts mit den Gewohnheiten einer Literatur, wie sie die Gruppe 47 um einen Günter Grass oder Martin Walser in Deutschland propagierte, zu tun hatte: James Joyce. Ihm und seiner "Ulysses" widmete er am 20. November 1964 seinen Essay mit dem stillen Titel "Meditation über das Erzählen":
Hans Bender war bis 1962 Leiter des Feuilletons der "Deutschen Zeitung", danach bis 1964 Chefredakteur des Magazins "Magnum", eine kurze Zeit lang Lektor im Münchner Hanser Verlag, aber Köln war und blieb seine Heimat, hier verkehrte er in Szenekneipen wie dem "Cami", hier waren auch die großen Rundfunkstationen, ohne deren damals großzügig bemessene Sendezeiten für Literatur das literarische Leben in Deutschland ärmer gewesen wäre. Der Deutschlandfunk existierte gerade einmal zwei Jahre, da kam Hans Bender in unsere Studios und las einen Essay, der von einer Modernität zeugt, die heute noch aktuell anmutet. Sein Kronzeuge war just jener irische Schriftsteller, der so gar nichts mit den Gewohnheiten einer Literatur, wie sie die Gruppe 47 um einen Günter Grass oder Martin Walser in Deutschland propagierte, zu tun hatte: James Joyce. Ihm und seiner "Ulysses" widmete er am 20. November 1964 seinen Essay mit dem stillen Titel "Meditation über das Erzählen":
Verdienste um die Rezeption zeitgenössischer Lyrik
Just in diesem Jahr, 1964, also vor genau fünfzig Jahren, erschien auch seine epochale Lyrik-Anthologie "Mein Gedicht ist mein Messer". Nicht die einzige dieses Mannes, der sich um die Rezeption zeitgenössischer Lyrik Jahrzehnt um Jahrzehnt verdient gemacht hat. Wir Lyrikleser denken an die 1978 erschienene Anthologie "In diesem Lande leben wir". Wer in der zweiten Hälfte der 70er Jahre Literaturgeschichte studierte, kam um dieses Buch nicht herum. In einer Zeit, da man mehr Gedichte las und über Lyrik sehr viel mehr und leidenschaftlicher diskutierte als heute, gehörte "In diesem Lande leben wir" geradezu zur Pflichtlektüre. 1988 erschien die Anthologie "Was sind das für Zeiten. Deutschsprachige Gedichte der 80er Jahre." Wir blättern sie auf. Sie alle sind darin noch oder schon vertreten: Ernst Meister, Nicolas Born, Rose Ausländer, Hilde Domin, Erich Fried, Johannes Poethen, Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf, Jürgen Becker, Wulf Kirsten, Sarah Kirsch, Helga M. Novak, Karin Kiwus, Michael Krüger, Ralf Rothmann und Arnold Stadler und Ulla Hahn.
Bei allen Verdiensten, die Hans Bender als Essayist und Herausgeber von Lyrikanthologien hat, bei allem Respekt vor seiner Entdeckerlust, die dieser von Gestalt her so zarte Mann niemals marktschreierisch herausposaunte, sondern mit leisen Worten ins Bewusstsein der literarischen Welt wehte, bei allen Verdiensten, die diese so stille, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnete Persönlichkeit unseres literarischen Lebens erwarb, dürfen wir nicht seine Verdienste als Autor von Prosa und Lyrik vergessen. "Die Wölfe kommen zurück", "Der Brotholer", "Iljas Tauben" – Kurzgeschichten, die in deutschen Schulbüchern stehen, in viele Sprachen übersetzt. Der Rimbaud-Verlag gibt Hans Benders Werke heute kontinuierlich wieder heraus.
Heute wird Hans Bender 95 Jahre alt. Naturgemäß dürfen wir nicht davon ausgehen, dass er das 100. Lebensjahr erreicht. Auf dem Schreibtisch liegen heute nicht nur Medikamente, ein Stapel mit Geburtstagspost stapelt sich. Ich erinnere mich noch gut, als ich aus Anlass seines 90. Geburtstages bei ihm zu Hause empfangen wurde. Wie er erzählte von seinen Weggefährten, die zu überleben eine Last sei, wie traurig er sei, mit ihnen keine Briefe mehr wechseln zu können. Hoffen wir, dass der Äther es schafft, unseren Gruß an alle, die den Dichter Hans Bender heute im Himmel hören wollen, eingeschaltet haben und seine Gedichte hören, die ich auf dem Kassettenrekorder aufnahm. Die letzten aufgenommen lauten:
Wie es kommen wird?
Bei mir behalten
Oder weiter sagen?
Du wirst alt sein
Und wie Hiob klagen
Bei mir behalten
Oder weiter sagen?
Du wirst alt sein
Und wie Hiob klagen
Zeitungslektüre
Die Wölfe kommen
In der Nacht
In unsre Städte
Sie fürchten die Menschen nicht mehr
Die Wölfe kommen
In der Nacht
In unsre Städte
Sie fürchten die Menschen nicht mehr
Für
Abschiede
Lassen sich nicht erlernen
Der allerschwerste
Steht nun bevor
Abschiede
Lassen sich nicht erlernen
Der allerschwerste
Steht nun bevor
Heute wird Hans Bender 95 Jahre alt. Die literarische Welt Deutschlands verneigt sich vor ihm.
Hans Benders Bücher sind im Rimbaud Verlag erhältlich.