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Aapo Häkkinen spielt Bach
Cembalo-Concerti für 3 und 4

Kaum ein anderer Barockkomponist hat sich so intensiv mit dem Cembalo auseinander gesetzt, wie Johann Sebastian Bach. Unter anderem komponierte er groß besetzte Konzerte mit drei und vier Cembali. Mit ihnen beschloss Aapo Häkkinen seine Reihe mit den Concerti, die er vor 9 Jahren begonnen hatte.

Am Mikrofon: Klaus Gehrke |
    Die Mitglieder des Helsinki Barockorchester sind in einem Halbkreis aufgestellt, manche sitzen auf auf einem Tisch oder knien davor, im Hintergrund ein festlicher Saal mit Säulen und Parkett. Es sind hier 18 Musikerinnen und Musiker in normaler Kleidung, sie halten ihre Instrumente in der Hand. Der Dirigent und Cembalist sitzt links auf einem Tisch inmitten des Ensembles, er trägt ein dunkles, gestreiftes Hemd und einen schwarzen Wollschal um den Hals.
    Der Cembalist Aapo Häkkinen (3.v.l.) leitet das Helsingin Barokkiorkesteri seit 2003, es gehört international zu den führenden Alte-Musik-Ensembles. (Heikki Tuuli)
    Der Cembalist, Organist und Dirigent Aapo Häkkinen gehört nicht nur zu den herausragenden Stars der Alte-Musikszene in seiner Heimat Finnland, sondern hat sich auch international einen guten Namen gemacht. Vor einigen Jahren begann er mit seinem Helsinki Chamber Orchestra, für das Label Aeolus alle Cembalokonzerte von Johann Sebastian Bach einzuspielen. Nach drei CDs mit den Konzerten für ein und zwei Soloinstrumente ist nun die vierte mit denen für drei und vier Cembali erschienen.
    Musik: J.S.Bach, Konzert für vier Cembali BWV 1065, 1. Satz
    Wenn Johann Sebastian Bachs Konzert mit der Werkverzeichnisnummer 1065 auf dem Programm steht, wird es auf der Bühne voll: Denn dann gibt es vier meist prächtig anzuschauende Nachbauten historischer Cembali zu bewundern, die das dahinter spielende Orchester manchmal fast verdecken. Die Instrumente, die Aapo Häkkinen und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter bei der vorliegenden Aufnahme verwenden, erbaut unter anderem vom Hamburger Martin Kather oder Keith Hill aus Manchester, sind äußerlich sehr schlicht. Dafür überzeugen die Musikerinnen und Musiker auf ihnen mit einer ausgefeilten Interpretationskunst.
    Instrumente vier verschiedener Cembalo-Bauer
    Das Konzert a-Moll für vier Cembali, Streicher und Basso continuo schrieb Bach vermutlich um 1730 in Leipzig. Es gilt als Endpunkt seiner Beschäftigung mit dem Werk von Antonio Vivaldi. Bereits während seiner Zeit als Hofkapellmeister in Weimar hatte Bach etliche Violinkonzerte seines italienischen Kollegen bearbeitet. Wurde hier Solo- und Orchesterpart auf ein einzelnes Tasteninstrument wie Cembalo oder Orgel übertragen, so beschritt Bach im Fall von Vivaldis Konzert h-Moll für vier Violinen aus "L'estro armonico" einen anderen Weg: Mit der Umsetzung der Solostimmen auf vier Tasteninstrumente erweiterte er deren Part erheblich und setzte damit neue kontrastierende Akzente.
    Kammermusikalische Besetzung
    Sowohl dieses Konzert als auch die beiden für drei Cembali WV 1063 und 64 waren für die Auftritte des Bachischen Collegium Musicum im Leipziger Kaffeehaus Zimmermann bestimmt, die Bach zusammen mit seinen beiden ältesten Söhnen und besonders guten Schülern ab 1730 dort veranstaltete. Zwar fasste der Saal des historischen Gebäudes etwa 200 Zuhörende; für die Ausführenden dürfte der Platz jedoch eher begrenzt gewesen sein. Aus diesem Grund hat sich die Besetzung für die begleitenden Streicher seit Beginn der historisch informierten Aufführungspraxis kontinuierlich reduziert. Heute werden diese meist nur noch solistisch besetzt – so auch in Häkkinens neuer Einspielung, wo sein Kammerorchester gerade mal fünf Streicher umfasst.
    Musik: J.S.Bach, Konzert für drei Cembali BWV 1063, 1. Satz
    Die Kombination von Bachs Konzerten für drei und vier Cembali für Studioproduktionen hat eine lange Tradition, die bis in die 60er Jahre zurückreicht. Immer eröffnet das Konzert in d-Moll WV 1063 diese Trias. Aus dessen erstem Satz erklang gerade ein Ausschnitt mit Miklós Spányi, Cristiano Holtz und Aapo Häkkinen, der auch das Helsinki Chamber Orchestra leitet.
    Gemäßigte Tempi
    In diesem Werk schlägt Bach einen ungewöhnlich strengen und düsteren Ton an, der lediglich im langsamen zweiten Satz unterbrochen wird. Verglichen mit älteren Aufnahmen gehen Häkkinen und seine Kollegen vor allem die Ecksätze mit eher gemäßigtem Tempo an. Statt auf Virtuosität setzen sie eher auf filigrane Ausarbeitung von Läufen und Verzierungen. Auch die Tutti-Solo-Passagen werden nicht blockhaft scharf akzentuiert, sondern weisen mehr sanftere Übergänge auf.
    Einen tänzerischen Charakter hat der zweite Satz, den Bach mit "alla siciliana" überschrieb. Hier nehmen sich die Streicher gerade in den Pizzicato-Passagen sehr zurück und setzen ganz zarte Akkordtupfer zu den Solopassagen der Cembali.
    J.S.Bach, Konzert für drei Cembali BWV 1063, 2. Satz
    Original oder Bearbeitung?
    Über die Entstehung des zweiten Konzerts für drei Cembali in C-Dur WV 1064 ist sich die Bachforschung nicht einig: Ist es ein Originalwerk für diese Besetzung oder ist es die Bearbeitung eines verschollenen Konzertes für drei Violinen? Für letztere These spricht, dass Abschriften des Stückes auch in der Tonart D-Dur existieren. Möglicherweise haben bei der Bearbeitung des Violinkonzertes Bachs Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel ihre Soloparts selbst geschrieben.
    Ob nun Original oder Bearbeitung: Mit seinem strahlenden Charakter bildet das Konzert einen deutlichen Kontrast zu dem in d-Moll.
    Musik: J.S.Bach, Konzert für drei Cembali BWV 1064, 1. Satz
    Häkkinens neue Aufnahme von Bachs Konzerten für drei und vier Cembali wirkt klanglich sehr intim – so, als wären die Werke in einem kleinen Raum aufgenommen worden. Tatsächlich diente die spätgotische Kirche des kleinen finnischen Ortes Janakkala als Produktionsort. Ein Foto im Booklet verdeutlicht die Positionierung der Instrumente im Altarbereich: den drei nebeneinander platzierten Cembalisten sind die Streicher gegenübergestellt.
    Interessant ist ein Vergleich mit der Einspielung des niederländischen Cembalisten und Dirigenten Pieter-Jan Belder mit dem Ensemble Musica Amphion, die Bachs Konzerte 2006 vermutlich ebenfalls in einer Kirche eingespielt haben. Diese Aufnahme klingt etwas brillanter und halliger. Interpretatorisch wählt Belder etwas schnellere Tempi als Häkkinen.
    Musik: J.S.Bach, Konzert für drei Cembali BWV 1064, 3. Satz
    Die gleiche Stelle wirkt bei Häkkinen eine Spur ruhiger, lässt in punkto Spannung und musikalischer Brillanz jedoch nichts vermissen – außer, dass sie kammermusikalischer klingt.
    Musik: J.S.Bach, Konzert für drei Cembali BWV 1064, 3. Satz
    Im C-Dur-Konzert sah Bach einen verstärkten Basso continuo vor, der aus Violoncello und Violone, dem Vorläufer des Kontrabasses, bestand. Zwar fehlen die Besetzungsangaben für die beiden anderen Konzerte; allerdings macht diese Art des Continuo auch hier durchaus Sinn und gibt vor allem den Tutti-Passagen eine kraftvolle Tiefe.
    Schon zu Bachs Zeiten eine ungewöhnliche Besetzung
    Die schon zu Bachs Zeiten ungewöhnliche Konzertbesetzung mit drei oder vier solistischen Tasteninstrumenten erfreute sich noch lange nach dem Tod des Leipziger Thomaskantors großer Beliebtheit. Möglicherweise regte sie sogar den jungen Mozart zu seinen beiden Konzerten für zwei und drei Klaviere an. Allerdings schrieben er und seine nachfolgenden Komponistenkollegen Klavierkonzerte eher als Ausdruck der eigenen Virtuosität, die nach ungeteilter Aufmerksamkeit verlangte. Konkurrenz in Form von anderen Solisten im gleichen Stück wurde zunehmend unerwünscht.
    In Bachs Konzert a-Moll WV 1065 nach Vivaldis Concerto für vier Violinen werden dagegen alle vier Cembalisten gleichermaßen mit dankbaren Solopartien bedacht; sie können ihre Künste sehr effektvoll jeweils abwechselnd und dann wieder zusammen präsentieren. Das vierte Cembalo spielt in der Aufnahme Anna-Maaria Oramo – neben Miklós Spányi, Cristiano Holtz und Aapo Häkkinen.
    So international wie das Zusammenspiel der Cembalovirtuosen ist – Oramo und Häkkinen stammen aus Finnland, Spányi ist Ungar und der gebürtige Brasilianer Holtz lebt in Protugal, – so facettenreich präsentiert sich auch der Klang der nachgebauten Instrumente. Denn die gehen auf Originale zurück, die zwischen 1680 und 1769 in Hamburg, Antwerpen, Paris und Italien gefertigt wurden.
    Musik: J.S.Bach, Konzert für vier Cembali BWV 1065, 3. Satz
    Das war ein Ausschnitt aus dem letzten Satz des Konzerts für vier Cembali, Streicher und Basso continuo von Johann Sebastian Bach mit Anna-Maaria Oramo, Miklós Spányi, Cristiano Holtz und Aapo Häkkinen. Dieser leitete auch das Helsinki Chamber Orchestra.
    Werk eines Bach-Schülers beschließt die Reihe
    Die CD wird abgerundet mit einem Werk von Johann Gottfried Müthel, der zu den letzten Schülern Johann Sebastian Bachs zählte. 1722 in Mölln geboren, gilt er zusammen mit dem acht Jahre älteren Carl Philipp Emanuel Bach als Hauptvertreter der musikalischen "Sturm und Drang"-Epoche. Nach einer kurzen Dienstzeit am Hof des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin zog Müthel nach Riga, wo er 1767 das Amt des Domorganisten an St. Petri übernahm.
    In Riga entstand 1771 sein Duetto Es-Dur für zwei Clavichorde, eine groß angelegte dreisätzige Sonate mit über einer halben Stunde Spieldauer. In ihr wendet Müthel sich deutlich der Vorklassik zu, während die zum Teil überbordenden Verzierungen noch an spätbarocke Traditionen erinnern.
    Ähnlich wie die Klavierwerke seines Freundes Carl Philipp Emanuel Bach galten Müthels Kompositionen bei seinen Zeitgenossen als besonders ausdrucksstark und originell, wurden aber auch als "exzentrisch" kritisiert.
    Für die nicht in Finnland, sondern in Stockholm entstandene Aufnahme verwenden Aapo Häkkinen und Miklós Spányi zwei originale Clavichorde, deren Klang dem Stück einen eigenwilligen Reiz verleiht. Gefertigt wurden sie vor 1800 von dem Stockholmer Instrumentenbauer Pehr Lindholm und seinem Regensburger Kollegen Christoph Friedrich Schmahl.
    Musik: J.G.Müthel, Duetto Es-dur für zwei Tasteninstrumente (Ausschnitt)
    Johann Sebastian Bach
    Cembalokonzerte Vol.4
    Konzerte für 3 & 4 Cembali BWV 1063-1065
    +Müthel: Duetto Es-Dur für 2 Cembali
    Aapo Häkkinen, Miklos Spanyi, Cristiano Holtz, Anna-Maaria Oramo, Cembalo
    Helsinki Baroque Orchestra
    Aeolus -10107, DDD, 2019
    LC-02232 //4026798101077