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Abbruch der Syrien-Gespräche
"Russland hat sich nicht an seine Zusagen gehalten"

Der ehemalige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz findet es verständlich, dass Washington die Friedensverhandlungen zu Syrien abgebrochen hat. Er sagte im Deutschlandfunk, jetzt könne sich Russland nicht mehr hinter der Aussage verstecken, dass es eigentlich Frieden wolle.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Christine Heuer |
    Ruprecht Polenz, der offizielle Vertreter der Bundesregierung im Dialog mit Namibia über den Völkermord an den Herero und Nama.
    Ruprecht Polenz: "Jetzt haben sich den Himmel für sich, Aleppo unter sich und können die Bomben schmeißen." (imago / Metodi Popow)
    Nach Polenz' Ansicht haben Assad und Russland die Diskussion um einen Waffenstillstand dazu genutzt, um Friedenswillen vorzugeben, wo keiner gewesen sei. Wenn man ihnen das nun nicht mehr durchgehen lasse, sei klar, wer schuld ist. Aus der Sicherheit von Russland und Assad sei jeder, der gegen das Regime kämpfe, ein Terrorist – "und auf diese Lesart dürfen wir uns nicht einlassen", so Polenz.
    Der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag warf Russland vor, sich nicht an Zusagen gehalten zu haben. Moskau und das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hätten nie aufgehört, die Stadt Aleppo unter Druck zu setzen. Die Luftangriffe dort seien so verheerend gewesen, dass die Amerikaner gesagt hätten: Was nützt ein Gesprächsergebnis, an das sich Russland nicht halte. "Diese Form des Miteinanders, das wollten die Amerikaner jetzt nicht länger machen."
    Die USA stehen Polenz zufolge vor einem Dilemma. Dass die Regierung bisher keine Luftabwehrraketen an die Opposition geliefert habe, liege vor allem daran, dass sie Sorge habe, dass solche Geschütze oder Raketen auch in die Hände von Dschihadisten fallen könnten, die damit Anschläge auf die zivile Luftfahrt verüben könnten. Wenn allerdings eine wirksame Luftabwehr von Rebellen ausgehen könnte, würden sich Russland und das Assad-Regime anders verhalten.

    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich jetzt Ruprecht Polenz, CDU-Außenpolitiker. Er hat das Gespräch gerade mitgehört. Guten Morgen, Herr Polenz.
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Russland und die USA stoppen ihre Zusammenarbeit in Sachen Syrien. Sind wir wieder im Kalten Krieg?
    Polenz: Nein. Ich glaube, der Kalte Krieg ist eine Epoche, wo die Welt bipolar war, also wo man sich sortiert hat, entweder in das Lager der Sowjetunion, oder in das Lager des Westens. Wir haben heute mit China, mit anderen eine multipolare Welt, oder sind jedenfalls auf dem Weg dahin. Aber zwischen den USA und Russland sind sicherlich jetzt die Beziehungen weiter verschlechtert worden.
    Heuer: Wer ist schuld an der jüngsten Entwicklung?
    Polenz: Man kann sehr deutlich sagen, dass Russland sich an seine Zusagen nicht gehalten hat, und wenn es jetzt gegenseitige Vorwürfe erhebt, auch die Amerikaner beschuldigt, sie hätten ihre Schularbeiten, was den Waffenstillstand angeht, nicht gemacht, dann erinnert mich das sehr an das Vorgehen beim Abschuss der malaysischen Maschine über der Ukraine, wo man auch versucht hat, durch alle möglichen Geschichten die wahren Ursachen zu verdecken. Russland hat zusammen mit dem Regime eigentlich nie aufgehört, Aleppo unter Druck zu setzen, und die Angriffe, die Luftangriffe - auch Ärzte ohne Grenzen sagt das übrigens - sind so verheerend im Augenblick, dass die Amerikaner einfach gesagt haben: Was nützt es denn, wenn wir mit den Russen ein Gesprächsergebnis erreichen, an das sich Russland nachher nicht hält. Dann können wir weiter verhandeln, dann erreichen wir wieder ein Gesprächsergebnis, und Russland hält sich wieder nicht daran. Diese sozusagen Form des Miteinander, das wollten die Amerikaner jetzt nicht länger machen.
    Jeder ein Terrorist, der gegen Assad sei
    Heuer: Und das finden Sie, höre ich so raus, auch nicht falsch?
    Polenz: Ich finde das ganz verständlich, weil man muss ja sehen: Assad und Russland haben die Genfer Gespräche und haben auch die Diskussion um den Waffenstillstand immer nur dazu genutzt, einen angeblichen Friedenswillen vorzugeben. Und wenn man ihnen jetzt diese Möglichkeit entzieht, dann ist jedenfalls klar, wer an dem weiteren Blutvergießen im Wesentlichen schuld ist. Und wir haben ja gerade von Herrn Al-Mousllie gehört: Natürlich gibt es eine moderate syrische Opposition, natürlich gibt es eine Freie Syrische Armee. Aber aus der Sichtweise von Russland und Assad ist jeder, der gegen das Regime kämpft, ein Terrorist, und auf diese Lesart dürfen wir uns nicht einlassen.
    "Es geht letztlich um Luftabwehrraketen"
    Heuer: Wären Sie denn dann auch dafür, wie Herr Al-Mousllie es gerade gefordert hat, dass die USA die Rebellen, die gemäßigte Opposition und deren Kämpfer in Syrien jetzt doch mit Waffen ausstatten?
    Polenz: Sie bekommen ja Waffen. Es geht letztlich - das soll man offen aussprechen - um Luftabwehrraketen und diese Luftabwehrraketen sind bisher nicht geliefert worden aus genau dem Grund, den Sie in Ihrer Frage auch angesprochen haben. Die USA haben Sorge, dass solche Luftabwehrgeschütze oder Raketen auch in die Hände von Dschihadisten fallen könnten, die damit dann möglicherweise Anschläge auf die zivile Luftfahrt verüben. Das ist das Dilemma, vor dem man steht. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass man über Wege nachdenkt, wie man diese Gefahr ausschließen kann und gleichzeitig doch eine Möglichkeit schafft, die absolute Luftherrschaft Assads und der russischen Luftwaffe über Aleppo und über Syrien jedenfalls etwas mehr in Frage zu stellen.
    Heuer: Welche Möglichkeit ist denn das, Herr Polenz?
    Polenz: In dem Moment, wo wirksame Luftabwehr von den Rebellen ausgehen könnte, würde sich die Luftwaffe Syriens und auch Russlands viel vorsichtiger verhalten müssen. Jetzt haben sie den Himmel für sich, Aleppo unter sich und können die Bomben schmeißen.
    Heuer: Das heißt, wenn wir aus Washington hören, dass unter anderem auch militärische Optionen geprüft werden, dann geht es ab jetzt um Raketen und Raketenabwehrsysteme?
    Polenz: Ich weiß das nicht. Aber die militärischen Optionen, die Washington prüft, schließen ja in keinem Fall ein, das weiß man, dass sich die Amerikaner selber etwa mit Bodentruppen oder auch sonst militärisch stärker engagieren wollen. Das ist, hat Obama mehrfach gesagt, nicht im nationalen Interesse Amerikas. Und dann kann man sich an fünf Fingern abzählen, welche militärischen Optionen da in Frage kommen. Ich bin kein Prophet! Ich weiß es nicht, wie sich die Amerikaner entscheiden. Aber bei den militärischen Optionen wird jedenfalls sicherlich auch über so etwas gesprochen und nachgedacht.
    "Niemand möchte sich mehr auf das Wort von Putin und Lawrow verlassen"
    Heuer: Klar ist, Russland und die USA liegen wieder im Clinch, und die Stimmung, die schaukelt sich immer weiter hoch. Wie gefährlich schätzen Sie die Situation ein in Syrien, dann aber auch mit politischen Folgen für eigentlich die gesamte Welt?
    Polenz: Ich glaube, dass das Vorgehen Russlands in der Ukraine und jetzt in Syrien dazu beigetragen hat, dass eigentlich niemand mehr sich auf das Wort von Putin und Lawrow verlassen möchte. Das ist außenpolitisch eine gefährliche Situation, weil Russland ist zwar jetzt wirtschaftlich kein bedeutender Staat, hat ein Bruttosozialprodukt in der Größe von Italien, aber militärisch ist es ein Staat, mit dem man nicht in eine direkte militärische Konfrontation kommen will - und ich füge hinzu - möglichst auch nicht kommen sollte. Vor diesem Dilemma steht die Welt: Wie geht man mit einem solchen Staat um, auf dessen Wort man sich nicht verlassen kann?
    Heuer: Spielt es für die weitere Entwicklung eine Rolle, wer der nächste US-Präsident wird?
    Polenz: Na ja. Wenn Trump US-Präsident würde, was hoffentlich nicht passiert, dann kommen die USA möglicherweise auch in eine solche Situation, dass die Politik völlig unberechenbar werden könnte. Aber davon wollen wir nicht ausgehen. Ich glaube, mit Clinton wäre eine amerikanische Präsidentin im Amt, die erstens sehr erfahren ist, die Russland sehr gut kennt, die aber auch besonnen ist und wo man jetzt keine Angst vor irgendwelchen Abenteuern haben müsste.
    "Obamas Russland-Politik ist gescheitert"
    Heuer: Kann man aufgrund der jüngsten Entwicklung sagen, dass Barack Obama in den wichtigsten außenpolitischen Feldern als Präsident gescheitert ist?
    Polenz: Wenn man mal das Verhältnis zu Russland nimmt, dann war er es, der auf diesen sogenannten Reset-Button gedrückt hat, nachdem das Verhältnis unter Bush außerordentlich schlecht geworden war. Es sind dann Abrüstungsabkommen geschlossen worden und er hat sich wirklich um Russland bemüht. In der Außenpolitik ist es so, dass auch intensives Bemühen in einer richtigen Richtung möglicherweise nicht zum Erfolg führt. Insofern könnte man sagen, seine Russland-Politik ist gescheitert, weil er wollte bessere Beziehungen und er hat sie nicht erreicht.
    Heuer: Was an Putin lag?
    Polenz: Es lag im Wesentlichen an Russland, ja.
    Heuer: Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Herr Polenz, haben Sie Dank für das Gespräch.
    Polenz: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.