Archiv


Abenteuergeschichten in der Gartenhütte

Die Auflage von Enid Blytons mehr als 700 Bücher liegt bei über 600 Millionen und sie wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Darunter sind Bestseller wie die "Fünf Freunde", die "Schwarze Sieben" oder "Hanni und Nanni". Eine Ausstellung in Newcastle würdigt ihr Werk.

Von Jochen Spengler |
    "Komm schon ins Auto"

    Harry hat gerade das knallbunte Gefährt entdeckt und zerrt seine kleine Schwester in Noddys Spielzeugland. Der Siebenjährige ähnelt mit seiner Hornbrille Harry Potter.

    Harry kennt die Hörbücher Enid Blytons vom kleinen Holzjungen Noddy oder vom Faraway Tree, dem Wunderweltenbaum aus Mamas Auto

    "Obwohl die Charaktere vielleicht ein bisschen veraltet sind für die Kinder heute, bleiben doch die Geheimnisse und Abenteuer zeitlos."
    meint Harrys Mutter Alina.
    "Sie sind etwas Besonderes, da die Kids ja nicht mehr so draußen spielen können wie wir noch. Mit den Büchern können sie entfliehen und es liegt so eine Unschuld in ihnen. Und als Eltern versucht man, den Kindern heute so lange wie möglich eine ungetrübte Kindheit zu geben."

    Möwen kreischen, die Brandung tost und es gibt sogar Klippen – wenn auch im Disney-Plastik-Stil.

    "Wir befinden uns in: Mysterien, Magie und Mitternachtsfeste – die vielen Abenteuer von Enid Blyton."

    Sagt Lauren, die durch die Ausstellung führt, die sich mit ihren verschiedenen Stationen, mit Fotos, Filmen und Exponaten, an Jung und Alt wendet.

    "Das ist hier die Abenteuersektion, wo sich alles um die "Fünf Freunde", die "Schwarze Sieben" und die Abenteuerserie dreht. Und hier ist die Gartenhütte der "Schwarzen Sieben". Wir wollen ihre Bücher zum Leben bringen."

    Was gerade mit der Hütte offenbar gut gelingt, glaubt man den Vorlieben der kleinen Bewohner.

    Enid Blyton war ein Phänomen, Ehefrau, zweifache Mutter und eine Bestsellermaschine. Über 700 Bücher hat sie verfasst, Tausende Kurzgeschichten, die sie mit zwei Fingern in Windeseile in ihre Schreibmaschine tippte, bis zu 10.000 Wörter am Tag – ohne dass große Korrekturen an ihren Manuskripten notwendig waren

    "Ja, sie hat ihre Fassungen kaum verändert."

    Das hat ihre vielen Kritiker nicht beeindruckt. Die BBC etwa weigerte sich jahrzehntelang, Enid Blytons Bücher zu verfilmen, Stadtbüchereien verbannten sie aus den Regalen. Blyton liefere bloß Trivialliteratur oder Schund, hieß es, stereotyp und simpel im Stil. Ein Urteil, so sagt Kim Reynolds, Professorin für Kinderliteratur in Newcastle, das der 1968 gestorbenen Autorin nicht gerecht werde.

    "Ihr Stil ist tatsächlich sehr viel komplexer als unterstellt wurde. In den 30er- und 40er-Jahren zu Beginn ihrer Karriere gab es auch überhaupt keine Kritik an ihrem Stil. Sie wurde bewundert. Das änderte sich erst in den 1950er und 60er-Jahren, als sie so ein Phänomen wurde und mehr Bücher verkaufte als irgendein anderer. Ich glaube, es liegt daran, dass die Engländer eine schreckliche Tendenz haben, Erfolg zu missgönnen und zu beargwöhnen."

    Doch den Kritikern zum Trotz hielten ihr die Leser die Treue. Enid Blyton wurde zur meistverkauften englischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts und zur beliebtesten Autorin der Briten.

    "Sie ist eben nicht eine jener komplizierten Schriftstellerinnen, die über die Köpfe der Kinder hinweg redet, um ihnen zu zeigen, wie schlau sie ist. Sie schreibt wirklich für Kinder und das ist alles andere als einfach. Ich glaube, es gibt kein größeres Geschenk, das ein Autor Kindern machen kann. Und darin liegt ihre besondere Bedeutung."

    Erst 45 Jahre nach ihrem Tod wird Enid Blytons Lebenswerk erstmals mit einer Ausstellung gewürdigt. Seven Stories, das britische nationale Zentrum für Kinderbücher in Newcastle, hat im Jahr 2010 einen großen Teil ihres Nachlasses erwerben können und nun hat Programmdirektorin Alison Gwynn eine ganze Etage in der ehemaligen viktorianischen Mühle Enid Blyton gewidmet.

    "Um Enids Platz in der Kinderliteratur heute und auch in früheren Jahren zu würdigen. Und besonders für Kinder, die nicht so begabte Leser sind, ist sie sehr zugänglich. Für mich besteht ihre Rolle in der Kinderliteratur darin, der Türöffner zu sein für den Spaß am Lesen ein Leben lang."
    Anne ist mit ihren beiden Kindern aus West-Yorkshire nach Newcastle gereist. Sie käme nie auf die Idee, Blytons Bücher für altmodisch zu halten.

    "Nein, bestimmt nicht. Ich habe sie geliebt, als ich klein war und so geht es Joel und Beth auch. Wir waren total gespannt auf die Ausstellung."

    Jetzt sind sie begeistert. Der zehnjährige Joel hockt in der Hütte der "Schwarzen Sieben" völlig eingetaucht in Blytons Abenteuerwelt. "Schwarze Sieben" oder "Fünf Freunde"?

    "Famous Five – more exciting."

    Fünf Freunde, die sind spannender. Und die Lieblingsfigur?

    "Timmy, the dog."

    Seven Stories hat Manuskripte und Fotos zusammengetragen, Zeichnungen, die Originalschreibmaschine, die Naturtagebücher und – so zeigt Lauren am Ende der Ausstellung - ihre persönlichen Tagebücher. Sie weisen die 1897 geborene nicht nur als eine hart arbeitende Geschäftsfrau aus, sondern auch als nüchterne Chronisten. Am 1. September 1939 steht in ihrem Tagebuch:

    "Den ganzen Tag gearbeitet. Deutschland hat heute Polen überfallen. Ich vermute, wir werden heute Nacht im Krieg sein. Habe dunkle Gardinen für die Küche gemacht. Radio gehört, gelesen bis zum zu Bett gehen."