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Abgabe für Kohlekraftwerke
Geschrei von einer Seite, die an der Vergangenheit festhalten will

Der Widerstand gegen die von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geplante Abgabe auf ältere Kohlekraftwerke ist groß. Das passe aber nicht zur geplanten Energiewende, sagte Professorin Claudia Kemfert im DLF. Mit ihr gebe es mehr wirtschaftlichen Chancen als Risiken. Es sei aber wichtig, diesen Strukturwandel gemeinsam zu begleiten.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Sandra Schulz | 25.04.2015
    Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
    Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. (Imago / Stefan Zeitz)
    Professor Claudia Kemfert, Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Befürworterin des Gabriel-Vorstoßes. Guten Tag!
    Claudia Kemfert: Guten Tag, Frau Schulz!
    Schulz: Warum ist der Klimaschutz wichtiger als Arbeitsplätze?
    Kemfert: Der Klimaschutz ist nicht wichtiger als Arbeitsplätze, denn mit dem Klimaschutz werden ja schon jede Menge Arbeitsplätze auch entstehen und sind entstanden. Denken Sie an den Bereich der erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz. Da entstehen ja völlig neue Jobs, die ja auch schon hinzugekommen sind. Und jetzt geht es um diesen Strukturwandel, den man begleiten muss, um die Kohlearbeitsplätze, die jetzt in den nächsten Jahrzehnten dann verlagert werden müssen auch in die neue Energiewende-Welt. Dazu bedarf es eben einer Anpassung und auch einer Begleitung. Die Qualifikationen müssen angepasst werden, und all das muss man jetzt einleiten. Insofern ist es auch richtig, was Herr Gabriel jetzt macht.
    Schulz: Ja, trotzdem gibt es aber ja, Frau Kemfert, trotzdem gibt es aber ja ganz erhebliche Widerstände und auch Skepsis. Die Gewerkschaften sehen das ganz anders auch als Sie. Der DGB-Chef Hoffmann, der hat seine Kritik im "Interview der Woche" hier im Deutschlandfunk so formuliert:
    Zahlen sind völlig übertrieben
    Hoffmann: Es ist doch unmöglich, einerseits aus der Kernenergie auszusteigen und gleichzeitig aus der Kohleverstromung auszusteigen. Dies bedeutet, dass wir Zigtausende Arbeitsplätze gefährden würden. Dagegen haben sich die Kolleginnen und Kollegen ausgesprochen. Wir stellen damit nicht die Klimaziele der Bundesrepublik infrage, sondern wir plädieren für Alternativen.
    Schulz: Die Gewerkschaften gehen davon aus oder es gibt Schätzungen, dass indirekt bis zu 70.000 Arbeitsplätze gefährdet sein können. Gibt es da nicht doch diese Zuspitzung Klimaschutz gegen Arbeitsplätze?
    Kemfert: Nein, diese Zahl ist auch völlig übertrieben und entbehrt auch jeder Grundlage, muss man sagen. Denn insgesamt arbeiten ja nur 50.000 Beschäftigte im Bereich der Kohle. Es geht ja auch überhaupt nicht um alle, es geht ja auch nicht um gleichzeitig Ausstieg aus Atom und Kohle, sondern um einen schrittweisen Ausstieg. Und dieser Ausstieg wird jetzt die nächsten drei bis vier Jahrzehnte dauern, und jetzt fängt man an mit einem sehr, sehr kleinen Klimabeitrag. Es wird ja auch ein paar Kraftwerke überhaupt nur betreffen. Da ist ohnehin auch nur mit einer Verlagerung zu rechnen, nicht mit einem kompletten Jobabbau. Es werden eher alte, ineffiziente Kohlekraftwerke vom Netz gehen, höchstwahrscheinlich, was auch sinnvoll ist, und dann werden diese Beschäftigten verlagert werden in neuere Kraftwerke, die wir ja auch in Deutschland zuhauf im Einsatz haben, und insofern ist hier sehr, sehr großes Geschrei von einer Seite, die sehr stark an der Vergangenheit festhalten will. Hier würde ich mir wünschen, dass man wirklich auch diesen Strukturwandel gemeinsam begleitet.
    Enorm viele Jobs sind entstanden
    Schulz: Die Kritiker sagen auch, dass jetzt ausgerechnet eine Art der Energieerzeugung, die nicht so subventioniert ist, dass die jetzt ausgerechnet eins drauf kriegt. Können wir uns das leisten?
    Kemfert: Ja, wir haben ja die Energiewende uns vorgenommen. Das hat ja zum Ziel, dass wir 80 Prozent erneuerbare Energien, Strom bis zum Jahr 2050 erreichen wollen. Und das geht eben nur, indem wir jetzt schrittweise die Atomkraftwerke runterfahren und auch dann die Kohlekraftwerke, dieser Anteil sich dann vermindert. Und das bringt auf jeden Fall mehr wirtschaftliche Chancen als Risiken. Wir sehen ja heute schon, dass enorm viele Jobs auch entstanden sind. Es sind auch Innovationen, neue Technologien entstanden. Also, man muss es auch von der Seite sehen. Aber dieser Grundkonflikt, den wir jetzt hier sehen, dieser Kampf um Strom, der muss natürlich gelöst werden, man muss auch gemeinsame Wege gehen, hier sind vor allen Dingen auch die Landesregierungen gefragt. Da will man wohl offensichtlich noch sehr stark an der Vergangenheit festhalten, und das passt eben nicht in die eigentliche Energiewende, die wir vorhaben.
    Schulz: Gabriel hat jetzt angekündigt, eben doch seinen Kritikern entgegenzukommen, und er sagt, die Höhe der Abgabe, die soll sich nach der Entwicklung der Strompreise richten. Das hat er so der "Frankfurter Allgemeinen Sonntags-", nein, der normalen Samstagsausgabe, gesagt. Was heißt das denn genau?
    Kemfert: Na ja, er geht auf die Kritiker zu, die jetzt befürchten, dass der Strompreis sehr stark steigen könnte, was de facto überhaupt nicht der Fall sein wird. Es handelt sich hier um eine sehr geringe Abgabe, die eben nur teilweise den Strompreis etwas nach oben bringen könnte an der Börse. Wir haben aber auch die EEG-Umlage, die sich errechnet aus der Differenz eben zu diesem Börsenpreis. In der Summe dürfte es ganz, ganz geringe Strompreissteigerungen überhaupt nur geben, mit dieser herkömmlichen Idee von der Klimaabgabe. Jetzt kommen die Kritiker und sagen, es gibt einen enormen Strompreisanstieg. Dem will man jetzt entgegentreten, dieser Kritik, indem man sagt, man koppelt es an die Strompreisentwicklung. Das kann man machen, um eben diese Mini-Effekte noch abzufedern. Ich sehe es eher als symbolischen Akt, um eben auf diese Kritiker zuzugehen.
    Allmählicher Rückgang des Kohlestroms
    Schulz: Gleichzeitig ist es ja so - ich verstehe Ihre Argumentation nicht so ganz - Sie sagen einerseits, ach, da sind ja nur ein paar betroffen, andererseits soll das jetzt angeblich so ein wichtiger Beitrag sein. Was stimmt davon denn jetzt?
    Kemfert: Na ja, es ist eben beides richtig. Es geht ja darum, dass wir jetzt mal auch die Klimaziele erfüllen, dass wir jetzt den Schritt in die richtige Richtung gehen, dass man eben mit dieser Klimaabgabe auch deutlich macht, dass man das Überangebot an Kohlestrom im deutschen Markt vermindern will. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben einen gigantischen Stromangebotsüberschuss an Kohlestrom. Wir schwimmen im Strom, wir verramschen ihn an der Börse. Das sind alles Entwicklungen, die im Moment nicht gut sind. Und da hat man einen ersten Beitrag jetzt geleistet, indem man sagt, man muss einerseits diese Marktbereinigung durchführen, andererseits aber auch die Klimaziele erfüllen. Und dafür ist diese Klimaabgabe eben sinnvoll. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt vollständig aus der Kohle morgen aussteigen, sondern dass nur ein paar Kraftwerke jetzt höchstwahrscheinlich vom Netz gehen. Aber langfristig wollen wir ja die Klimaziele erfüllen und auch die Energiewende umsetzen. Das heißt, wir brauchen in den nächsten drei bis vier Jahrzehnten einen sukzessiven Rückgang von Kohlestrom. Und dieser Strukturwandel, der wird jetzt eingeleitet. Insofern ist diese Argumentation, jetzt gehen alle Arbeitsplätze verloren, auch reine Panikmache und entbehrt auch wirklich jeder Grundlage.
    Schulz: Die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert heute hier in den Informationen am Mittag. Danke Ihnen!
    Kemfert: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.