Die Situation sei nicht schönzureden: "VW muss die Gesetze einhalten," so Lies. Dennoch glaubt er: "Es ist kein Gesamtvorgehen von VW." Es sei wichtig, dass die Mitarbeiter des Konzerns nicht mit in die Verantwortung gezogen würden.
In den nächsten Tagen und Wochen werde sich herausstellen, wer für die Manipulationen verantwortlich sei - dann könne auch über personelle Konsequenzen gesprochen werden. Frühzeitig Namen zu benennen, löse die Situation nicht.
Nach seinen Erkenntnissen seien nur die Tests bei Dieselmotoren betroffen, so der SPD-Politiker Lies. Er schließt nicht aus, dass auch andere Konzerne bei Abgastests manipuliert hätten.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Eines ist jetzt schon klar: Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen wird den Wolfsburger Konzern teuer zu stehen kommen. Nicht nur den Absturz der Aktie um über 20 Prozent muss VW verkraften; in den USA drohen eine Milliardenstrafe und auch noch Sammelklagen. Und nun hat offensichtlich sich auch das US-Justizministerium eingeschaltet.
Bei uns ist nun Olaf Lies am Telefon von der SPD, Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen und Mitglied im Aufsichtsrat von VW. Guten Morgen, Herr Lies.
Bei uns ist nun Olaf Lies am Telefon von der SPD, Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen und Mitglied im Aufsichtsrat von VW. Guten Morgen, Herr Lies.
Olaf Lies: Guten Morgen, Herr Kapern.
Kapern: Herr Lies, gestern hat der VW-Konzern Teile seines Börsenwerts vernichtet in einem Umfang, der größer war als der gesamte Börsenwert der Commerzbank. Haben Sie sich als Vertreter eines der größten Aktionäre eigentlich schon bei VW-Chef Winterkorn bedankt?
Lies: Erst mal ist das, glaube ich, für uns alle eine ganz schlimme Situation. Das was dort in den USA jetzt ans Tageslicht gekommen ist, ist durch nichts zu beschönigen. Das heißt, jetzt wirklich absolut bedingungslos aufklären, und ich hoffe natürlich, dass ein Wert wie die Marke VW sich wieder stabilisiert und am Ende natürlich aus den Fehlern gelernt wird und das Vertrauen, das wir verloren haben, wir auch zurückgewinnen können.
Nicht alle Mitarbeiter in die Mitverantwortung ziehen
Kapern: Was heißt das konkret für Ihr Bundesland? Teile des Vermögens Ihrer Einwohner ist perdu. Wirtschaftswissenschaftler gehen davon aus, dass dieses Desaster haufenweise Jobs kosten wird, und Sie als Land Niedersachsen müssen das ausbaden?
Lies: Erst mal, glaube ich, ist ganz wichtig zu sagen, es sind 600.000 Menschen bei Volkswagen, die hervorragende Produkte bauen. Ich glaube, wichtig ist, dass nicht alle jetzt in die Mitverantwortung gezogen werden, sondern dass es zügig darum geht, die wirklich Verantwortlichen zu finden, auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Kapern: Aber auch die anderen haben es auszubaden.
Lies: Genau, die Konsequenzen zu ziehen und dann mit einem schnellen Handeln dafür zu sorgen, dass der Wert der Marke Volkswagen, innovative Autos, nicht weiter mit diesem negativen Image der letzten Tage versehen ist, sondern wir da zügig wieder rauskommen und beweisen können, dass gute Autos am Markt auch gekauft werden und dass man, wenn man anständig aufklärt, wenn man transparent damit umgeht, verloren gegangenes Vertrauen auch zurückgewinnen kann.
Kapern: Können Sie unseren Hörern mal schildern, was für eine Atmosphäre, was für eine Denke offenbar in einem Konzern herrschen muss, in dem so etwas möglich ist, ein hunderttausendfacher Betrug bei Abgasmessungen?
Lies: Wir werden jetzt, glaube ich, in den nächsten Tagen und Wochen - wir haben ja diese Woche auch noch Aufsichtsratssitzung - die wesentlichen Details erfahren, wer wann wo welche Entscheidung getroffen hat, wer dafür verantwortlich ist. Das Denken im Konzern wird getragen von wirklich 600.000 hoch engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die weltweit tätig sind. Deswegen ist es so wichtig, jetzt auch konsequent mit transparentem Vorgehen, aber auch Entscheidungen, die dahinter stehen, die Verantwortlichen auszumachen, dass am Ende nicht die Kolleginnen und Kollegen, die hart arbeiten, diejenigen sind, die im schlechten Licht dastehen. Das müssen die sein, die die Verantwortung zu tragen haben. Und dann muss es darum gehen, das natürlich angegriffene Image wieder aufzupolieren.
"Das geht überhaupt nicht, das ist unverantwortlich"
Kapern: Herr Lies, ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe, aber im Moment klingen Sie gerade ein wenig wie eine Mischung aus Betriebsrat und Mitarbeiter der PR-Abteilung von VW. Ich versuche es noch mal mit meiner Frage. Sie schauen dem VW-Konzern ja als Aufsichtsrat schon lange bei der Arbeit zu. Erklären Sie uns doch einmal, wie die Denke in einem Unternehmen strukturiert sein muss, in dem offenbar große Gruppen von Managern und Ingenieure glauben, sie könnten ganze Regierungen und nationale Behörden an der Nase herumführen.
Lies: Es wird sicherlich darum gehen zu sagen, wer hat es gewusst, wer hat es entschieden, wie groß sind diese Gruppen, von denen Sie sprechen, wer hat also wirklich die Verantwortung zu tragen. Aber ich will auch sagen, man muss ein bisschen aufpassen, dass man nicht in der wirklich dramatischen Situation, die ich an keiner Stelle schön reden oder besser reden will, dass man nicht im Grundsatz das, was erfolgreich bei Volkswagen funktioniert, nämlich in einer Reihe von Marken hervorragende Autos zu bauen, insgesamt jetzt in einem negativen Licht dasteht. Man muss die Situation der Dieselmotoren klären, ist unverantwortlich, muss man überhaupt nicht schön reden. Aber ich glaube, unsere Aufgabe muss auch sein, daraus nicht ein Gesamtvorgehen von Volkswagen zu machen - das ist es nämlich nicht -, sondern genau die Stelle herauszugreifen, wo genau diese Fehler und diese Machenschaften passiert sind.
Kapern: Der Trick war ja klasse, den die Ingenieure sich da haben einfallen lassen, dass ein Auto automatisch erkennt, wann ein Abgas-Untersuchungstest durchgeführt wird, und dann wird eben eine andere Elektronik zugeschaltet, als das beim normalen Fahren der Fall ist. Die Idee ist so klasse, Herr Lies, dass doch eigentlich die Idee naheliegt, das auch bei anderen Modellen und anderen Submarken des VW-Konzerns zu machen. Das schließen Sie aber schon kategorisch aus?
Lies: Na erst mal ist die Idee nicht klasse. Wir haben Gesetze, die wir einhalten müssen, und ich glaube, alle Verantwortlichen bei Volkswagen und auch wir im Aufsichtsrat haben das allergrößte Interesse, dass Volkswagen und die Modelle, die Volkswagen baut, die Gesetze einhalten. Da geht es nicht um gute Tricks, das geht überhaupt nicht, das ist unverantwortlich, muss aufgeklärt werden. Im Moment gehe ich nach meiner Kenntnis davon aus, dass es sich ausschließlich um die Dieselmotoren handelt. Selbstverständlich werden auch Fragen gestellt, ob auch andere Themen dabei eine Rolle spielen, aber zunächst ist das der Fall. Der ist dramatisch genug, da muss man, glaube ich, gar nicht weiter links und rechts gucken, und der gehört aufgeklärt.
"Am Ende wird es personelle Konsequenzen geben"
Kapern: Sie haben eben die Frage aufgeworfen, wer denn dafür die Verantwortung trägt. Ist die Antwort nicht ganz einfach: der Vorstandsvorsitzende?
Lies: Erst mal müssen wir die Informationen haben. Ich meine, nach zwei Tagen ist es leicht, Namen zu benennen, die jetzt gehen müssen. Damit ist aber die Situation nicht geklärt, sondern ich erwarte eine absolute Aufklärung, wer an welcher Stelle welche Entscheidung mitgetragen hat, damit wir diese Situation endgültig bereinigen und damit wirklich auch deutlich machen, das passiert nicht wieder, und dann wissen wir, welche Köpfe, welche Personen dahinter stecken, und dann kann man auch die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen.
Kapern: Der Automobil-Experte Dudenhöffer, der sieht die Sache etwas einfacher als Sie gerade, Herr Lies. Der sagt, entweder Winterkorn hat davon gewusst, dann muss er weg, oder er hat nicht davon gewusst, dann muss er auch weg.
Lies: Erst mal ist doch die Frage, wer hat davon gewusst. Geht es um eine Person, geht es um mehrere Personen? Und ich sage mal, das muss man jetzt uns auch ermöglichen, in kurzer Zeit anständig aufzuklären, alle offenen Fragen, auch die personellen Fragen, wer verantwortlich ist, und dann kann man die Konsequenzen treffen. Ich glaube, mit übereilten Forderungen nach Rücktritten, da haben wir doch das Problem und das verloren gegangene Vertrauen nicht wiedergewonnen. Das heißt, da ist doch die Kernaufgabe, die wir haben, und ich bin mir sicher, daraus wird es dann am Ende auch personelle Konsequenzen geben. Das steht glaube ich außer Frage.
Kapern: Abgas-Limits, Stickoxid-Begrenzungen, die gibt es, Herr Lies, weil zu viele Abgase, zu viele Stickoxide schädlich sind für Menschen, weil Menschen daran krank werden, möglicherweise auch daran sterben können. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe aufmerksam gemacht und sie sagt, dieser Betrug, den VW da durchgezogen hat, erfüllt den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung. Hat die Deutsche Umwelthilfe damit recht?
Lies: Das kann ich an der Stelle nicht beurteilen. Erst mal ist es absolut nicht zu erklären und auch nicht zu beschönigen. Wenn es ein Gesetz gibt, an das man sich halten muss, dann hält man sich daran. Ich glaube, das steht erst mal ganz vorne an. Da gibt es überhaupt keine Begründung oder Erklärung, die es einem auch nur ermöglichen, ansatzweise darum herumzugehen oder andere Lösungen zu finden. Das ist verwerflich, das wird von uns nicht akzeptiert, das muss aufgeklärt werden und darf nie wieder vorkommen. Das ist, glaube ich, im Moment die Kernforderung. Was es dann am Ende zusätzlich für rechtliche Konsequenzen hat, kann ich an dieser Stelle noch nicht beurteilen.
"Öffentlichkeit wird Fragen stellen, die über VW hinausgehen"
Kapern: Aber wäre es nicht höchste Zeit, dass auch in Deutschland die Staatsanwaltschaft sich mit dem Fall VW beschäftigt?
Lies: Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich alle jetzt sehr intensiv mit der Fragestellung beschäftigen, ob die Abgaswerte, die gemessen werden, auch in der Realität die Abgaswerte sind. Ich glaube, diese Frage wird jetzt nicht nur bei Volkswagen, sondern insgesamt in der öffentlichen Diskussion, aber sicherlich auch in den Unternehmen eine große Rolle spielen.
Kapern: Wenn Sie sagen, nicht nur bei Volkswagen, heißt das, Sie halten es für möglich, dass auch andere Unternehmen zu diesem Trick gegriffen haben?
Lies: Das kann ich überhaupt nicht beurteilen, ob das der Fall ist. Aber ich bin sicher, dass die Öffentlichkeit Fragen stellen wird, die am Ende sicherlich über den Volkswagen-Konzern hinausgehen. Inwieweit diese Fragen berechtigt sind oder dort auch entsprechende Hinweise sind, das erschließt sich mir an der Stelle nicht. Meine Verantwortung sehe ich beim Konzern Volkswagen und sehe ich dabei, diese Marke wieder dem Vertrauen zuzuführen, das ihr zusteht, und ich habe es vorhin schon gesagt, damit auch eine wirkliche Erklärung, dass die 600.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine verantwortungsvolle und gute Arbeit machen.
Kapern: ... sagt Olaf Lies, der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen, heute Früh im Deutschlandfunk. Herr Lies, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!
Lies: Danke, Herr Kapern. Wünsche ich Ihnen auch.
Kapern: Auf Wiederhören!
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