Ann-Kathrin Büüsker: Viele Dieselfahrzeuge stoßen nicht nur deutlich mehr Stickoxide aus, als sie eigentlich sollten – das wussten wir ja, seit VW damit auf die Nase gefallen ist –, nein, viele dieser Dieselfahrzeuge stoßen auch zu viel Kohlenstoffdioxid aus. Das heißt, sie verbrauchen auch mehr Sprit und müssten unter Umständen auch höher besteuert werden. Darüber möchte ich nun mit Oliver Wittke sprechen. Der CDU-Politiker war von 2005 bis 2009 Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen, ist inzwischen Mitglied des Bundestages und sitzt als solches im Verkehrsausschuss.
- Guten Morgen, Herr Wittke!
Oliver Wittke: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Wittke, wieso halten sich die Autohersteller offensichtlich nicht an die Vorgaben?
Wittke: Na ja, es gibt Spielräume, die die Europäische Union einräumt. Und die Frage ist, ob diese Spielräume über Gebühr genutzt werden oder ob nicht die Fahrzeuge deutlich dreckiger sind, als sie angeben. Und das werden wir jetzt auch vonseiten des Deutschen Bundestages untersuchen in einem Untersuchungsausschuss.
Büüsker: Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Als Verbraucher fühle ich mich doch ein bisschen veräppelt, wenn mein Auto eigentlich viel mehr Sprit braucht, als der Hersteller es eigentlich angibt!
Wittke: Ja, das ist wahr. Aber wir haben festgestellt, es ist nicht nur ein Hersteller, es ist eine Reihe von Herstellern, die da offenbar Spielräume nutzen. Es geht darum, ob Thermofenster, die zulässig sind, tatsächlich rechtens sind, ob sie über Gebühr genutzt werden. Und das werden wir in den nächsten Monaten untersuchen. Ich glaube, dass es da Handlungsbedarf gibt, denn in der Tat: Die Autos verbrauchen mehr Treibstoff, als angegeben wird. Und das ist nicht in Ordnung.
Büüsker: Und wenn Sie Handlungsbedarf sagen, dann meinen Sie was konkret?
Wittke: Dann heißt das, dass wir erst einmal aufklären müssen, welche Fahrzeuge zu viel Sprit verbrauchen. Wir müssen untersuchen, ob es kriminelle Energie gibt, wie es die bei VW gab, ob also mit Vorsatz gehandelt wird, ob betrogen worden ist oder ob nur Spielräume genutzt wurden. Und eines ist auch völlig klar: Die Spielräume, die bisher eingeräumt wurden, die müssen deutlich reduziert werden.
Büüsker: Können die Hersteller nicht anders oder wollen die nicht anders? Wie schätzen Sie das ein?
Wittke: Ich glaube, es geht schon anders. Man muss dafür investieren. Denn nach wie vor bin ich fest davon überzeugt, dass deutsche Automobilhersteller auch saubere Autos bauen können. Es gibt ja auch Hersteller, die sich bisher korrekt verhalten haben, denen wir kein Fehlverhalten nachweisen konnten. Das kostet nur Geld. Aber dieses Geld muss eingesetzt werden, denn wir wollen saubere Fahrzeuge haben. Und eines ist auch völlig klar: Nur saubere Fahrzeuge werden künftig konkurrenzfähig sein.
Büüsker: Als Verbraucher stellt man sich ja auch ein bisschen die Frage, wie es sein kann, dass die Automobilhersteller bislang damit durchgekommen sind, dass sie sich nicht so richtig an die Regeln halten. Sind die Kontrollen da zu lasch?
Wittke: Auch Arbeit der Behörden untersuchen
Wittke: Ich glaube, das wird ein weiterer Untersuchungsgegenstand sein müssen. Wir müssen uns fragen, warum nicht deutsche Behörden dieses Fehlverhalten, das es offenbar gibt bei deutschen Automobilherstellern, eher aufdecken konnten, warum die bisherigen Kontrollen nicht dazu geführt haben, dass dieses Verhalten von deutschen Automobilherstellern – auch von ausländischen Automobilherstellern übrigens – offenbar geworden ist. Das wird ein weiterer Untersuchungsgegenstand sein.
Büüsker: Also ist man da unter Umständen im Bundesverkehrsministerium ein bisschen zu lasch?
Wittke: Na ja, im Bundesverkehrsministerium weniger, das sind nachgeordnete Behörden. Aber es ist schon richtig, wir müssen fragen, warum das Kraftfahrtbundesamt beispielsweise nicht eher diesen Betrügern auf die Schliche gekommen ist.
Büüsker: Jetzt haben wir ja in dieser Woche gesehen, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt unter anderem auch Fiat eingeladen hatte zu einem Gespräch, wo sich der Konzern erklären sollte. Fiat hat dann kurzfristig diesen Termin platzen lassen, hat vom Anwalt bekannt geben lassen, nein, wir kommen gar nicht, weil Italien für uns zuständig ist. Wird der Verkehrsminister da von den Betrieben überhaupt ernst genommen?
Wittke: Ich glaube, ja, er wird ernst genommen. Ich bin auch froh, dass Alexander Dobrindt versucht, umfassend diese Affäre aufzuklären. Aber klar ist, dass es ein europäisches Problem ist, nicht nur ein Problem von deutschen Automobilherstellern. Es ist nicht nur Fiat, es sind auch französische Hersteller, die dort Probleme haben. Das heißt, wir müssen das Problem am Ende auf europäischer Ebene angehen.
Büüsker: Jetzt sagen Sie selbst, es sind viele Hersteller, die davon betroffen sind. Da könnte man hier in Deutschland darüber nachdenken, ob sich Steuererleichterungen für Dieselfahrzeuge überhaupt noch rechtfertigen lassen?
Wittke: Na ja, eines ist glaube ich unbestritten: Es gibt bestimmte Anwendungen, da ist der Diesel nach wie vor unschlagbar, da ist es eine vernünftige Technologie, insbesondere bei langen Strecken, insbesondere bei Betrieb von Dieselfahrzeugen außerhalb von Innenstädten. Und darum warne ich davor, die Dieseltechnologie zu verteufeln. Da gibt es einige, die unterwegs sind, die versuchen, einen Feldzug gegen das Automobil im Allgemeinen und gegen den Diesel im Besonderen zu organisieren, das kann es auch nicht sein. Was wir brauchen, ist eine vernünftige Aufklärung. Und am Ende, glaube ich, werden wir den Diesel weiterhin brauchen.
Büüsker: Aber wer sagt uns denn, dass es bei Benzinern nicht auch Schummeleien gibt?
Wittke: Abgasuntersuchungen müssen umgestellt werden
Wittke: Es ist heute schon offenbar, dass es auch bei Benzinern Probleme gibt. Beispielsweise da, wo neue Katalysatoren eingebaut werden, die nicht so arbeiten wie neue, fabrikneue Katalysatoren arbeiten. Auch darum werden wir uns kümmern müssen. Und wir müssen darüber reden, wie denn die Abgasuntersuchungen im Zuge der allgemeinen TÜV-Untersuchung gestaltet werden. Da haben wir in den letzten Jahren umgestellt von der Endrohrprüfung auf die Onboard-Prüfung. Diese Onboard-Prüfung sorgt aber dafür, dass viele Schummeleien nicht auffallen. Ich bin dafür, dass wir wieder auf die Endrohrprüfung zurückkommen. Denn es kann nicht sein, dass ein Fahrzeug, das irgendwann einen neuen Katalysator bekommt, die Grenzwerte nicht mehr einhält. Auch das ist ein großes Problem. Da fahren viele Fahrzeuge durch Deutschland, die minderwertige Katalysatoren eingebaut bekommen haben, nur um Geld zu sparen. Normalerweise kostet ein neuer Katalysator zwischen 400 und 500 Euro. Der Katalysator, den man im Baumarkt für 80 Euro kaufen kann, bringt nicht die Leistung, die er bringen sollte. Auch um dieses Thema müssen wir uns kümmern, denn wir wollen die Autos sauberer kriegen. Denn eines ist glaube ich völlig unbestritten: Wir werden die Zukunft der Mobilität nur gestalten, wenn wir saubere Autos produzieren.
Büüsker: Muss man dann solchen Autos, wo offensichtlich gegen Dinge verstoßen wurde, die Zulassung entziehen?
Wittke: Ich warne davor, am Ende die Käufer, das heißt die Verbraucher zu bestrafen. Denn diejenigen, die die Automobile gekauft haben im guten Glauben, sind sicher, dass sie damit auch Mobilität gekauft haben. Die jetzt zu bestrafen und Fahrzeuge stillzulegen oder höher zu besteuern, das wäre der falsche Weg. Wir müssen also schauen, dass nicht für Fehler der Industrie am Ende die Verbraucher zahlen müssen.
Büüsker: Das heißt, eigentlich müsste die Industrie hier zur Verantwortung gezogen werden?
Wittke: Das ist ganz sicher so.
Büüsker: Das heißt, unter Umständen müssten die Betriebe die Autos zurücknehmen und die Käufer entschädigen?
Wittke: Genau das machen wir ja zurzeit. Die Rückrufaktionen von VW laufen. Alexander Dobrindt hat mit weiteren Herstellern vereinbart, dass insgesamt 650.000 Fahrzeuge zurückgerufen werden, nachgerüstet werden, um sie sauber zu machen. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Denn am Ende dürfen auf die Verbraucher nicht mehr Kosten zukommen.
Büüsker: Wenn wir jetzt auf die aktuelle Entwicklung gucken, es geht um CO2-Ausstoß, der ist bei vielen Autos deutlich höher als eigentlich angegeben. Das bedeutet, sie müssten auch unter Umständen höher besteuert werden. Muss da auch der Bund sich gegebenenfalls Steuern von den Betrieben zurückholen, von den Unternehmen?
Wittke: Bei Betrügereien müssen die Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden
Wittke: Also, ich bin erst einmal dafür, dass wir die Autos sauber bekommen, das heißt, dass wir sie nachrüsten. Da, wo es bewusstes Fehlverhalten gab, da, wo es Betrügereien gab wie beispielsweise bei VW, müssen die Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden. Und auf gar keinen Fall darf es zu einer zusätzlichen Belastung der Autofahrer kommen, denn sie haben im guten Glauben gehandelt. Die haben, wie sie glaubten, saubere Fahrzeuge gekauft. Wenn es da Probleme gibt, dann müssen diejenigen, die den Schaden verursacht haben, dafür geradestehen.
Büüsker: Sie haben jetzt ganz oft darauf hingewiesen, dass es unglaublich wichtig ist, diese ganze Sache aufzuklären. Sind sie unter diesen Voraussetzungen froh, dass die Opposition auf den Untersuchungsausschuss im Bundestag gedrängt hat?
Wittke: Na ja, es wird am Ende ja nicht nur die Opposition sein, sondern auch die Regierungsfraktionen werden zustimmen, dass dieser Untersuchungsausschuss eingesetzt wird. Aber vor allem will ich dann doch an dieser Stelle noch einmal warnen: Es werden in Deutschland nach wie vor gute Autos gebaut. Die deutsche Automobilindustrie ist, auch was Umweltbelange anbelangt, führend in der Welt. Ich warne davor, jetzt eine ganze Branche zu verteufeln, die nicht nur für unsere Wirtschaft wichtig ist, sondern die auch für Umweltbelange wichtig ist. Das heißt, wir müssen aufpassen, dass nicht das Fehlverhalten Einzelner und die Auslegung von Spielräumen der Europäischen Union durch Einzelne dazu genutzt wird, hier eine ganze Technologie zu verteufeln. Das wäre in der Tat so, als würde man das Kind mit dem Bade ausschütten. Also, auch da warne ich ein Stück weit davor, ja, zu überdrehen, wozu wir in Deutschland ja häufig neigen.
Büüsker: Sagt Herr Wittke. Wir müssen leider zum Ende kommen, die Nachrichten rollen auf uns zu. Herr Wittke, vielen Dank für das Gespräch! Oliver Wittke war das, er sitzt für die CDU im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.