Christine Heuer: Erst ist von Affen, dann sogar seit vergangener Nacht von Menschen die Rede. Die deutsche Autoindustrie hat aufs Neue ihre skandalträchtigen Schlagzeilen. Sowohl Affen als auch Menschen sollen nämlich über Stunden hinweg in geschlossenen Kammern Stickoxid-Emissionen ausgesetzt worden sein. Offenbar sollte mit diesen Tests der Nachweis geführt werden, dass Stickoxide gar nicht so gesundheitsschädlich sind, wie dies Umweltschutzorganisationen immer wieder behaupten. Doch nun stellt sich heraus: Diese Versuche sind enorm schädlich, und zwar fürs Image der deutschen Autoindustrie.
Am Telefon ist Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, bis 1997 war er Chefvolkswirt bei BMW. Guten Morgen, Herr Becker.
Helmut Becker: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Was haben Sie gedacht, als Sie von diesen Versuchen nicht nur an Affen, sondern auch noch zusätzlich an Menschen gehört haben?
Becker: Ich bin da etwas hin- und hergerissen, muss ich sagen. Vor dem ethischen und, wenn Sie wollen, historischen Hintergrund, auf dem gerade Deutschland und auch die deutsche Automobilindustrie stehen, ist das natürlich furchtbar. Es ist entsetzlich, dass das hier bei uns passiert und dass das jetzt in der Art und Weise an die Öffentlichkeit kommt, und zwar nicht freiwillig veröffentlicht, sondern über Recherchen auf investigativem Wege. Das ist natürlich furchtbar und kann so auch nicht im Raum stehen bleiben.
"Gerade von der deutschen Vergangenheit her gesehen"
Heuer: Aber andererseits – ich höre ja bei Ihnen ein Aber?
Becker: Ja, andererseits – natürlich, wir haben Menschen- beziehungsweise Tierversuche in der Medizin, in allen möglichen Bereichen, und zwar millionenfach, und das ist auch notwendig, um gerade den Menschen zugute zu kommen beziehungsweise Schaden abzuhalten. Dass sich das jetzt in dieser Art und Weise abgespielt hat, gerade im Zusammenhang von der deutschen Vergangenheit her gesehen und gerade von der deutschen Automobilindustrie initiiert, das ist das Schlimme an der Geschichte. Wenn das irgendeine neutrale staatliche Stelle in Auftrag gegeben hätte und hätte versucht, mit den Tierversuchen zumindest Wahrheit und Licht in diese NOX-Geschichte hineinzubringen, könnte man das verstehen.
Heuer: Herr Becker, wir sind beide keine Experten. Aber selbst in der Medizin, habe ich gelernt, wird nur sehr, sehr zurückhaltend mit Affen experimentiert. Und mit Menschen, das ist dann noch mal ein ganz anderes Thema. Medizin ist noch mal was anderes als die Dieselmotoren von der deutschen Automobilindustrie zu testen. Da geht es ja nur um Gewinn.
Becker: Ja, absolut. – Was heißt nur um Gewinn? – Nein, es geht eigentlich um die Wahrheitsfindung.
"Man versucht natürlich, für sich selber das Beste rauszuholen"
Heuer: Die Wahrheitsfindung? VW wollte beweisen, dass die Dieselmotoren und die Abgasreinigung okay sind, was sie nachweislich nicht sind.
Becker: Ja nicht okay sind, sondern wie schädlich oder welche Gesundheitsauswirkungen da tatsächlich zu erwarten sind, nachdem da ja abenteuerliche Zahlen im Raum stehen von so und so vielen zehntausenden Toten, die in Deutschland allein auf Dieselabgase zurückzuführen sind. Vor dem Hintergrund muss man das auch sehen. Beide Teile, sowohl die positiven wie auch die negativen, sind deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Man versucht natürlich, als Unternehmen dann für sich selber das Beste rauszuholen, um den Diesel natürlich auch besser darstellen zu können. Klar! Das halte ich sogar für legitim. Aber nicht diese Versuche und nicht in dieser Art und Weise und hinter vorgehaltener Hand. Das geht nicht.
Heuer: Herr Becker, Sie haben über die ethische und historische Seite gerade schon gesprochen. Die Bilder, die einem in den Kopf kommen, wenn man diese Zeitungsartikel liest, die dürften bei den meisten Deutschen identisch sein. Wieso sehen eigentlich Manager bei VW, Daimler und BMW diese Bilder nicht?
Becker: Das ist eine gute Frage, die ich leider Gottes nicht beantworten kann. Wenn ich pro Autoindustrie oder pro VW sprechen wollte, dann könnte ich eventuell sagen, dass diejenigen, die diese Tests in den USA veranlasst und betreut haben, mit der deutschen Vergangenheit nichts zu tun haben, weil die kommen aus einem anderen Kontinent und haben auch eine andere Vergangenheit hinter sich.
Heuer: Aber wir sprechen über deutsche Konzerne.
Becker: Ja, das ist richtig.
"Nicht sicher, ob Konzerne wussten, wie diese Tests ablaufen"
Heuer: Irgendjemand muss sich das ja zum Beispiel bei VW oder bei Ihrem ehemaligen Arbeitgeber, bei BMW ausgedacht haben. Was sind das für Menschen, die diesen Bezug nicht herstellen?
Becker: Da muss ich die in Schutz nehmen. Die haben sich das nicht ausgedacht. Ausgedacht hat sich dies die gemeinsame Gesellschaft, die von ihnen betrieben worden ist. Ich bin noch nicht mal sicher, ob die einzelnen Konzerne wussten, in welcher Art und Weise diese Gesellschaft vorgeht und wie diese Tests ablaufen, wenn sie es denn gewusst hätten.
Heuer: Aber die Gesellschaft ist ja beauftragt worden. – Ich erweitere mal die Frage, was da die Manager umtreibt und wie die eigentlich drauf sind. Wir hatten den Dieselskandal 2015. Ein Jahr später werden diese Tests mit Menschen durchgeführt, diese Abgastests mit Mitmenschen. Haben die Manager, die das vielleicht nicht persönlich in Auftrag gegeben haben, aber in deren Auftrag diese Tests durchgeführt werden, haben die nicht eigentlich komplett die Bodenhaftung verloren?
Becker: Dem kann ich nur zustimmen. Dass das hier von deutschem Boden aus so in Auftrag gegeben worden ist, selbst wenn die Probanden das natürlich freiwillig gemacht haben, die Menschen, die sich diesem unterzogen haben, ist nicht verständlich. DA stimme ich Ihnen voll zu. Da sind wir auf der gleichen Linie, gar keine Frage.
"Wird ausgehen wie das Hornberger Schießen"
Heuer: Jetzt wird über Konsequenzen nachgedacht und aus der Gewerkschaft von VW, von Herrn Osterloh hören wir schon, die einzelnen Manager, die dafür Verantwortung tragen, die müssten persönlich zur Konsequenz gezogen werden. Das ist ja auch wieder so was, was wir kennen von Automobilkonzernen: Es werden Bauernopfer geschasst.
Becker: So ist es. Ja, da stimme ich Ihnen auch voll zu. Im Grunde genommen wird das genauso ausgehen. Man wird einzelne subalterne Angestellte zur Rechenschaft ziehen, in den USA genauso wie hier, und ansonsten, glaube ich, werden die Entscheider sich davon wahrscheinlich distanzieren, dass sie davon nichts gewusst haben.
Heuer: Und das hat keine Konsequenzen für das obere Management, für diejenigen, die dafür im Konzern persönlich verantwortlich sind?
Becker: Solange das nicht justiziabel ist, welche Konsequenzen soll das haben. Ich sehe das nicht. Die einzigen Konsequenzen wären die, dass die Aktionäre bei der nächsten Hauptversammlung sich empören können, oder der Aufsichtsrat jetzt einschreitet. Aber die Verflechtung zwischen Aufsichtsrat und Management in den einzelnen Unternehmen ist ja keine kleine. Die ist ja doch relativ stark. Ich vermute, dass das ausgehen wird wie das Hornberger Schießen. Man wird Einzelne wie gesagt zur Rechenschaft ziehen, aber nicht in der oberen Etage.
Schaden "im Moment nicht absehbar"
Heuer: Herr Becker, für Aufklärer klingt das wahnsinnig frustrierend.
Becker: Ja.
Heuer: Wir haben nur noch ein paar Sekunden. Ich muss das auch Ihnen sagen. Aber ich will auch diese Frage noch stellen: Wie groß schätzen Sie den Schaden ein für die deutsche Automobilindustrie?
Becker: Ist im Moment nicht absehbar. Jedenfalls ist er größer als durch die Dieselschummelei selber.
Heuer: Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, bis 1997 BMW-Manager. Herr Becker, ich danke Ihnen fürs Gespräch.
Becker: Ich danke Ihnen, Frau heuer.
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