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Abgastests
"Die Bundesregierung macht mal wieder Lobbyarbeit"

Die Bundesregierung lehnt einem Zeitungsbericht zufolge eine von der EU-Kommission geplante Reform der Autoabgas-Überprüfungen in zentralen Punkten ab. Sie mache mal wieder Lobbyarbeit für die Autoindustrie, warf Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) der Bundesregierung im DLF vor.

Winfried Hermann im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) gestikuliert am 29.12.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) während eines Gesprächs mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
    Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen). (Marijan Murat)
    Christiane Kaess: Die Unterschiede sind oft riesig zwischen den Abgaswerten von Fahrzeugen beim Test im Labor und auf der Straße. Umweltschützer haben schon lange auf diese Diskrepanz hingewiesen. Aber erst durch den Abgasskandal bei VW ist das Ganze einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Seitdem gibt es immer wieder Meldungen zum Thema. Heute ist es die, dass laut Umweltbundesamt auch die neuen Dieselfahrzeuge, die der neuen Abgasnorm unterliegen, in der Praxis viel mehr an gefährlichem Stickoxid ausstoßen als im Labor und damit mehr als erlaubt. Zudem berichtet die Süddeutsche Zeitung, dass die Bundesregierung eine Reform der Abgaskontrolle blockiert, die die EU-Kommission plant.
    Am Telefon ist jetzt Winfried Hermann von den Grünen, Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Guten Tag, Herr Hermann.
    Winfried Hermann: Guten Tag!
    Kaess: Herr Hermann, Baden-Württemberg ist ja in der Position, dass auf der einen Seite Stuttgart berühmt ist für seine stark überhöhten Schadstoffwerte, und auf der anderen Seite ist Baden-Württemberg berühmt für seine Autoindustrie. Was wäre Ihnen denn jetzt lieber, dass die Bundesregierung die EU-Kommission unterstützt bei der strengeren Überwachung der Autoindustrie, oder die Zügel eher locker blieben wie bisher?
    Hermann: Nein. Wir brauchen dringend Unterstützung von der Bundesregierung, damit wir die Grenzwerte in den Städten einhalten können. Und wir sind zwar berühmt dafür, dass es bei uns auch schlechte Luft gibt, aber ich hoffe auch, dass wir berühmt dafür sind, dass wir was dagegen tun. Denn viele andere Bundesländer, viele Städte in Deutschland halten die Grenzwerte gerade bei NOX nicht ein, und da ist dringender Handlungsbedarf geboten. Ein Problem der schlechten Luft ist ja, dass wir Fahrzeuge haben, die in der Realität das nicht einhalten, was sie auf dem Papier versprechen.
    "Das neue System ist schon gut"
    Kaess: Das wurde gerade in dem Beitrag geschildert. Macht die Bundesregierung denn da jetzt gerade Lobbyarbeit für die Autoindustrie?
    Hermann: Sie macht mal wieder Lobbyarbeit, denn man hatte ja jetzt eigentlich sich darauf verständigt, dass ab Herbst _17 ein neues, realistischeres Mess- und Testverfahren eingerichtet wird, das sogenannte WLTP-Verfahren, und dass auch die realen Emissionen gemessen werden. Dort hat man schon den Kompromiss gemacht, dass noch einige Zeit lang das 2,1-Fache in Realität ausgestoßen werden kann, was auf dem Prüfstand erlaubt ist, und danach soll es 1,7fach sein. Man gibt schon ziemlich viel noch zu und wenn das auch nicht rein soll, dann kann ich nur sagen, wie wollen wir denn je die Grenzwerte in den Städten einhalten, wie wollen wir denn je saubere Luft in den Städten bekommen, wenn immer wieder die Werte aufgebohrt werden und wenn nicht scharfe unabhängige Kontrollen stattfinden.
    Kaess: Aber liegt dieser Fehler nicht schon im System, denn wir fragen uns ja nach den Zahlen heute, was bringt ein neues System, auch diese Abgasnorm Euro VI, wenn die gar nicht aussagekräftig ist?
    Hermann: Doch! Das neue System ist schon gut. Erstens ist der Test realistischer an dem Verhalten im Verkehr orientiert. Und zweitens soll es ja auch die Messung im Realverkehr geben, das sogenannte RDE-Verfahren. Das ist gut. Nur wenn man einen Überschreitungsfaktor zulässt und das dann auch noch erst freiwillig macht und dann das noch hinauszögert, dann wird es natürlich richtig schlimm. Dann hilft es auch nichts. Deswegen kann ich nur appellieren, dass man rasch das neue Verfahren und vor allen Dingen die Realmessungen im Verkehr einführt, und zwar ohne langes Zögern, und auch nicht so viel zusätzlichen Ausstoß erlaubt.
    Gerade das Kraftfahrtbundesamt hat sich ja nicht mit Ruhm bekleckert"
    Kaess: Der Vorwurf an die Bundesregierung lautet ja jetzt, sie verzögere eine Entscheidung über Vorschläge der EU-Kommission, Autos bei zu hohen Abgaswerten vom Markt zu nehmen. Würden Sie das tun?
    Hermann: Ich glaube, das ist zwingend. Das muss man auch der Industrie ganz klar sagen.
    Kaess: Und dem Verbraucher!
    Hermann: Ja! Und der Verbraucher muss informiert sein, so dass er weiß, dass er solche Autos am besten gleich gar nicht kauft. Das wäre nämlich eine ganz wirksame Maßnahme auch für die Industrie. Der Witz der ganzen Geschichte ist, dass die Automobilindustrie in der Lage ist, saubere Dieselfahrzeuge zu bauen, die die Grenzwerte auch im Realbereich einhalten können, aber immer noch Fahrzeuge liefert, die das nicht tun. Und das ist wirklich besonders ärgerlich, weil wir ja wissen, die Schadstoffe sind ja keine EU-Erfindung, um Bürokratie aufzubauen, sondern das ist ja zum Schutz der Menschen.
    Kaess: Jetzt heißt es, dass die Bundesregierung auch ablehnen soll, dass künftig Prüfdienste wie der TÜV nicht mehr direkt von Herstellern, sondern über ein Gebührensystem und den Staat bezahlt werden, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Ich nehme mal an, das ist bisher in Baden-Württemberg bei Ihnen auch so. Wie können Sie das eigentlich mit Ihrer Position vereinbaren, dass das System bisher so ist?
    Hermann: Das regeln wir ja nicht als Länder, sondern das regelt ja der Bund beziehungsweise die Europäische Union vom Verfahren her, und eine Konsequenz des Abgasskandals war ja, dass man festgestellt hat, dass es eine zu große Nähe gibt zwischen den Prüfdiensten und der Automobilindustrie. Deswegen kam ja auch der sinnvolle Vorschlag, den ich auch sehr begrüßt habe im Bundesrat, dass man eine unabhängige Finanzierung und eine unabhängige Institution aufbaut, wo weder die Politik, noch die Automobilindustrie einen direkten Zugriff hat, um dann immer wieder Lobbyarbeit zu betreiben, und das war eigentlich bisher Konsens. Deswegen bin ich da völlig überrascht, dass das angeblich jetzt auch ein Problem sein soll, denn ich meine, gerade das Bundesministerium und das Kraftfahrtbundesamt hat sich ja nicht mit Ruhm bekleckert. Die Europäische Union ist ja der Meinung, dass gerade in Deutschland man zu eng mit der Automobilindustrie zusammenklüngelt und nicht deutlich macht, dass der Staat eine doppelte Funktion hat. Er muss zwar für Wirtschaft und wirtschaftliche Interessen auch sorgen, aber er muss auch und vor allem an Gesundheitsinteressen, an Klima- und Umweltschutz denken. Das ist seine Funktion.
    "Wenn sie genügend getan hätten, hätten wir die Grenzwerte einhalten können"
    Kaess: Noch ganz kurz zum Schluss. Die Bundesregierung verweist ja darauf, dass sie bisher durchaus schon einiges getan hat. Wir haben das gerade im Beitrag gehört. Warum reicht das nicht?
    Hermann: Na ja, das ist ganz einfach. Wenn sie genügend getan hätten, hätten wir die Grenzwerte einhalten können. Nur mal zur Erinnerung: Die Grenzwerte bei Feinstaub sind jetzt seit zwölf Jahren gültig. Hier in Stuttgart halten wir sie noch nicht ein. Die Grenzwerte bei Stickoxiden sind seit sieben Jahren gültig und sie waren vorher fünf Jahre im Voraus angekündigt. Es ist wirklich eine lange Übergangszeit und es hat noch nicht geklappt, und das hat damit zu tun, dass man zwar sinnvolle Grenzwerte europäisch einführt, aber anschließend die Maßnahmen, die man machen müsste, um sie einzuhalten, die werden dann lobbyistisch verwässert und am Schluss sind dann die Kommunen und die Länder diejenigen, die es nicht hinbekommen und am Ende zu Fahrverboten greifen müssen, was wir ja nicht per se wollen, sondern das müssen wir, weil alles andere nichts geholfen hat.
    Kaess: … sagt Winfried Hermann von den Grünen. Er ist Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
    Hermann: Vielen Dank für das Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.