Dirk Müller: Tests mit Affen, Tests mit Menschen, wieviel Stickoxide können Menschen vertragen, ertragen, am Menschen selbst getestet, selbst ausprobiert. Ist das Ganze ungeheuerlich, wie es zumeist heute zu hören war, oder ist es Wissenschaft, sind es sachdienliche Tests, konstruktive Versuche, mehr über die Schadstoffbelastung herauszubekommen - unser Thema mit dem Theologen Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Ist Empörung jetzt Pflicht?
Peter Dabrock: Empörung ist sicherlich dann angesagt, wenn man den Eindruck hat, hier läuft etwas gänzlich schief. Und das Eigentümliche ist, glaube ich, hier, dass, wenn man die einzelnen Gesichtspunkte jeweils abschichtet, man sagen könnte, na ja, das geht vielleicht, das ist für sich noch mal problematischer, aber ginge auch noch, das andere ist dann kommunikativ ungünstig. Dann ordnet man das noch in eine Gesamtgeschichte ein und so entsteht ein Syndrom als Ganzes, von dem man dann sagen muss, es überrascht nicht, dass so weite Teile der Bevölkerung und auch der Politik so empfindlich, ja empört reagieren.
Müller: Es ist ja schwierig, diese ganzen Einzelteile dieses Puzzles zusammenzusetzen, auch heute Abend. In den kommenden Tagen werden wir da noch mehr erfahren und können uns dann ein besseres Bild darüber machen, was passiert ist. Als Sie das heute Morgen gehört haben, gelesen haben, die ersten Nachrichten, die da gelaufen sind, wie haben Sie reagiert?
Dabrock: Ich gebe zu, zunächst erst auch einmal empört. Und dann kommt bei mir ja doch von Berufswegen erst mal so ein Distanzfilter, weil, wie ich immer gerne sage, erste Aufgabe der Ethik ist Warnung vor Moral. Nachdem ich selber gemerkt habe, hoppla, da ist bei mir jetzt so ganz erheblich erst mal Empörung aufgekommen, habe ich gedacht, guck aber noch mal näher hin, beispielsweise mit Blick auf die Versuche. Es wurde ja erst gemeldet Menschenversuche, und ich glaube, wer bei Menschenversuchen sofort nicht nur ein ungutes Gefühl hat, sondern bei wem da nicht sofort die Alarmglocken schrillen, würde es mich wundern. Also habe ich erst mal gedacht, jetzt hör noch mal genau hin und guck noch mal genau hin. Und ich muss auch zugeben, dass ich zunächst erst mal gedacht habe, wo mir so die Standards aus der Medikamenten- oder Arzneimittelprüfung bekannt sind, wie ist das eigentlich bei den Expositionsstudien, dass man ausgesetzt wird einem belastenden oder möglicherweise sogar gefährlichen Stoff, bei solchen Studien, wie da die Standards sind.
"Was hat die Autoindustrie da mal wieder vollbracht?"
Müller: Was bei Medikamenten ja auch schon sein kann.
Dabrock: Genau. Da ist mit das Prozedere von den Medikamentenstudien bekannt. Aber mir war zuerst mal nicht ganz bekannt, ob das bei diesen Expositionsstudien, solchen toxikologischen Studien ganz genauso ist. Ich habe mich dann entsprechend auch kundig gemacht und dann ist mir auch relativ bald bewusst geworden, dass es da dann auch die schon veröffentlichte Studie gab, in der sogar hinten in dem sogenannten Acknowledgement, in dem man kund tut, transparent macht, wer eine Studie gefördert hat, sogar diese Institution genannt war und dass es durch die Ethikkommission gegangen war. Dann habe ich schon noch mal angefangen nachzudenken, ob das in Einsätzen mit den Affenstudien in den USA, bei denen ja erkennbar die Affen einer erheblichen gesundheitlichen Gefahr ausgesetzt sind, gleichzuordnen ist. Da habe ich dann doch meine Zweifel bekommen und gedacht, nee, das muss unterschiedlich gewichtet werden, und habe mich dann aber auch gleichzeitig als nächstes gefragt, warum regt sich alles so auf und was hat die Autoindustrie da mal wieder vollbracht.
Müller: Sie haben gesagt, es ist ja vor allem der Eindruck, der da entsteht, und viele versuchen, sich das jetzt irgendwie zusammenzusetzen, was da passiert ist. Wenn wir von den Affen, über die wir in den vergangenen Tagen ja auch schon geredet und berichtet haben, einmal absehen, von diesen Affenversuchen, ging es ja jetzt um diese Tests mit Menschen. Stickoxide sollten da getestet werden an Probanden, die Verträglichkeit, die Erträglichkeit, wie auch immer definiert. Sie haben gerade, Herr Dabrock, ja schon darauf hingewiesen: Bei Medikamenten gerade in der Endphase einer Entwicklung ist das Gang und Gäbe. Da werden Honorare bezahlt, haben wir hier gelesen, bis 700 Euro für die entsprechenden Probanden. Da wird auch noch mal getestet, wie verträglich ist das Ganze.
Jetzt kam das Stichwort Menschenversuche ja auch in den Nachrichten, in den Medien. Es gibt auch Menschenversuche, wo man nicht zusammenzucken muss.
"All unsere Arzneimittelforschungen sind ja Versuche"
Dabrock: Selbstverständlich ist das so. All unsere Arzneimittelforschungen sind ja quasi, wenn man so will, Versuche, klinische Versuche mit Menschen, die aber eine ganze Batterie an Sicherheitsstandards, an Dokumentationsstandards voraussetzen, an prozeduralen Standards voraussetzen, die anfangen von der Genehmigung durch eine Ethikkommission, die das alles überprüfen muss, bis hin zu entsprechenden verständlichen Aufklärungsbögen, die dann dafür sorgen, ob ein Proband mitmacht oder nicht, und am Ende dann eine informierte Einwilligung ergeben muss. All das ist hier mit berücksichtigt.
Müller: Ein Kontrollregime geht darum herum?
Dabrock: Ein riesiges Kontrollregime, wo man auch dann nicht sagen kann, beispielsweise dürfte ich jetzt nicht einer Studie zustimmen, selbst wenn ich es wollte, bei der es um Kopftransplantationen geht, weil das schlicht und einfach ein so hohes medizinisches Risiko ist, dass sich das nicht rechtfertigen lässt.
Müller: Wie ist das jetzt in unserem Fall? 25 Probanden, davon ist jedenfalls die Rede, sollen Stickoxiden in unterschiedlicher Konzentration ausgesetzt worden sein. Die Automobilindustrie sagt, es gibt keinen Zusammenhang mit Dieselschadstoff-Messwerten. Es ging, ist jedenfalls die offizielle Argumentation, um die Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz. Bei vielen Arbeitsplätzen, wird argumentiert, ist die tatsächliche Belastung in den Firmen, in den Unternehmen viel, viel höher als bei diesem Test gewesen. Ist das glaubwürdig?
"Hinter dem Institut steht verkappterweise noch mal die Autoindustrie"
Dabrock: Das Ganze zeigt jedenfalls, im besten Fall formuliert, das Dilemma, in dem Forschung häufig steckt. In einer schlechteren Formulierung würde man sagen, hat das Ganze ein Geschmäckle. Eben deswegen, weil hier die Forschung in Auftrag gegeben wurde durch ein Institut, hinter dem noch mal verkappterweise die Autoindustrie steht. Der Name klingt ja zunächst erst mal wie eine wunderbare unabhängige Forschungsinstitution. Niemand weiß, dass dahinter die Autoindustrie steckt.
Insofern hat das Ganze tatsächlich doch in einer gewissen Weise ein Geschmäckle, dass das nicht transparent gemacht worden ist. Zugleich macht es auf das Dilemma der öffentlichen Forschung aufmerksam. Die grundständige Forschungsfinanzierung ist mittelprächtig bis gering. Man braucht also Gelder, um Forschungen durchzuführen, und da wird jetzt hier ein Sponsor genommen. Da könnte man den Vergleich nehmen: Das ist so, als ob die Tabakindustrie bezahlen würde, ob Rauchen schädlich ist oder nicht. Dann würde doch jeder sagen, das ist nicht unbedingt gerade der Sponsor, der dafür spricht, dass die Forschung neutral durchgeführt wird. Also muss man dafür sorgen, dass Forschung noch stärker unabhängig sein kann.
Müller: Also müsste sie steuerfinanziert, staatlich finanziert sein.
Dabrock: Richtig. Entweder durch öffentliche Förderung, oder man lässt Stiftungen zu, die das machen, die aber so unabhängig sind als eine Art Mittlerfunktion, die so unabhängig sind, da solche Institutionen da nicht den schon indirekten Durchgriff auf die Förderung haben.
Müller: Herr Dabrock, ist denn jeder Wissenschaftler - ketzerische Frage -, der gesponsert wird von Firmen, nicht mehr unabhängig?
"Die Wissenschaft muss seine hohe Reputation behalten"
Dabrock: Ich glaube, so weit sollte man nicht gehen. Aber es ist natürlich so - und da habe ich schon Verständnis auch insgesamt für -, dass überall dort, wo Wissenschaft erkennbar sehr im starken Maße abhängig ist von Förderern, die Gefahr jedenfalls besteht, dass diese Förderung nicht in dem Maße unabhängig ist, wie sie es sein sollte. Und Vertrauen in die Forschung ist zum einen von der Sache her extrem wichtig, zum anderen aber auch ein hohes, aber auch fragiles Gut. Gerade in Zeiten von Fake News und Echokammern und Filterblasen ist es wichtig, dass die Wissenschaft die hohe Reputation, die sie hat, weiter behält und nicht gefährdet.
Müller: Sie beschäftigen sich ja viel mit Wissenschaft, mit Forschung, haben darauf jetzt auch rekurriert, auf Ihre Erfahrungen, auf Ihre Gespräche auch mit den Unternehmen. Würde es denn um die Progressivität, das heißt um die Innovationsfähigkeit von Forschung schlecht bestellt sein, wenn milliardenschwere Unternehmen sich plötzlich da zurückziehen und nicht mehr bestimmte Dinge auch ermöglichen, das einfach mal zu tun, das einfach mal auszuprobieren, im Rahmen dessen, was beispielsweise ja durch ethische Regeln vorgegeben wird?
Dabrock: Ich glaube, das ist ganz wichtig, worauf Ihre Frage hinzielt, nämlich dass man nicht schwarz-weiß einfach denkt, dass man überall dort, wo auch große Investitionen nötig sind, man das von vornherein verurteilt und sagt, diese Forschung kann überhaupt nicht objektiv sein, die kann nicht den Standards der Wissenschaft genügen. Das ist sicher nicht der Fall und viele, eigentlich wir alle profitieren davon, dass exzellente Forschung auch beispielsweise in Pharmaunternehmen geleistet wird. Dennoch: Bei solchen Forschungen, bei denen auch klar ist, dass ihre politische Instrumentalisierung auf der Hand liegt, ist es schon wichtig, dass deutlich gemacht wird, dass hier eine Unabhängigkeit herrscht und dass es den Vertrauensgewinn nun wirklich nicht fördert, …
Müller: Und das ist für Sie hier der Fall, politische Instrumentalisierung, zumindest die Möglichkeit?
Dabrock: Na ja. Um es noch mal zu sagen: Natürlich kann man sagen, das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun, der Dieselskandal und die Versuche in Amerika und diese Forschungen hier. Dass gleichzeitig von einem Institut gefördert wird, dass zu 100 Prozent von der Autoindustrie gesponsert wird, da muss man sich dann natürlich schon fragen, ob es klug ist, so eine Forschungsförderung anzunehmen, wenn dann das Ziel der Forschung sein soll, die Arbeitsplatzbelastung beispielsweise von LKW-Fahrern oder Automechanikern zu überprüfen. Dass da ein Zusammenhang besteht, dass Leute da fragen, das liegt doch wirklich auf der Hand.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Theologe Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Wir haben das Interview kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
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