Matthias von Hellfeld: Einige Abgeordnete des Bundestags sind offenbar systematisch ausgespäht worden. Wo ihre Daten, E-Mails und andere vertrauliche Informationen letzten Endes gelandet sind, ist derzeit noch nicht ganz geklärt. Der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen deutete am Rande einer Konferenz zur Cyber-Sicherheit in Potsdam an, dass es sich um einen ausländischen Nachrichtendienst handeln könnte, und fügte an, dass seinem Dienst die "Fähigkeiten von russischen Diensten große Sorgen bereiteten."
Ich will das Thema noch ein wenig vertiefen mit einer Parlamentarierin, die im Ältestenrat heute dabei gewesen ist, nämlich Frau Dr. Petra Sitte. Sie sind als eine von drei Vertreterinnen der Linken im Ältestenrat und sind heute informiert worden über den Stand der Aufklärung. Wissen Sie, wer hinter der Attacke steckt?
Sitte: Na ja, dazu kann ich eigentlich nur Herrn Maaßen vom Bundesamt für Verfassungsschutz zitieren. Der hat heute in Potsdam in der Sicherheitskonferenz kundgetan, man vermutet dahinter den russischen Geheimdienst oder eine Gruppe beim russischen Geheimdienst.
von Hellfeld: Halten Sie das für glaubwürdig oder für stichhaltig?
Sitte: Ja Gott, das müssen die IT-Experten einschätzen, weil es gibt ja auch unter Leuten, die sich mit Hacker-Angriffen auskennen, durchaus eine Einschätzung, was ist technologisch möglich aus der Sicht der Chinesen, der Russen und der Amerikaner oder Israels. Insofern wird das Knowhow, das dort verwendet wird, sicher auch eingeschätzt.
"Man kann überhaupt nicht davon ausgehen, dass der Angriff beendet ist"
von Hellfeld: Ist denn der Angriff jetzt beendet, oder ist er in den letzten Tagen beendet worden, oder müssen beispielsweise Sie oder auch andere Abgeordnete befürchten, dass ihre Daten auch weiterhin ausspioniert werden?
Sitte: Es ist zwar, wie Auskunft gegeben wurde, in den letzten Tagen kein Datenabfluss erfolgt, aber man kann überhaupt nicht davon ausgehen, dass der Angriff beendet ist. Es kann sein, dass die Angreifer mal ein Päuschen machen und dass das dann wieder einsetzt. Insofern sind wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt nicht sicher.
von Hellfeld: Als Abgeordnete gefragt: Wie arbeitet es sich, wenn man weiß oder wenn man befürchten muss, dass seine Mails und alles, was man so in seinem PC hat, möglicherweise in fremde Hände gerät?
Sitte: Na ja, das ist sicher noch unterschiedlich einzuschätzen, je nachdem in welchen Ausschüssen man arbeitet. Fakt ist, dass wir jetzt in so einer Art Übergangsbetrieb sind. Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein intensives Monitoring des Netzes, eine Beobachtung des Netzes, um weiteren Datenabfluss zu verhindern, oder um Täterzugänge zu blockieren. Und sobald sich dort Auffälligkeiten zeigen, werden entsprechende Maßnahmen getroffen. Insofern hat sich manches verzögert in der Präsentation. Dann sind Router gewechselt worden. Da war das eine oder andere für einige Zeit nicht zugänglich. Das gehört zu dieser Übergangsphase und zu dem Bemühen, sowohl Aufklärung zu betreiben als auch erste Schritte zu gehen, um das Netz zu sichern beziehungsweise neu zu installieren.
"Weitergearbeitet wie sonst auch"
von Hellfeld: Sie haben ganz normal weitergearbeitet wie sonst auch?
Sitte: Ich ehrlich gesagt ja.
von Hellfeld: In die Aufarbeitung und Aufklärung vor allem auch der ganzen Angelegenheit sind jetzt sowohl der Verfassungsschutz als auch das Bundeskriminalamt eingeschaltet. Die drei Vertreter der Linken waren erst dagegen oder sind es immer noch. Warum?
Sitte: Ah, da haben Sie eine falsche Information. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind zwei Behörden, eine schon länger, nämlich das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, und jetzt erst neueren Datums das Bundesamt für Verfassungsschutz. Wir haben nicht blockiert als Linke. Wir haben immer darauf bestanden, dass die Bedingungen geklärt werden, unter denen der Bundestag die Hoheit behalten kann innerhalb dieses ganzen Prozesses. Das war mit dem BSI klar, die waren beratend und sind es nach wie vor tätig. Und das gleiche gilt für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Zum einen haben die einen gesetzlichen Auftrag, bei dem wir davon ausgehen müssen, dass der auch erfüllt wird. Das sind bestimmte Informationspflichten, sowohl gegenüber dem Bundestag als auch betroffenen Behörden. Zum anderen ist auch hier zu klären, dass der Verfassungsschutz nicht direkt Zugriff hat auf Daten des Bundestages oder Abgeordnetenbüros, also auch hier nur beratend tätig werden kann.
"Informationen rausgegangen, die heute erst Gegenstand der Sitzung waren"
von Hellfeld: Ist denn jetzt sichergestellt, dass die ermittelnden Geheimdienste nicht bei der Aufklärung der Spionage sozusagen auch Spionage betreiben?
Sitte: Na ja, das ist in der Tat ein Problem, weil beide Behörden, sowohl das BSI als das Bundesamt für Verfassungsschutz, exekutive Behörden sind und nachgeordnet dem Bundesinnenministerium. Insofern können wir jetzt nur verfolgen, inwieweit das tatsächlich auch eingehalten wird. Was zu sehr viel Irritation und Ärger unter Abgeordneten geführt hat, ist die Tatsache, dass Informationen offensichtlich aus Behörden an Medien geflossen sind. Wir haben heute Morgen als Kommission für Information und Kommunikation des Bundestages zusammengesessen und gestern Abend sind Informationen rausgegangen, die heute erst Gegenstand der Sitzung waren. Und heute Morgen war mit Bezug auf das BSI in der "Bild"-Zeitung einiges zu lesen. Und das sorgt natürlich für Ärger und ist überhaupt nicht vertrauensbildend. Insofern wird der Bundestag das verfolgen müssen, inwieweit die Zusagen eingehalten werden.
von Hellfeld: Das führt mich unmittelbar zu meiner letzten Frage. Welche Konsequenzen werden jetzt einerseits unmittelbar, also sofort, und andererseits langfristig gezogen?
Sitte: Na ja, jetzt - ich habe ja den Übergangsbetrieb vorhin beschrieben - läuft aber zugleich noch die Analysephase. Man versucht, die betroffenen Systeme zu identifizieren. Man versucht, das Schadprogramm zu identifizieren und zu analysieren und den Umfang des Schadens festzustellen. Aber parallel muss aus unserer Sicht jetzt auch laufen die Konzeption eines sicheren Neustarts und Konzeption und Umsetzung. Das heißt, dass man beides parallel leisten muss. Und die Frage, inwieweit nun die Bundesgeneralanwaltschaft hier tätig wird - das ist ja auch diskutiert worden -, ergibt sich aus der Bewertung der Antworten des Bundestages. Denn es sind Fragen eingegangen, und dann hat wiederum der Ältestenrat beziehungsweise die genannte Kommission zunächst darüber zu beraten und später zu entscheiden.
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