Ohne ein Einlenken werde eine Mandatierung im Bundestag schwierig werden, sagte der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschlandfunk, Florian Hahn. In diesem Fall müsste man über Alternativen für die Stationierung nachdenken - etwa in Griechenland oder Jordanien. Hahn zeigte sich zuversichtlich, dass eine Einigung mit der Türkei möglich ist.
Bundeskanzlerin Merkel habe auf dem NATO-Gipfel klar Position bezogen. Er erwarte, dass der Dialog fortgesetzt werde. Die Türkei verweigert derzeit Bundestagsabgeordneten einen Besuch des Stützpunktes Incirlik, wo Bundeswehr-Soldaten stationiert sind. Grund dafür ist vermutlich die Resolution des Bundestages, in der die Massentötungen an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet werden.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Und am Telefon ist jetzt der CSU-Politiker Florian Hahn, Mitglied im Bundestags-Verteidigungsausschuss. Er ist außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Herr Hahn!
Florian Hahn: Grüß Gott, Frau Heuer!
Heuer: Ist Angela Merkel, wie Cem Özdemir auch meint, zu großzügig gegenüber Erdogan?
Hahn: Nein. Ich glaube, davon kann man überhaupt nicht reden. Die Bundeskanzlerin hat auf dem NATO-Gipfel dem Präsidenten der Türkei gegenüber klar gemacht, wie hier die Wünsche der Bundesregierung beziehungsweise Deutschlands und des Parlaments sind, und da müssen wir weiter dran arbeiten. Denn eines steht fest: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das deutsche Parlament am Ende diesen Jahres einen Einsatz in der Türkei in Incirlik verlängern wird, wenn es nicht möglich ist für uns Parlamentarier, unsere Soldatinnen und Soldaten zu besuchen.
Alternativer Stützpunkt in Griechenland oder Jordanien
Heuer: Aber was, wenn Erdogan Nein sagt? Die Kanzlerin will ja weiter daran arbeiten. Aber wenn Erdogan nicht mitzieht, was soll sie dann tun?
Hahn: Dann müssen wir Konsequenzen ziehen, und zwar in aller Ruhe. Dann müssen wir sehen, wo wir möglicherweise diesen Einsatz alternativ fortsetzen können. Ich könnte mir vorstellen, dass hier Griechenland oder Jordanien eine gute Adresse ist.
Heuer: Haben Sie Hinweise aus Griechenland oder Jordanien, ob die damit einverstanden wären?
Hahn: Das müsste man dann entsprechend in Gesprächen ausloten. Aber ich bin sicher, dass beispielsweise Jordanien zur Verfügung steht, denn die hatten das bei der Planung dieses Einsatzes schon signalisiert.
Heuer: Wie schnell würde sich so etwas denn realisieren lassen in der Praxis, der Umzug von immerhin 240 Bundeswehrsoldaten inklusive Tornados?
Hahn: Das kommt dann darauf an, wo die Reise hingeht. In Jordanien beispielsweise gäbe es zwar einen geeigneten Flugplatz, aber natürlich ist die ganze Infrastruktur nicht da und wir müssen auch daran denken, dass dann wahrscheinlich andere Sicherheitsmaßnahmen durch die Bundeswehr selbst erledigt werden müssen, die im Moment am NATO-Standort in Incirlik durch NATO-Kräfte, vor allem durch die Amerikaner gewährleistet werden.
Heuer: Aber, Herr Hahn, das heißt doch: Wenn die deutschen Bundeswehrsoldaten aus Incirlik abgezogen werden, dann schwächen wir de facto wenigstens vorübergehend die Anti-IS-Koalition. Also wir schneiden uns ins eigene Fleisch?
Hahn: Nein, das darf eben nicht passieren. Das muss dann so vorbereitet sein, dass entsprechend ein Abzug reibungslos möglich ist. Das lässt sich sicherlich parallel bewerkstelligen, Aufbau in Jordanien und dann den Abzug aus der Türkei zu machen.
"Ich erwarte, dass hier Erdogan einlenkt"
Heuer: Nun plant ja auch die NATO AWACS-Aufklärungsflüge von der Türkei aus. Auch dabei soll die Bundeswehr mitmachen. Wenn Erdogan nicht einlenkt, wären Sie dann dafür, dass die Deutschen dann gleich sagen, da fangen wir gar nicht erst mit an, da sind wir draußen?
Hahn: Das muss man zumindest in Erwägung auf alle Fälle auch ziehen. Selbstverständlich! Aber ich hoffe schon, daran sollten wir auch arbeiten, dass Erdogan einsieht, dass ja diese Einsätze, gerade AWACS, aber auch der Kampf gegen den Islamischen Staat, zum Nutzen der Türkei sind und dass hier die NATO ja nicht was macht, wo wir auf Gefälligkeiten von Herrn Erdogan angewiesen sind, sondern wo wir die Türkei schützen, wie wir das im Übrigen auch in der Vergangenheit gemacht haben, als wir mehrere Jahre in Kahramanmaras die Türkei gegen ballistische Flugkörper geschützt haben. Das hat die Bundeswehr, das hat die NATO für die Türkei getan. Insofern muss ich schon sagen, dass ich erwarte, dass hier Erdogan einlenkt.
Heuer: Noch mal kurz zur NATO. Es ist ja möglich, dass über einen solchen Einsatz der Bundestag abstimmen müsste. Zum jetzigen Zeitpunkt, so wie die Dinge liegen, würden Sie dann im Bundestag mit Nein stimmen?
Hahn: Ich gehe davon aus, dass das im Bundestag mandatiert werden muss, und da gilt es, noch Dinge mit der Türkei zu regeln. Sonst, denke ich, wird eine Mandatierung im Bundestag schwierig werden.
Schaden für Türkei wäre groß
Heuer: Wie groß ist denn der Schaden für die Türkei, wenn das alles so kommt, wie wir das gerade besprechen und die Bundeswehrsoldaten tatsächlich abgezogen werden?
Hahn: Insgesamt ist natürlich mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Türkei der Schaden für die Türkei insgesamt immens groß. Wir haben hier leider eine völlige Veränderung in den Verhältnissen in unseren Partnerschaften, die wir mit der Türkei haben. Das wirkt sich auch natürlich irgendwann wirtschaftlich aus, es wirkt sich auch auf die militärische Zusammenarbeit aus. Ich glaube, die Türkei ist gut beraten, das mal genauer abzuwägen und zu überlegen, ob das wirklich Sinn macht.
Heuer: Einige Bundestagsabgeordnete haben ja bereits angekündigt, im September nach Incirlik reisen zu wollen. Sind Sie da mit von der Partie?
Hahn: Ich gehöre mit dazu und soll für die CSU mit an Bord sein, und das wünsche ich mir auch und wir werden sehen, ob das möglich ist.
Heuer: Und wenn Sie nicht einreisen dürften, was würden Sie in diesem Fall von der Bundesregierung erwarten?
Hahn: Ich erwarte jetzt schon und bis dann und darüber hinaus, dass die Bundesregierung natürlich mit der Türkei im Dialog ist und versucht, diese Kuh vom Eis zu bringen. Und sollte für mich persönlich ein Besuch nicht möglich sein in der Türkei, bei unseren Soldatinnen und Soldaten, dann werde ich persönlich einer Mandatsverlängerung Ende diesen Jahres in der Türkei nicht zustimmen.
Heuer: Sonst schon?
"Die Soldatinnen und Soldaten sind nicht beunruhigt"
Hahn: Wenn wir die Kuh vom Eis kriegen, dann kann ich mir das selbstverständlich vorstellen.
Heuer: Was halten eigentlich die deutschen Soldaten in Incirlik von diesem jüngsten Streit? Wissen Sie das? Vielleicht können Sie ja telefonieren mit denen, wenn Sie sie schon persönlich nicht besuchen dürfen.
Hahn: Natürlich kriegt man das mit. Die Soldatinnen und Soldaten sind da jetzt nicht beunruhigt. Sie fühlen sich natürlich am Standort dort, an dem NATO-Standort weiterhin sicher. Aber sie verfolgen das natürlich schon mit Interesse und erwarten natürlich: Sie sind Parlamentsarmee und sie erwarten natürlich auch, dass das Parlament, so wie wir das in allen anderen Einsätzen machen, auch regelmäßig Besuche macht, um zu sehen, wie es den Soldatinnen und Soldaten geht, ob im Bereich Ausrüstung etc. noch was benötigt wird. Darauf wollen die Soldaten nicht verzichten.
Heuer: Aber die sind relativ gelassen und beobachten das in Ruhe erst mal, wie sich die Dinge entwickeln?
Hahn: So ist es.
Heuer: Sie haben über den Schaden für die Türkei gesprochen, Herr Hahn. Aber es gibt ja auch einen möglichen Schaden für Europa und für Deutschland und vielleicht sogar besonders für Bayern, dann nämlich, wenn an diesem und anderen Streitpunkten zwischen Ankara und Berlin der EU-Türkei-Deal scheitern würde. Für wie groß halten Sie denn diese Gefahr?
Hahn: Der Schaden beim Scheitern dieses Deals ist auf allen Seiten gleichermaßen groß. Deswegen wollen wir natürlich nicht, dass diese Vereinbarung scheitert. Aber auch hier ist es, glaube ich, richtig und wichtig, der Türkei mal aufzuzeigen, was denn das auch für Konsequenzen für die Türkei bedeutet. Die Türkei hat 40 Prozent aller ihrer Exporte nach Deutschland. Dann kann man schätzen, wieviel es für die gesamte Europäische Union ist. Das heißt, wir sind ein extrem wichtiger Wirtschaftspartner, Deutschland und auch die EU. Ich glaube, darauf will die Türkei auch nicht verzichten.
Heuer: Und das müsste sie, wenn sie uns nicht die Flüchtlinge weiter vor den Grenzen hält? Dann müsste sie auf diese Wirtschaftsbeziehungen verzichten?
Hahn: Ich glaube, wir sollten schon mal darauf aufmerksam machen und das in den Verhandlungen und in den Gesprächen deutlich unterstreichen.
"Wir sind der Türkei sehr viel entgegengekommen"
Heuer: Kann man in irgendeinem Punkt aus Ihrer Perspektive vielleicht der Türkei auch mal entgegenkommen? Denn die kommen ja jetzt schwer von diesem Stuhl wieder runter, auf den sie sich gesetzt haben.
Hahn: Das ist sicherlich nicht ganz einfach. Aber ich glaube, dass man mit all den Dingen, die wir im Gegenzug auch der Türkei in Aussicht gestellt haben, allein die finanzielle Unterstützung für die Türkei, dann Aufrechterhaltung auch der wirtschaftlichen Partnerschaft etc., wir eigentlich sehr viel der Türkei entgegengekommen sind. Insofern erwarte ich schon, dass sich hier die Standpunkte von der türkischen Seite her ändern.
Heuer: Florian Hahn, außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Hahn, haben Sie vielen Dank dafür.
Hahn: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.