Laut dem vorläufigen Endergebnis ist die SPD aus der Abgeordnetenhauswahl in Berlin als stärkste Kraft hervorgegangen, sie kam auf 21,4 Prozent. Die Grünen konnten deutlich zulegen und erreichten 18,9 Prozent. Die CDU kam auf 18,1 Prozent, die Linke auf 14,0 Prozent, die AfD auf 8 Prozent. Die FDP erzielte 7,2 Prozent.
Damit schauen in Berlin alle auf die ehemalige zurückgetrene Bundesfamilienministerin und designierte neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, deren Partei SPD die Wahl gewonnen hat. Der aktuell regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte sich nicht für eine Wiederwahl zur Verfügung gestellt.
Insgesamt vier Konstellationen sind rechnerisch möglich: eine Fortsetzung von Rot-Rot Grün, eine Ampel, eine Deutschland- oder eine Kenia-Koalition. Eine Zusammenarbeit mit der AfD haben alle Parteien ausgeschlossen. CDU und FDP werden nicht mit der Linken zusammenarbeiten.
Noch hält sich die Berliner SPD-Spitze offen, mit wem sie eine Landesregierung bilden will. Spitzenkandidatin Franziska Giffey kann sowohl das bisherige Rot-Rot-Grüne Regierungsbündnis fortsetzen als auch neue Partner suchen.
Franziska Giffey hat aber einen Zeitplan vorgelegt: Die Sondierungsgespräche beginnen zunächst mit den bisherigen Koalitionspartnern: den Grünen und den Linken. Danach geht es weiter mit CDU und FDP - beide Parteien hatten am Wahlabend bereits signalisiert, dass sie für ein Mitte-Bündnis zur Verfügung stünden. Dann erfolgt eine Entscheidung des SPD-Landesvorstands über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Möglichst Anfang Dezember soll ein SPD-Landesparteitag dem verhandelten Koalitionsvertrag zustimmen.
Rot-Rot-Grün (SPD, Linke, Grüne)
Eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken hat rechnerisch eine komfortable Mehrheit. Sowohl die Linken als auch die Grünen haben sich für eine erneute Zusammenarbeit ausgesprochen. Die Basis der SPD in Berlin würde ebenfalls Rot-Rot-Grün bevorzugen. Die Jusos und einige SPD-Kreisverbände bereiten Beschlüsse zur Fortsetzung von Rot-Rot-Grün vor.
Deutschland-Koalition (SPD, CDU, FDP)
Die Christdemokraten und auch die FDP wünschen sich eine Deutschland-Koalition unter Führung der SPD. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja sagte: "Wir wollen eine Koalition der Mitte, und wir haben natürlich stärkere inhaltliche Schnittmengen mit der CDU und der SPD. Wir wollen einen Politikwechsel, und Franziska Giffey wird uns nicht als Steigbügelhalter bekommen für eine Linkskoalition light."
Im Wahlkampf hatte Giffey deutliche Übereinstimmungen mit der CDU erkennen lassen. Die Deutschland-Koalition wäre das einzige Bündnis ohne Beteiligung der Grünen. Inhaltlich käme das Giffey gelegen, doch damit steht sie in der SPD weitgehen allein da. Die Basis wünscht sich eher eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün statt eine Zusammenarbeit mit CDU und FDP.
Ampel-Koalition (SPD, FDP, Grüne)
Die Ampel-Koalition wäre rechnerisch zwar möglich, doch die Differenzen zwischen der FDP und den Grünen sind sehr groß. Giffey sagte dazu: "Definitiv wird die Koalition unter sozialdemokratischer Führung arbeiten und wir werden in den Gremien besprechen, was funktionieren kann, wie wir die möglichst große Schnittmengen haben mit dem Programm, was wir als Sozialdemokraten in Berlin beschlossen haben. Und natürlich kann eine Möglichkeit, die im Bund erfolgreich ist, die übrigens auch in Rheinland-Pfalz erfolgreich ist, auch ein Weg für Berlin sein."
Kenia-Koalition (SPD, Grüne, CDU)
Die stabilste Mehrheit hätte die Kenia-Koalition. Doch die Positionen der Grünen und der CDU liegen in Berlin sehr weit auseinander.
Mit Franziska Giffey (SPD) bekommt die Hauptstadt erstmals eine Regierende Bürgermeisterin. Giffey sagte zum Abschneiden ihrer Partei: "Wir haben ein Ergebnis, das alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist hier für die Berliner SPD. Wir sind aus einer schwierigen Situation nach vorne gekommen, genau wie im Bund, genau wie in Mecklenburg-Vorpommern. Und das ist ein ganz toller Tag heute für die SPD."
Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, reagierte erfreut auf das gute Abschneiden ihrer Partei: "Wir haben es geschafft, das zu einer Klimawahl zu machen. Wir müssen Berlin zu einer grünen Hauptstadt machen. Fit für den Klimawandel. Das ist eine große Aufgabe. Da bin ich demütig. Aber ich freue mich auch drauf."
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner sagte am Wahlabend, seine Partei sei angetreten, um Rot-Rot-Grün zu beenden, und die Zahlen könnten das vielleicht auch noch hergeben.
Die FDP hat ihr Ergebnis von 2016 in etwa gehalten. Spitzenkandidat Sebastian Czaja würde gerne mitregieren als Teil einer Deutschland-Koalition gemeinsam mit SPD und CDU: "Es gilt das, was wir vor der Wahl gesagt haben, gilt auch danach bei uns. Wir schließen Gespräche mit AfD und Linke aus und sind gesprächsbereit für ein Bündnis der Mitte in dieser Stadt."
Größte Verliererin der Wahl in Berin ist die AfD. Sie hat ihr Ergebnis fast halbiert und kam auf acht Prozent. Spitzenkandidatin Kristin Brinker: "Für uns ist es klar, wir werden eine wieder starke Opposition sein, so wie wir das in der letzten Legislatur waren. Wir werden den Finger in die Wunde legen. Wir werden darauf achten, dass mit Steuergeld ordentlich umgegangen wird und hart an der Sache arbeiten."
Gleichzeitig mit der Wahl des Abgeordnetenhauses wurde über das Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" entschieden. Beim Volksentscheid ging es um die Frage, ob Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaftet, also gegen Entschädigung enteignet werden sollen. Eine Mehrheit stimmte in Berlin dafür. Nach Angaben der Landeswahlleiterin stimmten beim Volksentscheid 56,4 Prozent mit "Ja", 39 Prozent mit Nein.
Der Senat soll nun, so der Wille der Berliner, alle Maßnahmen einleiten, die zur Überführung dieser Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind und ein entsprechendes Gesetz erarbeiten. Das Ergebnis ist für den Senat rechtlich zwar nicht bindend, gleichwohl werden sich der neue Senat und das neue Abgeordnetenhaus mit dem Votum auseinandersetzen müssen. Die Linke war die einzige Partei, die sich explizit dafür ausgesprochen hatte, das Volksbegehren zu unterstützen und umzusetzen.
Der Volksentscheid stellt für die Sondierungen und Koalitionsverhandlungen ein großes Problem dar. Franziska Giffey reagierte am 27. September eher zurückhaltend auf dieses Thema. Sie ist gegen Enteignungen, sagte aber eine Überprüfung zu.
Für Diskussionen sorgte die Abgeordnetenhauswahl wegen organisatorischer Probleme. Wahlzettel fehlten, Nachschub kam erst spät. Auch die Wahlzettel waren unübersichtlich gestaltet, was zur Folge hatte, dass viele Wählerinnen und Wähler lange in der Wahlkabine verblieben, weil sie lange überlegen mussten. Daraufhin bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen und alle, die um 18 Uhr noch in der Schlange standen, konnten erst nach 18 Uhr wählen, wodurch das Wahlergebnis möglicherweise rechtlich anfechtbar ist. Der Bundeswahlleiter hat mittlerweile einen detaillierten Pannenbericht angefordert.
Franziska Giffey (SPD)
Die Vorsitzende und Spitzenkandidatin der Berliner SPD war die bekannteste Bewerberin für das Rote Rathaus. Franziska Giffey war von 2015 bis 2018 Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, bevor sie auf die Bundesebene wechselte und Familienministerin in der Großen Koalition wurde. Das Ministeramt legte sie jedoch im Mai 2021 nieder, da auch nach mehrmaliger Prüfung der Vorwurf im Raum stand, dass sie in ihrer Dissertation plagiiert habe. Im Juni 2021 entzog ihr die Freie Universität Berlin den Doktortitel.
Bettina Jarasch (Grüne)
Obwohl die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen mehrere Jahre Landesvorsitzende der Partei war, ist sie in der Bundeshauptstadt den Menschen wenig bekannt. Sie selbst bezeichnet sich als Brückenbauerin und will den Realoflügel mit dem in Berlin sehr starken linken Flügel ihrer Partei versöhnen. Ihre wichtigsten Themen im Wahlkampf sind Klimaschutz und Verkehrswende.
Kai Wegner (CDU)
Die Bekanntheit des CDU-Spitzenkandidaten und Landesvorsitzenden Kai Wegner reicht ebenfalls nicht an die der ehemaligen SPD-Bundesfamilienministerin heran. Er saß lange Jahre im Bundestag, zuletzt als baupolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Er sieht im massiven Neubau von Häusern die Lösung für die akute Wohnungsnot in Berlin.
Umfragen im Verlauf
Quelle: Claudia van Laak, dpa, AFP, Sebastian Engelbrecht