"Ich kann mich deswegen erinnern weil vor ein paar Jahren die 100-Jahrfeier des Hafens Dortmund war und da gibt es ein Foto, eine Postkarte aus dieser Einweihungszeit, wo von einem Schiff, das den Kanal langfuhr, ungefähr in der Mitte eine Dorfkirche fotografiert wurde. Und Sie konnten dort vom Schiff aus das Eingangsportal der Dorfkirche sehen, und wenn Sie heute diesen Kanal langfahren, sehen Sie nicht mehr das Eingangsportal der Kirche, sondern Sie sehen das Dach."
"Sie kommen nach und ich geh’ vor. Sie können auch auf die Leiter, also immer nur einer drauf, wenn ich dann unten bin, sehen Sie dann, die wird dann einmal gedreht, im Prinzip einmal zugucken wie ich das mache."
Abgesackt
Was bleibt, wenn der Bergbau geht
von Monika Seynsche
Peter Hogrebe klettert eine schmale Holzleiter hinab in ein Loch. Von unten dringt gedämpftes Licht herauf.
"…und jetzt hier einen Fuß rechts, einen Fuß links..."
In dem schmalen Schacht geht es zwei weitere Leitern hinunter, bis der Mann im blauen Overall und weißen Helm auf einem wenige Quadratmeter breiten Absatz Halt macht und in einen engen Gang abbiegt.
"…und auf allen vieren vorwärts…"
"…und jetzt wird’s auch wieder mehr Platz..."
Der Bergingenieur der oberen Bergbehörde in Nordrhein-Westfalen robbt sich durch einen Stollen, der kaum breiter ist als er selbst. Die steinernen Wände sind gezackt und haben rostbraune Flecken. Er zwängt sich an einigen Steinklumpen vorbei, die auf dem Boden liegen und schaut zurück. Hogrebe:
"Auf Dauer ist das hier so ein Bereich, der also auch noch nachbricht, nicht sofort und nicht wenn wir gerade drunter sind, sonst würde ich das auch nicht machen, aber über die vielen Jahre oder Jahrzehnte kommt das irgendwann, vor allem immer wieder in Verbindung mit Wasser. Und Feuchtigkeit. Und feucht ist das hier ohne Ende."
Die Gänge, durch die Peter Hogrebe kriecht, durchziehen den Rosterberg in Siegen. Etwa 30 Meter über Hogrebes Kopf liegen Wohnhäuser, Gärten, Straßen und ein Gymnasium.
"Hier können wir mal so ein bisschen reinleuchten mit der Lampe, und ich weiß nicht, ob Sie das sehen können, die Hohlräume gehen weiter bis nach oben, aber wie weit nach oben, das wissen wir nicht, und das sind zum Beispiel schon die kritischen Bereiche: Nun ist das hier Schulhof, ist nicht unbedingt ein Haus drauf, aber auch schlimm genug noch."
Aus den engen Stollen und Schächten haben Bergmänner jahrhundertelang Eisenerz herausgeholt und dabei den Berg durchlöchert wie einen Schweizer Käse, bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein. Einige ihrer Stollen haben sie in alten Karten verzeichnet, aber viele fehlen dort. Als die letzten Krümel Erz herausgeholt waren, geriet das unterirdische Labyrinth zunehmend in Vergessenheit. Seit einigen Jahrzehnten allerdings neigt es dazu, sich unangenehm ins Gedächtnis zu rufen. Denn auch das Gestein im Untergrund folgt der Schwerkraft, Steine brechen von oben in die Hohlräume ein und hinterlassen neue Hohlräume über sich, so dass die Löcher immer weiter nach oben wandern, gen Tageslicht.
Wenige Kilometer entfernt, in der Gläserstraße 112 am Siegener Rosterberg steht ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus leer. Mitten hindurch, vom Keller bis zum Dachgiebel zieht sich ein handbreiter Riss. Die linke Haushälfte hat sich schon einige Zentimeter den Hang hinunter geneigt. Peter Hogrebe deutet auf den Riss und schüttelt den Kopf. Deswegen seien sie ursprünglich hergerufen worden vom Hausbesitzer. Die Ingenieure der Bergbehörde sollten den Spalt begutachten. Bei Probebohrungen entdeckten sie dann große Hohlräume unter dem Haus und verfüllten sie mit Beton. Aber damit sei die Geschichte noch nicht zu Ende gewesen, sagt Peter Hogrebe. Sein Blick wandert zu einer der Hausecken. Unterhalb des Balkons im Hochparterre fehlen dort die Hauswände und geben den Blick frei auf zwei leere Kellerräume. Hogrebe:
"Bei den weiteren Arbeiten ist dann genau diese Hausecke langsam abgewandert, ich stand dabei, ich hab’s gesehen, ich war sprachlos muss ich sagen. Wie das mit einmal alles abbricht und mehr oder weniger lautlos dann im Boden versinkt."
Es sieht aus als hätte ein Riese die untere Ecke des Hauses abgebissen. Inklusive der beiden Fahrräder die im Keller standen verschwand die Hausecke am 12. Februar 2004 in einem alten Stollen, einem sogenannten Tagesbruch. Um zu verhindern, dass so etwas wieder passiert, zwängen sich Peter Hogrebe und seine Kollegen seit dem vergangenen Jahr durch das Labyrinth im Untergrund, ausgerüstet mit alten Karten, GPS-Geräten, Baggern und Bohrern. Sobald sie wissen, wo welche Gänge verlaufen, wollen sie die oberflächennächsten mit einem Betongemisch verfüllen, bevor noch mehr Hohlräume an die Erdoberfläche durchbrechen und Schaden anrichten.
Seit über 200 Jahren kratzen die Maschinen Erz, Salz und Kohle aus dem Untergrund - in keiner anderen Region Deutschlands soviel wie im Ruhrgebiet. Ähnlich wie der Siegener Rosterberg haben Generationen von Bergleuten im Ruhrgebiet ein unterirdisches Labyrinth geschaffen, das im Süden der Region nur wenige Meter unter der Oberfläche beginnt.
Im Wald um die Stadt Witten warnen große Schilder Spaziergänger davor die Wege zu verlassen. "Achtung Bergschadensgebiet!"
"Da haben Sie große Flächen, wo es eine echte Gefahr ist, also da ist praktisch bis direkt unter die Erdoberfläche Kohle abgebaut worden, und das ist auch sehr alter Bergbau, der häufig nicht gut dokumentiert ist, das heißt, man weiß gar nicht genau, wo die alten Stollen verlaufen sind, und das kommt immer wieder vor, dass es dann mal zu Einbrüchen kommt","
sagt Volker Wrede, der beim Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen für Bergschäden zuständig ist.
Etwa 20 Kilometer nördlich von Witten führt der Pressesprecher Andreas Nörthen Besucher durch das ehemalige Landesoberbergamt in Dortmund. Heute ist hier die für Bergbau und Energie in Nordrhein-Westfalen zuständige Obere Bergbehörde der Bezirksregierung Arnsberg untergebracht.
""In der Hochzeit des deutschen Bergbaus und dann eben auch entsprechend repräsentativ für die Aufsichtsbehörde, also das geht so einher, 300.000 Bergleute in Nordrhein-Westfalen im Einsatz, und dann muss natürlich die Aufsichtsbehörde auch so ein repräsentatives Gebäude haben, mit so Portalen und hier auch so mit sehr, sehr großen Hallen und Eingangsbereichen gemacht, und hier auch noch die alten Siegel vom Vorläufergebäude, vom Oberbergamt in Dortmund, was am Alten Markt war, das ist dann hier mit rübergerettet worden. Das ganze Gebäude steht auch unter Denkmalschutz und ist vor etwa 50 Jahren auch noch mal komplett restauriert und in Stand gesetzt worden zum Großteil im alten Stil, Gott sei Dank."
Wenn man dem Pressesprecher folgend in der Eingangshalle am Denkmal für die im Krieg gefallenen Bergleute vorbeigeht und die großzügige Treppenflucht erklimmt, gelangt man zum Büro von Andreas Welz, Leitender Bergvermessungsdirektor. Jedes Jahr werden ihm und seinen Kollegen etwa 70 Tagesbrüche allein in Nordrhein-Westfalen gemeldet. Seit 40 Jahren ist diese Zahl nahezu gleich geblieben, es wird nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und für jeden Tagesbruch, für den kein Verursacher mehr auszumachen ist, haftet das Land Nordrhein-Westfalen.
"Das Land NRW wird eigentlich bis in alle Ewigkeit einen mehr oder weniger großen Betrag aufwenden müssen für die Abwehr von Gefahren aus alten verlassenen Grubenbauen. Das wird sich, wenn man die Zahlen der Vergangenheit zugrunde legt in einer Größenordnung von etwa fünf Millionen Euro bewegen, im Jahr."
Im Archivkeller der Bergbehörde liegen in braunen Metallschränken Tausende von alten Karten, auf denen Generationen von Bergvermessern – den sogenannten Markscheidern - die Bergbauschächte und –Stollen des Landes eingezeichnet haben. Aber viele der zum Teil jahrhundertealten Karten seien durch Kriege und Brände verloren gegangen, erzählt Andreas Welz, und gerade der ganz alte Bergbau und der in Krisenzeiten ausgeführte hätten nie ihren Weg in offizielle Karten gefunden. Welz:
"Es ist schon zu befürchten, dass es einen großen Teil an Bergbau gibt, der uns nicht bekannt ist."
Besonders gefährlich seien die Bereiche um die ehemaligen Eingänge zu den Bergwerken herum. Dort liegen die Stollen und Schächte nur knapp unter der Erde. Heute sind diese sogenannten Tagesöffnungen meist verschüttet und von der Oberfläche aus kaum zu erkennen. 20.000 von ihnen seien bislang entdeckt worden, sagt Andreas Welz. Er schätzt aber, dass es mindestens dreimal so viele Tagesöffnungen gibt.
"…fahren wir hoch mit dem Aufzug, ne?"
"Genau!"
Um die oberflächennahen und damit gefährlichen Stollen zu finden, haben Andreas Welz und seine Kollegen vor fast 20 Jahren damit begonnen, die unzähligen Karten im Keller zu digitalisieren und ein Bergbauinformationssystem aufzubauen, mit dem sich in Zukunft einmal mögliche Tagesbrüche vorhersagen lassen sollen. Welz:
"Darf ich vorstellen, das ist der Herr Westermann, auch ein Mitarbeiter des Dezernats 65, und der würde uns jetzt mal kurz das Bergbauinformationssystem zeigen."
Der angesprochene Kollege öffnet eine Bildschirmoberfläche und ruft eine Karte von Dortmund auf. Westermann:
"In Dortmund...Wenn ich jetzt nicht genau weiß, kann ich jetzt auch alle Straßennamen in Dortmund suchen,...jetzt gibt er mir die entsprechenden Hausnummern an... Hausnummer 1...jetzt zentriert er die Karte auf diese Adresse... jetzt habe ich schon mal festgestellt, hier wohnt der Kollege, das Grundstück, und jetzt kann ich verschiedene bergbauliche Thematiken zuschalten, Tagesöffnungen, Tagesbrüche Betriebsübersicht, oberflächennaher Bergbau, und der ergänzt jetzt diese Karte um diese Bergbauinformationen, und hier sieht man schon an dieser grün schraffierten Fläche, weist darauf hin, dass das Gebäude im Bereich des oberflächennahen Bergbaus ist."
Oberflächennah sind alle Stollen und Schächte in bis zu 30 Meter Tiefe. Die meisten von ihnen liegen im südlichen Ruhrgebiet, denn nach Norden hin tauchen die Kohleschichten ab und die Stollen und Schächte folgen ihnen in den bis über 1000 Meter tiefen Untergrund. Je tiefer sie liegen, desto mehr sinkt die Gefahr, dass sich die Löcher bis zur Oberfläche fortpflanzen. Folgenlos bleiben aber auch die Hohlräume in großen Tiefen nicht. Sie verursachen Risse in Häusern, Spalten im Asphalt und Erdbeben, wie im Februar im Saarland. Schuld daran ist immer der Alte Mann. So nennen die Bergleute die ausgebeuteten und verlassenen Stollen, die sich selbst überlassen bleiben, sobald die Kohle herausgeholt ist. Irgendwann brechen die Decken dieser künstlichen Höhlen ein und das Gebirge darüber sackt ab. Im Ruhrgebiet ist das Gebirge über den Hohlräumen relativ weich und senkt sich kontinuierlich ab, im Saarland dagegen verhält es sich wie eine Scheibe Knäckebrot, in der sich die Spannungen so lange sammeln, bis sie plötzlich bricht und deutlich spürbare Erdbeben auslösen kann. Diese Schäden sind spektakulär - aber minimal, verglichen mit denen, die eintreten, weil sich ganze Gebiete über den eingebrochenen Stollen absenken. In einigen Teilen des Ruhrgebiets liegen Straßen und Häuser heute 25 Meter tiefer als noch vor 300 Jahren.
"...vielleicht mal kurz auf die Brücke, dann sehen Sie etwas mehr..."
50 Kilometer weiter im Westen führt Hagen Obermeier seinen Besucher auf eine kleine Betonbrücke. Obermeier:
"Wenn Sie hier übers Geländer schauen dann sehen sie die Boye..."
Wenige Meter unter ihm fließt eine gräuliche Brühe in einem Betonbett. In der Luft hängt ein süßlich-fauliger Geruch. Obermeier:
"Es ist ein Bestandteil von ungefähr 100 Litern Frischwasser, Reinwasser, alles andere ist Industrieabwasser und häusliches Abwasser, darum diese gräuliche Färbung und der Geruch, ja. Häusliches Abwasser ist natürlich geruchsmäßig sehr intensiv, Industrieabwässer ähnlich."
Hagen Obermeier ist Ingenieur und Betriebsleiter des Pumpwerks Bottrop-Boye, in dem das traurige Flüsslein wenige Meter hinter der Brücke verschwindet. In dem Betonkasten wird es je nach Wasserstand zwölf bis 15 Meter hochgepumpt, durchfließt eine Kläranlage und gelangt dann in die Emscher. Allein fürs Pumpen ist die Energie eines kleinen Kraftwerks nötig. Obermeier:
"Wir leben oder wir haben gelebt in einem Bergbaugebiet und dies Bergbaugebiet beinhaltet, dass ständig Senkungen auftreten, und Kanäle, die dann einer Senkung unterzogen sind, sind natürlich schwer zu bewirtschaften."
Die Boye war mal ein ganz normaler Bach, der ohne fremde Hilfe in die Emscher mündete. Aber dann begannen die Menschen Kohle aus dem Untergrund zu kratzen und der Boden sackte nach. An einigen Stellen um bis zu 25 Meter. Plötzlich flossen überall im Ruhrgebiet Flüsse und Bäche nicht mehr weiter, sondern bildeten in den entstanden Senkungsmulden Seen - stinkende Seen, da sowohl die Bergwerke als auch die Menschen ihre Abwässer direkt in die Flüsse leiteten. Im Ruhgebiet breiteten sich Typhus, Cholera und Ruhrepidemien aus – Bis zum Jahr 1904:
"Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen mit Zustimmung beider Häuser des Landtags unserer Monarchie, was folgt: §1 zum Zwecke der Regelung der Vorflut nach Maßgabe eines einheitlichen Projekts und der Abwässerreinigung im Emschergebiet sowie der Unterhaltung und des Betriebs der ausgeführten Anlagen wird auf Grund dieses Gesetzes eine Genossenschaft gegründet."
Die Emschergenossenschaft – Hagen Obermeiers Arbeitgeber. Sie zwängte in den darauffolgenden Jahren die Emscher und ihre Nebenflüsse in schnurgerade Betonkanäle und legte sie - dort wo der Boden sich gesenkt hatte - auf Dämme, damit sie wieder einem natürlichen Gefälle folgend in den Rhein abfließen konnten. An unterirdische Abwasserkanäle war im Ruhrgebiet nicht zu denken. Dafür ließen die Altmänner im Untergrund den Boden zu stark tanzen. Jedes Rohr wäre durch die Bergsenkungen früher oder später gebrochen, und sein stinkender Inhalt hätte sich ins Grundwasser gemischt. Im Laufe von Jahrzehnten entstand so das größte offene Abwassersystem der Welt. Erst seit der Bergbau weiter nach Norden gewandert ist, kehrt unter der Emscher Ruhe ein. Seitdem baut die Emschergenossenschaft ein unterirdisches Abwassersystem, um die Emscher wieder zu dem sauberen Fluss zu machen, der sie vor Jahrhunderten war. Von ihrem Damm werden die Ingenieure sie allerdings nie herunterholen können. Dafür hat sich das Land rundherum zu stark abgesenkt.
Auf der anderen Seite des Rheins, am linken Niederrhein erstrecken sich grüne Wiesen und Weiden bis zum Horizont. Eine ländliche Idylle mit Bauernhöfen und kleinen historischen Städtchen zwischen Krefeld im Süden und Xanten im Norden.
"Was wäre, wenn wir nicht dieser Aufgabe nachkommen würden, wir haben das mal ausgerechnet man kann also ungefähr sagen 100 Quadratkilometer hier stünden unter Wasser."
Wolfgang Kühn arbeitet als Wasserbauingenieur für die Linksniederrheinische Entwässerungsgenossenschaft Lineg in Kamp-Lintfort. Die Aufgabe, von der er redet, heißt pumpen. 24 Stunden am Tag laufen am linken Niederrhein fast 200 Pumpen, die den Grundwasserspiegel künstlich absenken. Denn auch hier ist der Steinkohlebergbau angekommen. Er hat die ohnehin schon flache Region so stark abgesenkt, dass an vielen Stellen das Gelände unterhalb des natürlichen Grundwasserspiegels liegt.
Die Aufgabe der Lineg, erzählt der Wasserbauingenieur, bestehe darin, die Landschaft funktionsfähig zu halten - trotz des Bergbaus. Um zu zeigen, was das heißt, nimmt er seinen Besucher mit zu einem schmucklosen Flachbau am Rand eines Flusslaufs: der Fossa Eugeniana:
"Wir stehen gerade über dem Einlaufbereich der Pumpanlage der Vorflutpumpanlage Alte Landstraße in Rheinberg-Annaberg und dieser Bereich, in dem wir uns jetzt befinden, wird derzeit vom Bergbau unterbaut das heißt hier sind geringe Bodensenkungen abgelaufen in der Vergangenheit, hier werden aber auch in der Zukunft noch weitere Bodensenkungen erzeugt werden."
Die Pumpanlage steht neben dem Bach, aber der fließt nicht wie ein normaler Bach an ihr vorbei, sondern strömt aus beiden Richtungen zu dem grauen Gebäude hin. Das steht mitten in einer bergbaubedingten Senke. Das Wasser der Fossa Eugeniana wird von hier aus einige Kilometer durch unterirdische Rohre zum Rand der Senke gepumpt. Dort angelangt kann es normal weiterfließen. Noch laufen die Pumpen an der Alten Landstraße nur mit halber Kraft. Aber das wird sich in einigen Jahren ändern. Kühn:
"Langfristig, wenn der nächste oder übernächste Flöz hier unter uns abgebaut wird und ist, würde das Wasser auch höher als dieses Hochufer stehen und dann die Straße, die man dahinten sieht, und die Tankstelle und alles überfluten."
Über 300 Pumpen auf der linken Rheinseite und mehr als 180 Pumpwerke auf der rechten Rheinseite sorgen dafür, dass im Steinkohlenrevier Flüsse und Abwässer fließen, und das Grundwasser im Untergrund bleibt. Sorge um ihre Arbeitsplätze müssten seine Kollegen nicht haben, sagt Karl-Heinz Brandt, Vorstand der Lineg.
"Wir werden ewig pumpen müssen. Wir dürfen hier keine Pumpen abschalten, das wird nicht funktionieren. Wenn man sieht, dass Moers eine Stadt ist mit 100.000 Einwohnern, Duisburg auf der linken Rheinseite auch 40, 50, 60.000 Einwohner hat. Kamp-Lintfort hat 40.000 Einwohner. Den Bereich umzusiedeln und zu einer Seenlandschaft zu machen, ist vollkommen illusorisch. Ich sehe keine Chance, dass wir irgendwo irgendwann eine Pumpe abstellen, wir werden das immer machen müssen!"
Da der Bergbau verantwortlich für die Absenkungen ist, muss er auch das Pumpen bezahlen. Der RAG-Konzern und seine Tochter, die Deutsche Steinkohle AG zahlen dafür jedes Jahr insgesamt 70 bis 80 Millionen Euro an die Lineg, die Emschergenossenschaft und den für das nördliche Ruhrgebiet zuständigen Lippeverband. Brandt:
"Wenn man sehen möchte, wie das aussieht, wenn man nicht pumpt, muss man nach China gehen. Dort war ich vor zwei Jahren, und da kann man wirklich Flächen sehen, die 60 Kilometer in einer Richtung und 20 Kilometer in der anderen Richtung, wo nur die Baumspitzen rausgucken, die Telegraphenspitzen rausgucken und Hausdächer raussehen."
Um eine solche Situation in Nordrhein-Westfalen zu verhindern, werden die Pumpen der Emschergenossenschaft, des Lippeverbands und der Lineg bis in alle Ewigkeit laufen müssen – andernfalls ständen mehr als die Hälfte des Ruhrgebiets und große Teile des linken Niederrheins unter Wasser. Aber nicht nur an der Oberfläche sondern auch untertage ist der Wasserhaushalt durch den Bergbau aus den Fugen geraten. Auch dort unten ist Wasser vorhanden, in winzigen Poren und Spalten im Gestein. Sobald künstliche Hohlräume geschaffen werden, sickert das Wasser hinein. Damit die Bergleute keine nassen Füße bekommen, wird dieses Grubenwasser aus den Bergwerken herausgepumpt und in die Flüsse und Bäche im Ruhrgebiet geleitet. Aber auch wenn das letzte Bergwerk geschlossen ist, werden die Grubenwasserpumpen weiterlaufen würden.
"Diese Grubenwasserhaltung, nach bisheriger Planung werden wir auf alle Ewigkeit machen","
sagt Peter Fischer. Er ist als Chefmarkscheider zuständig für alle Abbauvorhaben bei der Deutschen Steinkohle AG.
""Es gibt, wenn man das Grubenwasserpumpen einstellt, drei Risiken: Risiko 1 ist: Wir verdrängen damit zufließendes Grubengas und das kann diffus an der Tagesoberfläche austreten. Das wollen wir nicht."
Grubengas entsteht ebenfalls bei der Steinkohleförderung. Es besteht zu einem Großteil aus Methan und das ist in bestimmten Konzentrationen explosiv. Fischer:
"Der zweite Punkt ist: Es ist nachgewiesen, dass, wenn das Grubenwasser ansteigt, es an der Tagesoberfläche zu Erhebungen kommt. Und unterschiedliche Hebungen können zu weiteren Bergschäden führen."
Genau das ist vor etwa zehn Jahren in der Nähe von Aachen passiert, als im stillgelegten Bergwerk Sophia-Jacoba die Grubenwasserpumpen abgestellt wurden. Bis zu zwanzig Zentimeter hat sich der Boden durch das ansteigende Wasser wieder nach oben bewegt, und Risse in Häusern und Straßen verursacht. Fischer:
"Und der dritte Punkt ist für uns überragend: Wenn man das Grubenwasser unkontrolliert ansteigen lässt, kann es in Kontakt mit Trinkwasserhorizonten kommen."
Im Grubenwasser sind zahlreiche Mineralien aus dem umgebenden Gestein gelöst. Allein der Salzgehalt liegt bei 20 bis 27 Gramm pro Liter. Damit ist das Grubenwasser fast so salzig wie die Nordsee. Käme es in Kontakt mit Trinkwasservorkommen, würde es diese unbrauchbar machen. Das unerwünschte Wasser zu bergen, ist Aufgabe der Deutschen Steinkohle AG, und es kommt sie teuer zu stehen. Fischer:
"Ganz grob 70 Millionen Kubikmeter, die wir hier in Nordrhein-Westfalen fördern, kosten etwa 50 bis vielleicht Maximum 70 Millionen Euro."
Pro Jahr. Wenn wie geplant im Jahr 2018 die letzte deutsche Zeche schließt, muss ein Vermögen von über 13 Milliarden Euro zusammengekommen sein, um all die Grundwasser-, Gewässer-, Abwasser- und Grubenwasserpumpen bis in alle Ewigkeit unterhalten zu können. Das hat ein Gutachten des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG ergeben. Zurzeit laufen an den Universitäten Aachen und Freiberg Untersuchungen dazu, ob und wie weit man das Grubenwasser in den verlassenen Bergwerken ansteigen lassen kann, ohne dass es Schäden verursacht. Denn das Grubenwasser sei die einzige Stellschraube an der sich drehen lasse um die Ewigkeitskosten zu mindern, sagt der Leiter der Studie, Axel Preusse.
"Ganz einfach, indem man nicht aus so großer Tiefe pumpt, indem man das Wasser ansteigen lässt und die Stromkosten, die Energiekosten minimiert."
Er und seine Kollegen untersuchen zurzeit, was genau bei der Zeche Sophia-Jacoba zu den Schäden an der Erdoberfläche geführt hat. In drei bis vier Jahren wollen sie ein Modell entwickelt haben, das die Prozesse beim Grubenwasseranstieg abbildet. Damit hoffen sie dann, Aussagen darüber treffen zu können, in welchen Bereichen man das Grubenwasser gefahrlos ansteigen lassen kann und wo es ewig weggepumpt werden muss. Preusse:
"Es könnte zum Beispiel auch eine Methode sein, das Grubenwasser vielleicht langsamer ansteigen zu lassen, gezielter langsam ansteigen zu lassen, als man das vielleicht da getan hat. Das wäre eine denkbare Möglichkeit, aber die haben wir bisher noch nicht erprobt."
Risse in Häusern und Straßen, Tagesbrüche, die Fährräder und Kellerwände verschlucken und Pumpen, die ewig werden arbeiten müssen, sind Folgen des Bergbaus. Aber am Niederrhein hat der noch ein ganz anderes, wesentlich bedrohlicheres Problem geschaffen.
Peter Fischer sitzt in seinem großen Büro bei der Deutschen Steinkohle AG am Stadtrand von Herne, beugt sich nach vorn und sagt beschwörend:
"Die Rheindeiche in dem Bereich, über den wir sprechen, sind mit die sichersten überhaupt! Nicht nur die sichersten in Nordrhein-Westfalen, sondern mit die sichersten Deiche der Welt."
Das sollten sie auch besser sein, denn das Gebiet links des Niederrheins ist durch den Bergbau im Untergrund an einigen Stellen um bis zu zehn Meter abgesunken. Und das macht die Region zu einer Krisenregion, sollte je einer dieser Deiche brechen. Der Bergbau hat aus dem linken Niederrhein ein Gebiet mit abflusslosen Senken und Mulden gemacht. Wenn hier bei einem Hochwasser ein Rheindeich bricht, läuft die Gegend voll wie eine Badewanne – und bleibt voll.
"Das wäre eine Katastrophe, das muss man einfach so sehen, dazu muss man auch stehen. Wenn der Rheindeich bricht, zum Beispiel im Bereich von Moers, würde die Innenstadt unter Wasser stehen","
Karl-Heinz Brandt von der Lineg zuckt mit den Schultern,
""und wir könnten nicht dagegen pumpen, das ist einfach illusorisch, dafür haben wir keine Pumpanlagen, und das funktioniert auch nicht. Und wir müssten dann auch wochenlang mit anderen Großpumpanlagen eben versuchen, die Stadt wieder trocken zu bekommen."
Als vor wenigen Jahren darüber verhandelt wurde, ob die beiden Bergwerke in der Rheinschiene, das Bergwerk Walsum in Dinslaken und das Bergwerk West in Kamp-Lintfort, weiter Kohle fördern dürfen, gab es deshalb massiven Protest von Bürgerinitiativen, erinnert sich Erik Buschhüter, der beim Umweltministerium NRW für den Hochwasserschutz zuständig ist. Aus diesem Grund wollte das Land sicherstellen, dass sich das Risiko für die Anwohner durch den zusätzlichen Kohleabbau nicht erhöht. Buschhüter:
"Man hat gesagt, wir wollen mal vergleichen den Zeitraum 2003 vor diesem Rahmenbetriebsplanverfahren mit dem Zeitraum, den wir heute prognostizieren können, wie lang dieses Bergwerk dort abbauen soll, mit den entsprechenden Folgen, das wollen wir mal gegenüberstellen, von der Risikoanalyse her, und wollen dann mal vergleichen, gibt es eine Risikoänderung oder gibt es die nicht? Und wenn es die gibt, was können wir möglicherweise tun, um die auf dem Stand von 2003 zu halten."
Es gibt sie. Die Gefahr, dass die Deiche brechen, erhöht sich zwar nicht mehr, da unter den Deichen selbst keine Kohle mehr abgebaut wird. Aber sollte ein Deich brechen, wäre der Schaden deutlich größer, da durch den zusätzlichen Bergbau noch mehr Senken entstehen, die voll Wasser laufen können.
"Es gibt linksrheinisch in der Nähe von Rheinberg den Ort Alpen und es gibt in Alpen durch die Überflutung und die Bergsenkung eine Situation dass der First eines Reihenhauses unter Wasser wäre. Jetzt ganz drastisch formuliert bitte, aber jetzt machen wir einfach eine Schlagzeile draus: Würde heißen, Sie haben nicht mal die Chance sich auf den First ihres Hauses zu retten."
Über zehn Meter hoch stände das Wasser an einigen Stellen. Und das über Wochen und Monate hinweg, sagt Jürgen Köngeter. Er hat die Anfang 2008 veröffentlichte Studie bis zu seiner Emeritierung an der RWTH Aachen betreut. Um dieses Szenario zu verhindern, plant das Land Nordrhein-Westfalen jetzt eine zweite Deichlinie zu bauen, die die Wassermassen im Fall eines Rheindeichbruchs aufhalten soll. Verpflichtet seien sie dazu nicht, betont Erik Buschhüter. Das sei eine reine Präventivmaßnahme.
Der Bergbau hat Nordrhein-Westfalen verändert. Er hat die Industrialisierung angekurbelt und er hat den Wiederaufbau nach den Weltkriegen gefördert. Aber er hat das Land auch aus dem Takt gebracht. Flüsse fließen nicht mehr, Häuserecken versinken im Untergrund und Hunderte von Pumpen laufen Tag und Nacht. Etwa die Hälfte Nordrhein –Westfalens ist durch den Bergbau so stark verändert worden, dass der Mensch auf ewig wird eingreifen müssen, um weiterhin dort leben zu können.
"Sie kommen nach und ich geh’ vor. Sie können auch auf die Leiter, also immer nur einer drauf, wenn ich dann unten bin, sehen Sie dann, die wird dann einmal gedreht, im Prinzip einmal zugucken wie ich das mache."
Abgesackt
Was bleibt, wenn der Bergbau geht
von Monika Seynsche
Peter Hogrebe klettert eine schmale Holzleiter hinab in ein Loch. Von unten dringt gedämpftes Licht herauf.
"…und jetzt hier einen Fuß rechts, einen Fuß links..."
In dem schmalen Schacht geht es zwei weitere Leitern hinunter, bis der Mann im blauen Overall und weißen Helm auf einem wenige Quadratmeter breiten Absatz Halt macht und in einen engen Gang abbiegt.
"…und auf allen vieren vorwärts…"
"…und jetzt wird’s auch wieder mehr Platz..."
Der Bergingenieur der oberen Bergbehörde in Nordrhein-Westfalen robbt sich durch einen Stollen, der kaum breiter ist als er selbst. Die steinernen Wände sind gezackt und haben rostbraune Flecken. Er zwängt sich an einigen Steinklumpen vorbei, die auf dem Boden liegen und schaut zurück. Hogrebe:
"Auf Dauer ist das hier so ein Bereich, der also auch noch nachbricht, nicht sofort und nicht wenn wir gerade drunter sind, sonst würde ich das auch nicht machen, aber über die vielen Jahre oder Jahrzehnte kommt das irgendwann, vor allem immer wieder in Verbindung mit Wasser. Und Feuchtigkeit. Und feucht ist das hier ohne Ende."
Die Gänge, durch die Peter Hogrebe kriecht, durchziehen den Rosterberg in Siegen. Etwa 30 Meter über Hogrebes Kopf liegen Wohnhäuser, Gärten, Straßen und ein Gymnasium.
"Hier können wir mal so ein bisschen reinleuchten mit der Lampe, und ich weiß nicht, ob Sie das sehen können, die Hohlräume gehen weiter bis nach oben, aber wie weit nach oben, das wissen wir nicht, und das sind zum Beispiel schon die kritischen Bereiche: Nun ist das hier Schulhof, ist nicht unbedingt ein Haus drauf, aber auch schlimm genug noch."
Aus den engen Stollen und Schächten haben Bergmänner jahrhundertelang Eisenerz herausgeholt und dabei den Berg durchlöchert wie einen Schweizer Käse, bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein. Einige ihrer Stollen haben sie in alten Karten verzeichnet, aber viele fehlen dort. Als die letzten Krümel Erz herausgeholt waren, geriet das unterirdische Labyrinth zunehmend in Vergessenheit. Seit einigen Jahrzehnten allerdings neigt es dazu, sich unangenehm ins Gedächtnis zu rufen. Denn auch das Gestein im Untergrund folgt der Schwerkraft, Steine brechen von oben in die Hohlräume ein und hinterlassen neue Hohlräume über sich, so dass die Löcher immer weiter nach oben wandern, gen Tageslicht.
Wenige Kilometer entfernt, in der Gläserstraße 112 am Siegener Rosterberg steht ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus leer. Mitten hindurch, vom Keller bis zum Dachgiebel zieht sich ein handbreiter Riss. Die linke Haushälfte hat sich schon einige Zentimeter den Hang hinunter geneigt. Peter Hogrebe deutet auf den Riss und schüttelt den Kopf. Deswegen seien sie ursprünglich hergerufen worden vom Hausbesitzer. Die Ingenieure der Bergbehörde sollten den Spalt begutachten. Bei Probebohrungen entdeckten sie dann große Hohlräume unter dem Haus und verfüllten sie mit Beton. Aber damit sei die Geschichte noch nicht zu Ende gewesen, sagt Peter Hogrebe. Sein Blick wandert zu einer der Hausecken. Unterhalb des Balkons im Hochparterre fehlen dort die Hauswände und geben den Blick frei auf zwei leere Kellerräume. Hogrebe:
"Bei den weiteren Arbeiten ist dann genau diese Hausecke langsam abgewandert, ich stand dabei, ich hab’s gesehen, ich war sprachlos muss ich sagen. Wie das mit einmal alles abbricht und mehr oder weniger lautlos dann im Boden versinkt."
Es sieht aus als hätte ein Riese die untere Ecke des Hauses abgebissen. Inklusive der beiden Fahrräder die im Keller standen verschwand die Hausecke am 12. Februar 2004 in einem alten Stollen, einem sogenannten Tagesbruch. Um zu verhindern, dass so etwas wieder passiert, zwängen sich Peter Hogrebe und seine Kollegen seit dem vergangenen Jahr durch das Labyrinth im Untergrund, ausgerüstet mit alten Karten, GPS-Geräten, Baggern und Bohrern. Sobald sie wissen, wo welche Gänge verlaufen, wollen sie die oberflächennächsten mit einem Betongemisch verfüllen, bevor noch mehr Hohlräume an die Erdoberfläche durchbrechen und Schaden anrichten.
Seit über 200 Jahren kratzen die Maschinen Erz, Salz und Kohle aus dem Untergrund - in keiner anderen Region Deutschlands soviel wie im Ruhrgebiet. Ähnlich wie der Siegener Rosterberg haben Generationen von Bergleuten im Ruhrgebiet ein unterirdisches Labyrinth geschaffen, das im Süden der Region nur wenige Meter unter der Oberfläche beginnt.
Im Wald um die Stadt Witten warnen große Schilder Spaziergänger davor die Wege zu verlassen. "Achtung Bergschadensgebiet!"
"Da haben Sie große Flächen, wo es eine echte Gefahr ist, also da ist praktisch bis direkt unter die Erdoberfläche Kohle abgebaut worden, und das ist auch sehr alter Bergbau, der häufig nicht gut dokumentiert ist, das heißt, man weiß gar nicht genau, wo die alten Stollen verlaufen sind, und das kommt immer wieder vor, dass es dann mal zu Einbrüchen kommt","
sagt Volker Wrede, der beim Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen für Bergschäden zuständig ist.
Etwa 20 Kilometer nördlich von Witten führt der Pressesprecher Andreas Nörthen Besucher durch das ehemalige Landesoberbergamt in Dortmund. Heute ist hier die für Bergbau und Energie in Nordrhein-Westfalen zuständige Obere Bergbehörde der Bezirksregierung Arnsberg untergebracht.
""In der Hochzeit des deutschen Bergbaus und dann eben auch entsprechend repräsentativ für die Aufsichtsbehörde, also das geht so einher, 300.000 Bergleute in Nordrhein-Westfalen im Einsatz, und dann muss natürlich die Aufsichtsbehörde auch so ein repräsentatives Gebäude haben, mit so Portalen und hier auch so mit sehr, sehr großen Hallen und Eingangsbereichen gemacht, und hier auch noch die alten Siegel vom Vorläufergebäude, vom Oberbergamt in Dortmund, was am Alten Markt war, das ist dann hier mit rübergerettet worden. Das ganze Gebäude steht auch unter Denkmalschutz und ist vor etwa 50 Jahren auch noch mal komplett restauriert und in Stand gesetzt worden zum Großteil im alten Stil, Gott sei Dank."
Wenn man dem Pressesprecher folgend in der Eingangshalle am Denkmal für die im Krieg gefallenen Bergleute vorbeigeht und die großzügige Treppenflucht erklimmt, gelangt man zum Büro von Andreas Welz, Leitender Bergvermessungsdirektor. Jedes Jahr werden ihm und seinen Kollegen etwa 70 Tagesbrüche allein in Nordrhein-Westfalen gemeldet. Seit 40 Jahren ist diese Zahl nahezu gleich geblieben, es wird nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und für jeden Tagesbruch, für den kein Verursacher mehr auszumachen ist, haftet das Land Nordrhein-Westfalen.
"Das Land NRW wird eigentlich bis in alle Ewigkeit einen mehr oder weniger großen Betrag aufwenden müssen für die Abwehr von Gefahren aus alten verlassenen Grubenbauen. Das wird sich, wenn man die Zahlen der Vergangenheit zugrunde legt in einer Größenordnung von etwa fünf Millionen Euro bewegen, im Jahr."
Im Archivkeller der Bergbehörde liegen in braunen Metallschränken Tausende von alten Karten, auf denen Generationen von Bergvermessern – den sogenannten Markscheidern - die Bergbauschächte und –Stollen des Landes eingezeichnet haben. Aber viele der zum Teil jahrhundertealten Karten seien durch Kriege und Brände verloren gegangen, erzählt Andreas Welz, und gerade der ganz alte Bergbau und der in Krisenzeiten ausgeführte hätten nie ihren Weg in offizielle Karten gefunden. Welz:
"Es ist schon zu befürchten, dass es einen großen Teil an Bergbau gibt, der uns nicht bekannt ist."
Besonders gefährlich seien die Bereiche um die ehemaligen Eingänge zu den Bergwerken herum. Dort liegen die Stollen und Schächte nur knapp unter der Erde. Heute sind diese sogenannten Tagesöffnungen meist verschüttet und von der Oberfläche aus kaum zu erkennen. 20.000 von ihnen seien bislang entdeckt worden, sagt Andreas Welz. Er schätzt aber, dass es mindestens dreimal so viele Tagesöffnungen gibt.
"…fahren wir hoch mit dem Aufzug, ne?"
"Genau!"
Um die oberflächennahen und damit gefährlichen Stollen zu finden, haben Andreas Welz und seine Kollegen vor fast 20 Jahren damit begonnen, die unzähligen Karten im Keller zu digitalisieren und ein Bergbauinformationssystem aufzubauen, mit dem sich in Zukunft einmal mögliche Tagesbrüche vorhersagen lassen sollen. Welz:
"Darf ich vorstellen, das ist der Herr Westermann, auch ein Mitarbeiter des Dezernats 65, und der würde uns jetzt mal kurz das Bergbauinformationssystem zeigen."
Der angesprochene Kollege öffnet eine Bildschirmoberfläche und ruft eine Karte von Dortmund auf. Westermann:
"In Dortmund...Wenn ich jetzt nicht genau weiß, kann ich jetzt auch alle Straßennamen in Dortmund suchen,...jetzt gibt er mir die entsprechenden Hausnummern an... Hausnummer 1...jetzt zentriert er die Karte auf diese Adresse... jetzt habe ich schon mal festgestellt, hier wohnt der Kollege, das Grundstück, und jetzt kann ich verschiedene bergbauliche Thematiken zuschalten, Tagesöffnungen, Tagesbrüche Betriebsübersicht, oberflächennaher Bergbau, und der ergänzt jetzt diese Karte um diese Bergbauinformationen, und hier sieht man schon an dieser grün schraffierten Fläche, weist darauf hin, dass das Gebäude im Bereich des oberflächennahen Bergbaus ist."
Oberflächennah sind alle Stollen und Schächte in bis zu 30 Meter Tiefe. Die meisten von ihnen liegen im südlichen Ruhrgebiet, denn nach Norden hin tauchen die Kohleschichten ab und die Stollen und Schächte folgen ihnen in den bis über 1000 Meter tiefen Untergrund. Je tiefer sie liegen, desto mehr sinkt die Gefahr, dass sich die Löcher bis zur Oberfläche fortpflanzen. Folgenlos bleiben aber auch die Hohlräume in großen Tiefen nicht. Sie verursachen Risse in Häusern, Spalten im Asphalt und Erdbeben, wie im Februar im Saarland. Schuld daran ist immer der Alte Mann. So nennen die Bergleute die ausgebeuteten und verlassenen Stollen, die sich selbst überlassen bleiben, sobald die Kohle herausgeholt ist. Irgendwann brechen die Decken dieser künstlichen Höhlen ein und das Gebirge darüber sackt ab. Im Ruhrgebiet ist das Gebirge über den Hohlräumen relativ weich und senkt sich kontinuierlich ab, im Saarland dagegen verhält es sich wie eine Scheibe Knäckebrot, in der sich die Spannungen so lange sammeln, bis sie plötzlich bricht und deutlich spürbare Erdbeben auslösen kann. Diese Schäden sind spektakulär - aber minimal, verglichen mit denen, die eintreten, weil sich ganze Gebiete über den eingebrochenen Stollen absenken. In einigen Teilen des Ruhrgebiets liegen Straßen und Häuser heute 25 Meter tiefer als noch vor 300 Jahren.
"...vielleicht mal kurz auf die Brücke, dann sehen Sie etwas mehr..."
50 Kilometer weiter im Westen führt Hagen Obermeier seinen Besucher auf eine kleine Betonbrücke. Obermeier:
"Wenn Sie hier übers Geländer schauen dann sehen sie die Boye..."
Wenige Meter unter ihm fließt eine gräuliche Brühe in einem Betonbett. In der Luft hängt ein süßlich-fauliger Geruch. Obermeier:
"Es ist ein Bestandteil von ungefähr 100 Litern Frischwasser, Reinwasser, alles andere ist Industrieabwasser und häusliches Abwasser, darum diese gräuliche Färbung und der Geruch, ja. Häusliches Abwasser ist natürlich geruchsmäßig sehr intensiv, Industrieabwässer ähnlich."
Hagen Obermeier ist Ingenieur und Betriebsleiter des Pumpwerks Bottrop-Boye, in dem das traurige Flüsslein wenige Meter hinter der Brücke verschwindet. In dem Betonkasten wird es je nach Wasserstand zwölf bis 15 Meter hochgepumpt, durchfließt eine Kläranlage und gelangt dann in die Emscher. Allein fürs Pumpen ist die Energie eines kleinen Kraftwerks nötig. Obermeier:
"Wir leben oder wir haben gelebt in einem Bergbaugebiet und dies Bergbaugebiet beinhaltet, dass ständig Senkungen auftreten, und Kanäle, die dann einer Senkung unterzogen sind, sind natürlich schwer zu bewirtschaften."
Die Boye war mal ein ganz normaler Bach, der ohne fremde Hilfe in die Emscher mündete. Aber dann begannen die Menschen Kohle aus dem Untergrund zu kratzen und der Boden sackte nach. An einigen Stellen um bis zu 25 Meter. Plötzlich flossen überall im Ruhrgebiet Flüsse und Bäche nicht mehr weiter, sondern bildeten in den entstanden Senkungsmulden Seen - stinkende Seen, da sowohl die Bergwerke als auch die Menschen ihre Abwässer direkt in die Flüsse leiteten. Im Ruhgebiet breiteten sich Typhus, Cholera und Ruhrepidemien aus – Bis zum Jahr 1904:
"Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen mit Zustimmung beider Häuser des Landtags unserer Monarchie, was folgt: §1 zum Zwecke der Regelung der Vorflut nach Maßgabe eines einheitlichen Projekts und der Abwässerreinigung im Emschergebiet sowie der Unterhaltung und des Betriebs der ausgeführten Anlagen wird auf Grund dieses Gesetzes eine Genossenschaft gegründet."
Die Emschergenossenschaft – Hagen Obermeiers Arbeitgeber. Sie zwängte in den darauffolgenden Jahren die Emscher und ihre Nebenflüsse in schnurgerade Betonkanäle und legte sie - dort wo der Boden sich gesenkt hatte - auf Dämme, damit sie wieder einem natürlichen Gefälle folgend in den Rhein abfließen konnten. An unterirdische Abwasserkanäle war im Ruhrgebiet nicht zu denken. Dafür ließen die Altmänner im Untergrund den Boden zu stark tanzen. Jedes Rohr wäre durch die Bergsenkungen früher oder später gebrochen, und sein stinkender Inhalt hätte sich ins Grundwasser gemischt. Im Laufe von Jahrzehnten entstand so das größte offene Abwassersystem der Welt. Erst seit der Bergbau weiter nach Norden gewandert ist, kehrt unter der Emscher Ruhe ein. Seitdem baut die Emschergenossenschaft ein unterirdisches Abwassersystem, um die Emscher wieder zu dem sauberen Fluss zu machen, der sie vor Jahrhunderten war. Von ihrem Damm werden die Ingenieure sie allerdings nie herunterholen können. Dafür hat sich das Land rundherum zu stark abgesenkt.
Auf der anderen Seite des Rheins, am linken Niederrhein erstrecken sich grüne Wiesen und Weiden bis zum Horizont. Eine ländliche Idylle mit Bauernhöfen und kleinen historischen Städtchen zwischen Krefeld im Süden und Xanten im Norden.
"Was wäre, wenn wir nicht dieser Aufgabe nachkommen würden, wir haben das mal ausgerechnet man kann also ungefähr sagen 100 Quadratkilometer hier stünden unter Wasser."
Wolfgang Kühn arbeitet als Wasserbauingenieur für die Linksniederrheinische Entwässerungsgenossenschaft Lineg in Kamp-Lintfort. Die Aufgabe, von der er redet, heißt pumpen. 24 Stunden am Tag laufen am linken Niederrhein fast 200 Pumpen, die den Grundwasserspiegel künstlich absenken. Denn auch hier ist der Steinkohlebergbau angekommen. Er hat die ohnehin schon flache Region so stark abgesenkt, dass an vielen Stellen das Gelände unterhalb des natürlichen Grundwasserspiegels liegt.
Die Aufgabe der Lineg, erzählt der Wasserbauingenieur, bestehe darin, die Landschaft funktionsfähig zu halten - trotz des Bergbaus. Um zu zeigen, was das heißt, nimmt er seinen Besucher mit zu einem schmucklosen Flachbau am Rand eines Flusslaufs: der Fossa Eugeniana:
"Wir stehen gerade über dem Einlaufbereich der Pumpanlage der Vorflutpumpanlage Alte Landstraße in Rheinberg-Annaberg und dieser Bereich, in dem wir uns jetzt befinden, wird derzeit vom Bergbau unterbaut das heißt hier sind geringe Bodensenkungen abgelaufen in der Vergangenheit, hier werden aber auch in der Zukunft noch weitere Bodensenkungen erzeugt werden."
Die Pumpanlage steht neben dem Bach, aber der fließt nicht wie ein normaler Bach an ihr vorbei, sondern strömt aus beiden Richtungen zu dem grauen Gebäude hin. Das steht mitten in einer bergbaubedingten Senke. Das Wasser der Fossa Eugeniana wird von hier aus einige Kilometer durch unterirdische Rohre zum Rand der Senke gepumpt. Dort angelangt kann es normal weiterfließen. Noch laufen die Pumpen an der Alten Landstraße nur mit halber Kraft. Aber das wird sich in einigen Jahren ändern. Kühn:
"Langfristig, wenn der nächste oder übernächste Flöz hier unter uns abgebaut wird und ist, würde das Wasser auch höher als dieses Hochufer stehen und dann die Straße, die man dahinten sieht, und die Tankstelle und alles überfluten."
Über 300 Pumpen auf der linken Rheinseite und mehr als 180 Pumpwerke auf der rechten Rheinseite sorgen dafür, dass im Steinkohlenrevier Flüsse und Abwässer fließen, und das Grundwasser im Untergrund bleibt. Sorge um ihre Arbeitsplätze müssten seine Kollegen nicht haben, sagt Karl-Heinz Brandt, Vorstand der Lineg.
"Wir werden ewig pumpen müssen. Wir dürfen hier keine Pumpen abschalten, das wird nicht funktionieren. Wenn man sieht, dass Moers eine Stadt ist mit 100.000 Einwohnern, Duisburg auf der linken Rheinseite auch 40, 50, 60.000 Einwohner hat. Kamp-Lintfort hat 40.000 Einwohner. Den Bereich umzusiedeln und zu einer Seenlandschaft zu machen, ist vollkommen illusorisch. Ich sehe keine Chance, dass wir irgendwo irgendwann eine Pumpe abstellen, wir werden das immer machen müssen!"
Da der Bergbau verantwortlich für die Absenkungen ist, muss er auch das Pumpen bezahlen. Der RAG-Konzern und seine Tochter, die Deutsche Steinkohle AG zahlen dafür jedes Jahr insgesamt 70 bis 80 Millionen Euro an die Lineg, die Emschergenossenschaft und den für das nördliche Ruhrgebiet zuständigen Lippeverband. Brandt:
"Wenn man sehen möchte, wie das aussieht, wenn man nicht pumpt, muss man nach China gehen. Dort war ich vor zwei Jahren, und da kann man wirklich Flächen sehen, die 60 Kilometer in einer Richtung und 20 Kilometer in der anderen Richtung, wo nur die Baumspitzen rausgucken, die Telegraphenspitzen rausgucken und Hausdächer raussehen."
Um eine solche Situation in Nordrhein-Westfalen zu verhindern, werden die Pumpen der Emschergenossenschaft, des Lippeverbands und der Lineg bis in alle Ewigkeit laufen müssen – andernfalls ständen mehr als die Hälfte des Ruhrgebiets und große Teile des linken Niederrheins unter Wasser. Aber nicht nur an der Oberfläche sondern auch untertage ist der Wasserhaushalt durch den Bergbau aus den Fugen geraten. Auch dort unten ist Wasser vorhanden, in winzigen Poren und Spalten im Gestein. Sobald künstliche Hohlräume geschaffen werden, sickert das Wasser hinein. Damit die Bergleute keine nassen Füße bekommen, wird dieses Grubenwasser aus den Bergwerken herausgepumpt und in die Flüsse und Bäche im Ruhrgebiet geleitet. Aber auch wenn das letzte Bergwerk geschlossen ist, werden die Grubenwasserpumpen weiterlaufen würden.
"Diese Grubenwasserhaltung, nach bisheriger Planung werden wir auf alle Ewigkeit machen","
sagt Peter Fischer. Er ist als Chefmarkscheider zuständig für alle Abbauvorhaben bei der Deutschen Steinkohle AG.
""Es gibt, wenn man das Grubenwasserpumpen einstellt, drei Risiken: Risiko 1 ist: Wir verdrängen damit zufließendes Grubengas und das kann diffus an der Tagesoberfläche austreten. Das wollen wir nicht."
Grubengas entsteht ebenfalls bei der Steinkohleförderung. Es besteht zu einem Großteil aus Methan und das ist in bestimmten Konzentrationen explosiv. Fischer:
"Der zweite Punkt ist: Es ist nachgewiesen, dass, wenn das Grubenwasser ansteigt, es an der Tagesoberfläche zu Erhebungen kommt. Und unterschiedliche Hebungen können zu weiteren Bergschäden führen."
Genau das ist vor etwa zehn Jahren in der Nähe von Aachen passiert, als im stillgelegten Bergwerk Sophia-Jacoba die Grubenwasserpumpen abgestellt wurden. Bis zu zwanzig Zentimeter hat sich der Boden durch das ansteigende Wasser wieder nach oben bewegt, und Risse in Häusern und Straßen verursacht. Fischer:
"Und der dritte Punkt ist für uns überragend: Wenn man das Grubenwasser unkontrolliert ansteigen lässt, kann es in Kontakt mit Trinkwasserhorizonten kommen."
Im Grubenwasser sind zahlreiche Mineralien aus dem umgebenden Gestein gelöst. Allein der Salzgehalt liegt bei 20 bis 27 Gramm pro Liter. Damit ist das Grubenwasser fast so salzig wie die Nordsee. Käme es in Kontakt mit Trinkwasservorkommen, würde es diese unbrauchbar machen. Das unerwünschte Wasser zu bergen, ist Aufgabe der Deutschen Steinkohle AG, und es kommt sie teuer zu stehen. Fischer:
"Ganz grob 70 Millionen Kubikmeter, die wir hier in Nordrhein-Westfalen fördern, kosten etwa 50 bis vielleicht Maximum 70 Millionen Euro."
Pro Jahr. Wenn wie geplant im Jahr 2018 die letzte deutsche Zeche schließt, muss ein Vermögen von über 13 Milliarden Euro zusammengekommen sein, um all die Grundwasser-, Gewässer-, Abwasser- und Grubenwasserpumpen bis in alle Ewigkeit unterhalten zu können. Das hat ein Gutachten des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG ergeben. Zurzeit laufen an den Universitäten Aachen und Freiberg Untersuchungen dazu, ob und wie weit man das Grubenwasser in den verlassenen Bergwerken ansteigen lassen kann, ohne dass es Schäden verursacht. Denn das Grubenwasser sei die einzige Stellschraube an der sich drehen lasse um die Ewigkeitskosten zu mindern, sagt der Leiter der Studie, Axel Preusse.
"Ganz einfach, indem man nicht aus so großer Tiefe pumpt, indem man das Wasser ansteigen lässt und die Stromkosten, die Energiekosten minimiert."
Er und seine Kollegen untersuchen zurzeit, was genau bei der Zeche Sophia-Jacoba zu den Schäden an der Erdoberfläche geführt hat. In drei bis vier Jahren wollen sie ein Modell entwickelt haben, das die Prozesse beim Grubenwasseranstieg abbildet. Damit hoffen sie dann, Aussagen darüber treffen zu können, in welchen Bereichen man das Grubenwasser gefahrlos ansteigen lassen kann und wo es ewig weggepumpt werden muss. Preusse:
"Es könnte zum Beispiel auch eine Methode sein, das Grubenwasser vielleicht langsamer ansteigen zu lassen, gezielter langsam ansteigen zu lassen, als man das vielleicht da getan hat. Das wäre eine denkbare Möglichkeit, aber die haben wir bisher noch nicht erprobt."
Risse in Häusern und Straßen, Tagesbrüche, die Fährräder und Kellerwände verschlucken und Pumpen, die ewig werden arbeiten müssen, sind Folgen des Bergbaus. Aber am Niederrhein hat der noch ein ganz anderes, wesentlich bedrohlicheres Problem geschaffen.
Peter Fischer sitzt in seinem großen Büro bei der Deutschen Steinkohle AG am Stadtrand von Herne, beugt sich nach vorn und sagt beschwörend:
"Die Rheindeiche in dem Bereich, über den wir sprechen, sind mit die sichersten überhaupt! Nicht nur die sichersten in Nordrhein-Westfalen, sondern mit die sichersten Deiche der Welt."
Das sollten sie auch besser sein, denn das Gebiet links des Niederrheins ist durch den Bergbau im Untergrund an einigen Stellen um bis zu zehn Meter abgesunken. Und das macht die Region zu einer Krisenregion, sollte je einer dieser Deiche brechen. Der Bergbau hat aus dem linken Niederrhein ein Gebiet mit abflusslosen Senken und Mulden gemacht. Wenn hier bei einem Hochwasser ein Rheindeich bricht, läuft die Gegend voll wie eine Badewanne – und bleibt voll.
"Das wäre eine Katastrophe, das muss man einfach so sehen, dazu muss man auch stehen. Wenn der Rheindeich bricht, zum Beispiel im Bereich von Moers, würde die Innenstadt unter Wasser stehen","
Karl-Heinz Brandt von der Lineg zuckt mit den Schultern,
""und wir könnten nicht dagegen pumpen, das ist einfach illusorisch, dafür haben wir keine Pumpanlagen, und das funktioniert auch nicht. Und wir müssten dann auch wochenlang mit anderen Großpumpanlagen eben versuchen, die Stadt wieder trocken zu bekommen."
Als vor wenigen Jahren darüber verhandelt wurde, ob die beiden Bergwerke in der Rheinschiene, das Bergwerk Walsum in Dinslaken und das Bergwerk West in Kamp-Lintfort, weiter Kohle fördern dürfen, gab es deshalb massiven Protest von Bürgerinitiativen, erinnert sich Erik Buschhüter, der beim Umweltministerium NRW für den Hochwasserschutz zuständig ist. Aus diesem Grund wollte das Land sicherstellen, dass sich das Risiko für die Anwohner durch den zusätzlichen Kohleabbau nicht erhöht. Buschhüter:
"Man hat gesagt, wir wollen mal vergleichen den Zeitraum 2003 vor diesem Rahmenbetriebsplanverfahren mit dem Zeitraum, den wir heute prognostizieren können, wie lang dieses Bergwerk dort abbauen soll, mit den entsprechenden Folgen, das wollen wir mal gegenüberstellen, von der Risikoanalyse her, und wollen dann mal vergleichen, gibt es eine Risikoänderung oder gibt es die nicht? Und wenn es die gibt, was können wir möglicherweise tun, um die auf dem Stand von 2003 zu halten."
Es gibt sie. Die Gefahr, dass die Deiche brechen, erhöht sich zwar nicht mehr, da unter den Deichen selbst keine Kohle mehr abgebaut wird. Aber sollte ein Deich brechen, wäre der Schaden deutlich größer, da durch den zusätzlichen Bergbau noch mehr Senken entstehen, die voll Wasser laufen können.
"Es gibt linksrheinisch in der Nähe von Rheinberg den Ort Alpen und es gibt in Alpen durch die Überflutung und die Bergsenkung eine Situation dass der First eines Reihenhauses unter Wasser wäre. Jetzt ganz drastisch formuliert bitte, aber jetzt machen wir einfach eine Schlagzeile draus: Würde heißen, Sie haben nicht mal die Chance sich auf den First ihres Hauses zu retten."
Über zehn Meter hoch stände das Wasser an einigen Stellen. Und das über Wochen und Monate hinweg, sagt Jürgen Köngeter. Er hat die Anfang 2008 veröffentlichte Studie bis zu seiner Emeritierung an der RWTH Aachen betreut. Um dieses Szenario zu verhindern, plant das Land Nordrhein-Westfalen jetzt eine zweite Deichlinie zu bauen, die die Wassermassen im Fall eines Rheindeichbruchs aufhalten soll. Verpflichtet seien sie dazu nicht, betont Erik Buschhüter. Das sei eine reine Präventivmaßnahme.
Der Bergbau hat Nordrhein-Westfalen verändert. Er hat die Industrialisierung angekurbelt und er hat den Wiederaufbau nach den Weltkriegen gefördert. Aber er hat das Land auch aus dem Takt gebracht. Flüsse fließen nicht mehr, Häuserecken versinken im Untergrund und Hunderte von Pumpen laufen Tag und Nacht. Etwa die Hälfte Nordrhein –Westfalens ist durch den Bergbau so stark verändert worden, dass der Mensch auf ewig wird eingreifen müssen, um weiterhin dort leben zu können.