Fast zwei Tage war die Nachricht wie so oft in Nordkorea absolute Geheimsache. Nicht mal die westlichen Nachrichtendienste waren informiert. Ganz in Schwarz gekleidet und sichtlich erschüttert meldete sich dann am Montag die Nachrichtensprecherin im nordkoreanischen Staatsfernsehen in einer Sondersendung.
"Ich verkünde in größter Traurigkeit, dass unser geliebter Führer Kim Jong Il verstorben ist an einer plötzlichen Krankheit auf der Reise zu einer Veranstaltung. Es ist der größte Verlust für unsere Partei und der größte Trauerfall für unser Volk. Das Land muss nun die Traurigkeit in Stärke umwandeln und unsere Schwierigkeiten überwinden."
Die Sorgen sind groß im Land. Rund ein Viertel der Bevölkerung hungert, so die Schätzung des Welternährungsprogramms. Nordkorea ist völlig isoliert und es droht wieder ein harter Winter, weil durch starke Regenfälle die Reisernte im Sommer schwer beschädigt wurde. Am Tag der Trauer wird darüber in Nordkorea offiziell aber nicht gesprochen, das Fernsehen zeigt Bilder von weinenden Schülern, Müttern, selbst die Soldaten sind in Tränen aufgelöst. Sie alle liegen am Boden und schlagen verzweifelt auf die kalten Steine. Das Staatsfernsehen zeigt Bilder, wie sich die verstörten Menschen vor den prunkvollen Denkmälern im Land verneigen. Die Staatsspitze ordnete eine Trauerphase bis zum 29. Dezember an. Die Beisetzung soll am 28. Dezember in Pjöngjang stattfinden.
Schon vor einem Jahr wurde die Nachfolge in der Kim-Dynastie geregelt. Der dritte Sohn von Kim Jong Il, Kim Jong Un, soll das Land regieren und auf den großen Tag im nächsten Frühjahr vorbereiten. Dann wäre sein Großvater, Staatsgründer Kim Il Sung, 100 Jahre alt geworden.
Informationen aus dem isolierten Land sind aber nur sehr schwer zu bekommen. Journalisten dürfen nur selten einreisen, Touristen werden auf Schritt und Tritt verfolgt.
"Herzlich Willkommen in Pjöngjang"
Nur wenige Tausend Touristen dürfen jedes Jahr nach Nordkorea reisen. Das macht das Reiseziel so geheimnisvoll. In der Hotelbar stehen Studenten in T-Shirts mit Hammer und Sichel, trinken Bier für umgerechnet 50 Cents und schwärmen von den Erlebnissen, wie Isaak, ein Backpacker aus Holland:
"Es war schon immer das Reiseziel, das mich am meisten interessiert hat. Es ist so mysteriös und unbekannt. Dann habe ich jemanden getroffen, der schon hier war, und er hat mir gesagt, es gibt nichts Besseres, vielleicht eine Reise zum Mond."
Die meisten Touristen sind im Yanggakdo Hotel untergebracht. Es liegt auf einer Insel in Pjöngjang und kann dadurch besser überwacht werden. Ausländer dürfen sich in Nordkorea nicht frei bewegen. Sie müssen - wie wir - bei der Einreise ihre Handys und Navigationsgeräte abgeben. Über jeden weiteren Schritt entscheiden dann die freundlichen, aber regimetreuen Aufpasser. Die meisten Gäste kommen aus China, Europäer sind vergleichsweise selten. Aber ein 28-jähriger Schwede verbringt hier sogar seine Flitterwochen, weil er und seine Frau Nordkorea so sonderbar finden.
"Es fühlt sich an wie ein Traum, alles ist so still und gelassen. Die Menschen sind so klein. Das verwirrt einen zwar, aber ich weiß ja, in welchem Land ich bin. Hier ist alles sehr gut organisiert."
Die Nordkoreaner zeigen alles, was das Regime für sehenswert hält. Das Wahrzeichen der Stadt ist der 170-Meter hohe Juche Turm am Ufer des Taedong. In der Nacht leuchtet die rote Blume auf der Spitze des Gebäudes wie eine Fackel über der sonst dunklen Millionenmetropole. Juche - das ist der Name für die eigene kommunistische Weltanschauung, die Staatsgründer Kim Il Sung entwickelt hat. Nach der langen Besatzungszeit sollte das Land nie wieder abhängig sein, erklärt uns oben auf dem Turm die einheimische Reiseführerin Pae Un Son.
"Juche steht für Eigenständigkeit, es ist eine revolutionäre Idee."
Unterhalb des Turms musiziert eine Gruppe in Uniform. Im ganzen Land wird offiziell der Tag der Befreiung von den Amerikanern gefeiert. Am 27.Juli 1953 war der Koreakrieg nach drei Jahren beendet. Nordkorea und Südkorea befinden sich seitdem technisch gesehen immer noch im Kriegszustand. Beide Länder haben zwar ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, für einen Friedensvertrag hat es aber nie gereicht. Mit dem Papier war die Teilung Koreas in Norden und Süden besiegelt.
Die jungen Frauen spielen Gitarre, Ziehharmonika und singen unter der Beobachtung ihrer Vorgesetzten. Das ganze Land bereit sich auf den Ausnahmezustand vor: Die 100-Jahr-Feier für den ewigen Präsidenten Kim Il Sung am 15.April. Noch heute trägt jeder Bewohner eine Anstecknadel mit einem Bild des geliebten Führers an der Brust. Vor 17 Jahren übergab er auf dem Sterbebett die Macht an seinen Sohn Kim Jong Il. Die Folgen der Erbdynastie bekommen wir bei unserer Reise an unserem zweiten Tag in einem Kinderkrankenhaus zu sehen.
Es regnet seit Wochen in Strömen. Auch auf dem Weg von der Hauptstadt Pjöngjang in Richtung Süden in die Hafenstadt Haeju. Vom Showroom des Landes in das Armenhaus. Zwei Stunden fahren wir auf einer löchrigen Betonpiste durch die schöne Landschaft. In der Kornkammer Nordkoreas wachsen Reis, Mais, Gerste, Weizen und Kartoffeln. Auf großen Tafeln mit roter Farbe sind die Vorgaben des Sozialismus zu lesen: "Lasst uns für die verabredeten Ziele in diesem Jahr hart arbeiten!" Wir begleiten die Hilfsorganisation Cap Anamur, die schon zum zweiten Mal in diesem Jahr einspringt. Geschäftsführer Bernd Göken will überprüfen, ob die gespendeten 100 Tonnen Sojabohnen und 1000 Tonnen Reis die Hungernden auch erreichen:
""Im Vergleich zu anderen Katastrophen ist es nur wenig, was wir sehen dürfen. Wir werden nur die kleine Spitze des Eisberges sehen. Es ist ja so bei den Nordkoreanern, sie wollen eigentlich das Gute zeigen, das Positive. Nun zeigen sie auch das Negative und mit etwas Fantasie kann man sich ausmalen, dass es eigentlich viel schlimmer ist."
Überall sehen wir Bauern mit bloßen Händen in den satten, grünen Feldern wühlen. Große Flächen sind überflutet, selbst Soldaten packen mit an und versuchen, die Reisernte zu retten. Was wir kaum sehen sind Traktoren. Das Land ist nicht in der Lage, eigene Fahrzeuge zu produzieren. Auf der Autobahn nach Haeju gibt es so wenig Verkehr, dass sogar Kinder zwischen den Büschen auf dem Mittelstreifen sitzen. Alte Autos und Busse werden auf der Straße repariert. Auf den Landstraßen sind viele Fußgänger und Ochsenkarren unterwegs. Sie kämpfen sich durch tiefe Pfützen, Schlamm und Geröll. Fahrradfahrer kommen uns entgegen, bepackt mit Säcken voller Grünzeug, vieles sind selbstgepflückte Kräuter.
"Was wir sehen, ist, dass die Menschen hier täglich ums Überleben kämpfen. Ihre Aufgabe ist halt, irgendwie was zu essen zu finden. Die Ernte ist noch zu weit weg. Selbst dieser Mais, der noch ganz jung ist. Da sagen einige, der schmeckt super. Es wird also immer nach was Essbarem gesucht."
Wir begegnen zwischendurch auch Militärlastern. Weil der Sprit fehlt, fahren sie mit Holzvergasern. Die Soldaten auf der Ladefläche sind von einer stinkenden Rauchwolke eingehüllt. Der Grund für den desolaten Zustand im ganzen Land sind neben dem Missmanagement auch die Wirtschaftssanktionen der internationalen Gemeinschaft. Weil das stalinistische Regime in Pjöngjang die Gespräche über sein Atomwaffenprogramm abgebrochen hat und stattdessen Langstreckenraketen und Bomben testet, ist Nordkorea völlig isoliert. Der Mangel an Öl zwingt die Anwohner, in den kalten Wintern bei minus 30 Grad das letzte Brennholz zu suchen. Im vergangenen Winter lag die Durchschnittstemperatur in den grauen Wohnblöcken angeblich bei sieben Grad. Wenn es jetzt regnet, verschärft die Erosion in den gerodeten Bergen die Naturkatastrophe.
Pak Yun Oh ist Direktorin für auswärtige Angelegenheiten in der Region Haeju. Sie hat Karriere gemacht in der kommunistischen Partei und durfte deshalb im vergangenen Jahr nach Kaiserslautern reisen. Dort hat sie vor allem der deutsche Wald beeindruckt:
"Überall waren Bäume zu sehen, bei uns sind sie alle abgeholzt. Und ohne Bäume spült der Regen die Erde auf die Straße. Deshalb sage ich, wer zehn Bäume in unserer Region pflanzt, ist wirklich ein Patriot."
In Deutschland hat sie aber auch gravierende Mängel beobachtet. Das Gesundheitssystem zum Beispiel sei in Nordkorea für alle umsonst, schwärmt sie. Die Aussage ist zynisch, denn der Zustand der Kliniken ist mit dem in den 50er-Jahren in Deutschland zu vergleichen. So jedenfalls beschreibt ein Arzt die Situation, selbst in der Hauptstadt Pjöngjang.
Wir dürfen das Kinderkrankenhaus in Haeju besichtigen in der Provinz Süd-Hwanghae und sind beim Anblick der ausgemergelten Kinder erschüttert:
"Ich habe Bauchweh, hatte drei Tage Durchfall",
flüstert der fünfjährige Kim Jin Song leise und hält sich dabei die Hand auf den Bauch. Der starke Regen der letzten Wochen hat das Trinkwasser verunreinigt und die Situation für die geschwächten Kinder in der Region verschlimmert.
"Die Kinder, die wir hier auf der Station gesehen haben, denen geht es ziemlich schlecht. Das sind die akut unterernährten Kinder. Die sehen deutlich älter aus vom Gesicht her und sie haben sehr stark abgenommen."
Bernd Göken besucht die Kinderklinik in Haeju schon das zweite Mal in diesem Jahr. Anfang des Jahres erreichte ihn der verzweifelte Hilferuf der nordkoreanischen Botschaft in Berlin: Wir brauchen dringend Lebensmittel. 2005 hatte das stalinistische Regime in Pjöngjang alle NGOs aus dem Land geworfen und wollte sich aus eigener Kraft helfen. Die Situation hat sich seitdem weiter verschlechtert, beklagt die Direktorin der Klinik, Zang Gum Sun:
"Wir haben hier sehr viele talentierte und begabte Ärzte, aber uns fehlen Milchprodukte und Lebensmittel, um die Kinder schnell aufzupäppeln. Einige Geräte hier funktionieren noch, aber ich fühle mich sehr schlecht, weil wir die Kinder nicht medizinisch versorgen können."
Das einzige Röntgengerät in der Kinderklinik kommt aus China. Es ist kaputt. Auch im Operationssaal sieht es nicht besser aus. Er ist verlassen, vor zehn Jahren war er mit Spendengeldern von Cap Anamur gebaut worden und deshalb wirft Bernd Göken einen kritischen Blick in den OP:
"Und das Narkosegerät dahinten, das ist so langsam kaputt gegangen."
Nordkorea investiert etwa einen halben Dollar pro Jahr und pro Person in die Gesundheitsfürsorge. Das berichtet Amnesty International. Obwohl die Versorgung katastrophal ist, fühlen sich die überforderten Mütter wenigstens geborgen in der Klinik mit ihren Kindern. Sie klopfen ihnen auf die Brust, streicheln den Kopf und summen koreanische Kinderlieder. In den Zimmern ist es ansonsten mucksmäuschenstill. 50 Ärzte und 30 Schwestern kümmern sich um die akut unterernährten Kinder. Die 200 Betten sind zur Hälfte belegt. Neben Lebensmitteln fehlen vor allem Medikamente.
""Wir sehen ja nur wenige Kinder stationär. Die meisten Kinder werden zu Hause sein. Denn hier wird ja klar, hier passiert nichts. Ich denke, die meisten Dramen werden sich zu Hause abspielen, die werden wir nicht sehen."
Die Dankbarkeit für die Nahrungsmittelhilfe aus Deutschland ist sehr groß. In Haeju haben sie den Lebensmitteln schon einen neuen Namen gegeben: sie warten auf die nächste Ladung "Anamur-Reis". Die Hungersnot und das Elend auf dem Land sind aber nicht mehr zu übersehen. Eine Veränderung der Notlage ist nur möglich, wenn sich das Land öffnet. Wir beobachten einige neugierige chinesische Delegationen. Sie helfen aber nicht der hungernden Bevölkerung, sondern interessieren sich eher für ein Joint-Venture, statt für Menschenrechte. Der Nachbar im Norden hat der Demokratischen Volksrepublik Korea bereits in einem Rekordtempo gezeigt, wie Planwirtschaft im 21.Jahrhundert funktionieren kann. Mit einem radikalen Wandel vom Kommunismus zum Kapitalismus.
Auf der Rückfahrt fahren wir an überschwemmten Feldern und braunen Flüssen vorbei. Durch das Unwetter der vergangenen Wochen hat es auch viele Tote gegeben. Choe Bong Ryo ist Leiterin der Überschwemmungsgebiete. Sie zeigt uns eine Straße, die angeblich 7000 Soldaten mit bloßen Händen wieder aufgeschüttet haben, nachdem die Fluten sie weggerissen hatten. Offiziell waren die Lastwagen nicht in der Lage, sich im Schlamm zu bewegen. In Wahrheit fehlen die einfachsten Geräte, selbst Traktoren sehen wir nur selten.
"Das ist ja eigentlich hier die Kornkammer des Landes, aber 80 Prozent der Ernte sind zerstört. Früher haben wir unseren Reis an andere Provinzen verteilt. Aber jetzt reicht das nicht mal mehr für uns aus."
Zurück in Pjönjang treffen wir die 17-jährige Kochschülerin Hwang Gum Ok. Die großen Sorgen der Landbevölkerung sind ihr unbekannt.
"Ich will ein Meisterkoch werden. Ich hoffe, dass ich irgendwann einmal unseren geliebten Führer bekochen darf. Es wäre mir eine Ehre."
Ganz unten angekommen, in der U-Bahn von Pjöngjang, fahren wir ein paar Stationen in den alten Waggons der Berliner S-Bahn. Ein Highlight für Touristen und für die Helfer von Cap Anamur eine willkommene Abwechslung:
"Ich finde, das ist das Bizarre an Nordkorea. Gestern haben wir in Haeju gesehen, wie schlecht es den Leuten geht. Die starken Regenfälle. Die stark unterernährten Kinder. Heute fahren wir in der U-Bahn und den Turm hoch. Das ist schon ein sehr starkes Gegenbild. Aber auf der anderen Seite zeigt es auch, welches Potenzial Nordkorea hat und dass sie vieles schaffen können und vielleicht ist es ja mal irgendwann so weit, dass es allen besser geht in diesem Land."
Wir steigen wieder aus und stehen an den bombastischen Haltestellen vor den überdimensionalen Gemälden von Staatsgründer Kim Il Sung, dem ewigen Präsidenten. Er wird bis heute verehrt, wie der Guru einer Sekte. Dem Volk werden noch immer blühende Landschaften versprochen. In Wahrheit droht jedoch erneut ein harter Winter in bitterer Armut und Isolation. Mithilfe der Juche-Ideologie wird auch der totalitäre Überwachungsstaat gerechtfertigt. Von den Arbeitslagern und der Armut auf dem Land bekommt eine deutsche Reisegruppe aber nichts zu sehen.
"Ich spüre eine gewisse Unzufriedenheit bei den Reisegästen mit der Informationslage und viele kommen, um sich ein eigenes Bild zu machen."
Reiseleiter Christoph Palm drückt sich sehr diplomatisch aus über die einseitigen Gruselgeschichten der Medien. Der Weg der deutschen Reisegruppe ist ungewöhnlich: sie verlässt Nordkorea wieder mit dem Zug über die chinesische Grenze und fliegt dann von Peking nach Seoul, um einen Eindruck von Südkorea zu bekommen.
"Eine Veränderung der Notlage ist nur möglich, wenn sich das Land öffnet. Es ist sehr viel strikter, härter und wahrscheinlich auch schmerzhafter für diese Menschen, die Teilung zu verarbeiten, als es damals in Deutschland der Fall war."
Gefreut über die Nachricht vom Tod des Diktators aus dem Norden haben sich nur konservative Gruppen in Südkorea. Sie sind heute in Seoul auf die Straße gezogen, wie der Teilnehmer der Demonstartion Choo Seon-Hee:
"Wir begrüßen die Nachricht vom Tod Kim Jong Ils. So viele Menschen sind verhungert. Und er ist auch verantwortlich für den Tod unserer Seeleute, nach dem Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffes. Auch für die Toten durch einen Granatenangriff auf unsere Inselgruppe im vergangenen Jahr. Deshalb haben wir uns hier versammelt um die Nachricht zu feiern."
Wie es wirklich weiter geht in dem völlig abgeschnittenen Nordkorea ist schwer vorauszusagen. Selbst der südkoreanische Geheimdienst hat die Nachricht aus dem nordkoreanischen Staatsfernsehen erfahren. Nach der Staatstrauer wird die Machtübernahme von Kim Jong Un vermutlich von den typischen Reflexen begleitet: Dabei werden aber eher Raketen und keine Atomwaffen getestet. Der Grund: Bei jedem weiteren Test würde Nordkorea auch das kostbare, aufbereitete Material für seine Kernwaffen verschwenden. Und die Atombombe ist das einzige Argument, weshalb sich die Welt große Sorgen macht und zu Verhandlungen mit dem brutalen Regime bereit ist. Der junge Diktator Kim Jong Un entscheidet nämlich jetzt mit einem Knopfdruck über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen.
"Ich verkünde in größter Traurigkeit, dass unser geliebter Führer Kim Jong Il verstorben ist an einer plötzlichen Krankheit auf der Reise zu einer Veranstaltung. Es ist der größte Verlust für unsere Partei und der größte Trauerfall für unser Volk. Das Land muss nun die Traurigkeit in Stärke umwandeln und unsere Schwierigkeiten überwinden."
Die Sorgen sind groß im Land. Rund ein Viertel der Bevölkerung hungert, so die Schätzung des Welternährungsprogramms. Nordkorea ist völlig isoliert und es droht wieder ein harter Winter, weil durch starke Regenfälle die Reisernte im Sommer schwer beschädigt wurde. Am Tag der Trauer wird darüber in Nordkorea offiziell aber nicht gesprochen, das Fernsehen zeigt Bilder von weinenden Schülern, Müttern, selbst die Soldaten sind in Tränen aufgelöst. Sie alle liegen am Boden und schlagen verzweifelt auf die kalten Steine. Das Staatsfernsehen zeigt Bilder, wie sich die verstörten Menschen vor den prunkvollen Denkmälern im Land verneigen. Die Staatsspitze ordnete eine Trauerphase bis zum 29. Dezember an. Die Beisetzung soll am 28. Dezember in Pjöngjang stattfinden.
Schon vor einem Jahr wurde die Nachfolge in der Kim-Dynastie geregelt. Der dritte Sohn von Kim Jong Il, Kim Jong Un, soll das Land regieren und auf den großen Tag im nächsten Frühjahr vorbereiten. Dann wäre sein Großvater, Staatsgründer Kim Il Sung, 100 Jahre alt geworden.
Informationen aus dem isolierten Land sind aber nur sehr schwer zu bekommen. Journalisten dürfen nur selten einreisen, Touristen werden auf Schritt und Tritt verfolgt.
"Herzlich Willkommen in Pjöngjang"
Nur wenige Tausend Touristen dürfen jedes Jahr nach Nordkorea reisen. Das macht das Reiseziel so geheimnisvoll. In der Hotelbar stehen Studenten in T-Shirts mit Hammer und Sichel, trinken Bier für umgerechnet 50 Cents und schwärmen von den Erlebnissen, wie Isaak, ein Backpacker aus Holland:
"Es war schon immer das Reiseziel, das mich am meisten interessiert hat. Es ist so mysteriös und unbekannt. Dann habe ich jemanden getroffen, der schon hier war, und er hat mir gesagt, es gibt nichts Besseres, vielleicht eine Reise zum Mond."
Die meisten Touristen sind im Yanggakdo Hotel untergebracht. Es liegt auf einer Insel in Pjöngjang und kann dadurch besser überwacht werden. Ausländer dürfen sich in Nordkorea nicht frei bewegen. Sie müssen - wie wir - bei der Einreise ihre Handys und Navigationsgeräte abgeben. Über jeden weiteren Schritt entscheiden dann die freundlichen, aber regimetreuen Aufpasser. Die meisten Gäste kommen aus China, Europäer sind vergleichsweise selten. Aber ein 28-jähriger Schwede verbringt hier sogar seine Flitterwochen, weil er und seine Frau Nordkorea so sonderbar finden.
"Es fühlt sich an wie ein Traum, alles ist so still und gelassen. Die Menschen sind so klein. Das verwirrt einen zwar, aber ich weiß ja, in welchem Land ich bin. Hier ist alles sehr gut organisiert."
Die Nordkoreaner zeigen alles, was das Regime für sehenswert hält. Das Wahrzeichen der Stadt ist der 170-Meter hohe Juche Turm am Ufer des Taedong. In der Nacht leuchtet die rote Blume auf der Spitze des Gebäudes wie eine Fackel über der sonst dunklen Millionenmetropole. Juche - das ist der Name für die eigene kommunistische Weltanschauung, die Staatsgründer Kim Il Sung entwickelt hat. Nach der langen Besatzungszeit sollte das Land nie wieder abhängig sein, erklärt uns oben auf dem Turm die einheimische Reiseführerin Pae Un Son.
"Juche steht für Eigenständigkeit, es ist eine revolutionäre Idee."
Unterhalb des Turms musiziert eine Gruppe in Uniform. Im ganzen Land wird offiziell der Tag der Befreiung von den Amerikanern gefeiert. Am 27.Juli 1953 war der Koreakrieg nach drei Jahren beendet. Nordkorea und Südkorea befinden sich seitdem technisch gesehen immer noch im Kriegszustand. Beide Länder haben zwar ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, für einen Friedensvertrag hat es aber nie gereicht. Mit dem Papier war die Teilung Koreas in Norden und Süden besiegelt.
Die jungen Frauen spielen Gitarre, Ziehharmonika und singen unter der Beobachtung ihrer Vorgesetzten. Das ganze Land bereit sich auf den Ausnahmezustand vor: Die 100-Jahr-Feier für den ewigen Präsidenten Kim Il Sung am 15.April. Noch heute trägt jeder Bewohner eine Anstecknadel mit einem Bild des geliebten Führers an der Brust. Vor 17 Jahren übergab er auf dem Sterbebett die Macht an seinen Sohn Kim Jong Il. Die Folgen der Erbdynastie bekommen wir bei unserer Reise an unserem zweiten Tag in einem Kinderkrankenhaus zu sehen.
Es regnet seit Wochen in Strömen. Auch auf dem Weg von der Hauptstadt Pjöngjang in Richtung Süden in die Hafenstadt Haeju. Vom Showroom des Landes in das Armenhaus. Zwei Stunden fahren wir auf einer löchrigen Betonpiste durch die schöne Landschaft. In der Kornkammer Nordkoreas wachsen Reis, Mais, Gerste, Weizen und Kartoffeln. Auf großen Tafeln mit roter Farbe sind die Vorgaben des Sozialismus zu lesen: "Lasst uns für die verabredeten Ziele in diesem Jahr hart arbeiten!" Wir begleiten die Hilfsorganisation Cap Anamur, die schon zum zweiten Mal in diesem Jahr einspringt. Geschäftsführer Bernd Göken will überprüfen, ob die gespendeten 100 Tonnen Sojabohnen und 1000 Tonnen Reis die Hungernden auch erreichen:
""Im Vergleich zu anderen Katastrophen ist es nur wenig, was wir sehen dürfen. Wir werden nur die kleine Spitze des Eisberges sehen. Es ist ja so bei den Nordkoreanern, sie wollen eigentlich das Gute zeigen, das Positive. Nun zeigen sie auch das Negative und mit etwas Fantasie kann man sich ausmalen, dass es eigentlich viel schlimmer ist."
Überall sehen wir Bauern mit bloßen Händen in den satten, grünen Feldern wühlen. Große Flächen sind überflutet, selbst Soldaten packen mit an und versuchen, die Reisernte zu retten. Was wir kaum sehen sind Traktoren. Das Land ist nicht in der Lage, eigene Fahrzeuge zu produzieren. Auf der Autobahn nach Haeju gibt es so wenig Verkehr, dass sogar Kinder zwischen den Büschen auf dem Mittelstreifen sitzen. Alte Autos und Busse werden auf der Straße repariert. Auf den Landstraßen sind viele Fußgänger und Ochsenkarren unterwegs. Sie kämpfen sich durch tiefe Pfützen, Schlamm und Geröll. Fahrradfahrer kommen uns entgegen, bepackt mit Säcken voller Grünzeug, vieles sind selbstgepflückte Kräuter.
"Was wir sehen, ist, dass die Menschen hier täglich ums Überleben kämpfen. Ihre Aufgabe ist halt, irgendwie was zu essen zu finden. Die Ernte ist noch zu weit weg. Selbst dieser Mais, der noch ganz jung ist. Da sagen einige, der schmeckt super. Es wird also immer nach was Essbarem gesucht."
Wir begegnen zwischendurch auch Militärlastern. Weil der Sprit fehlt, fahren sie mit Holzvergasern. Die Soldaten auf der Ladefläche sind von einer stinkenden Rauchwolke eingehüllt. Der Grund für den desolaten Zustand im ganzen Land sind neben dem Missmanagement auch die Wirtschaftssanktionen der internationalen Gemeinschaft. Weil das stalinistische Regime in Pjöngjang die Gespräche über sein Atomwaffenprogramm abgebrochen hat und stattdessen Langstreckenraketen und Bomben testet, ist Nordkorea völlig isoliert. Der Mangel an Öl zwingt die Anwohner, in den kalten Wintern bei minus 30 Grad das letzte Brennholz zu suchen. Im vergangenen Winter lag die Durchschnittstemperatur in den grauen Wohnblöcken angeblich bei sieben Grad. Wenn es jetzt regnet, verschärft die Erosion in den gerodeten Bergen die Naturkatastrophe.
Pak Yun Oh ist Direktorin für auswärtige Angelegenheiten in der Region Haeju. Sie hat Karriere gemacht in der kommunistischen Partei und durfte deshalb im vergangenen Jahr nach Kaiserslautern reisen. Dort hat sie vor allem der deutsche Wald beeindruckt:
"Überall waren Bäume zu sehen, bei uns sind sie alle abgeholzt. Und ohne Bäume spült der Regen die Erde auf die Straße. Deshalb sage ich, wer zehn Bäume in unserer Region pflanzt, ist wirklich ein Patriot."
In Deutschland hat sie aber auch gravierende Mängel beobachtet. Das Gesundheitssystem zum Beispiel sei in Nordkorea für alle umsonst, schwärmt sie. Die Aussage ist zynisch, denn der Zustand der Kliniken ist mit dem in den 50er-Jahren in Deutschland zu vergleichen. So jedenfalls beschreibt ein Arzt die Situation, selbst in der Hauptstadt Pjöngjang.
Wir dürfen das Kinderkrankenhaus in Haeju besichtigen in der Provinz Süd-Hwanghae und sind beim Anblick der ausgemergelten Kinder erschüttert:
"Ich habe Bauchweh, hatte drei Tage Durchfall",
flüstert der fünfjährige Kim Jin Song leise und hält sich dabei die Hand auf den Bauch. Der starke Regen der letzten Wochen hat das Trinkwasser verunreinigt und die Situation für die geschwächten Kinder in der Region verschlimmert.
"Die Kinder, die wir hier auf der Station gesehen haben, denen geht es ziemlich schlecht. Das sind die akut unterernährten Kinder. Die sehen deutlich älter aus vom Gesicht her und sie haben sehr stark abgenommen."
Bernd Göken besucht die Kinderklinik in Haeju schon das zweite Mal in diesem Jahr. Anfang des Jahres erreichte ihn der verzweifelte Hilferuf der nordkoreanischen Botschaft in Berlin: Wir brauchen dringend Lebensmittel. 2005 hatte das stalinistische Regime in Pjöngjang alle NGOs aus dem Land geworfen und wollte sich aus eigener Kraft helfen. Die Situation hat sich seitdem weiter verschlechtert, beklagt die Direktorin der Klinik, Zang Gum Sun:
"Wir haben hier sehr viele talentierte und begabte Ärzte, aber uns fehlen Milchprodukte und Lebensmittel, um die Kinder schnell aufzupäppeln. Einige Geräte hier funktionieren noch, aber ich fühle mich sehr schlecht, weil wir die Kinder nicht medizinisch versorgen können."
Das einzige Röntgengerät in der Kinderklinik kommt aus China. Es ist kaputt. Auch im Operationssaal sieht es nicht besser aus. Er ist verlassen, vor zehn Jahren war er mit Spendengeldern von Cap Anamur gebaut worden und deshalb wirft Bernd Göken einen kritischen Blick in den OP:
"Und das Narkosegerät dahinten, das ist so langsam kaputt gegangen."
Nordkorea investiert etwa einen halben Dollar pro Jahr und pro Person in die Gesundheitsfürsorge. Das berichtet Amnesty International. Obwohl die Versorgung katastrophal ist, fühlen sich die überforderten Mütter wenigstens geborgen in der Klinik mit ihren Kindern. Sie klopfen ihnen auf die Brust, streicheln den Kopf und summen koreanische Kinderlieder. In den Zimmern ist es ansonsten mucksmäuschenstill. 50 Ärzte und 30 Schwestern kümmern sich um die akut unterernährten Kinder. Die 200 Betten sind zur Hälfte belegt. Neben Lebensmitteln fehlen vor allem Medikamente.
""Wir sehen ja nur wenige Kinder stationär. Die meisten Kinder werden zu Hause sein. Denn hier wird ja klar, hier passiert nichts. Ich denke, die meisten Dramen werden sich zu Hause abspielen, die werden wir nicht sehen."
Die Dankbarkeit für die Nahrungsmittelhilfe aus Deutschland ist sehr groß. In Haeju haben sie den Lebensmitteln schon einen neuen Namen gegeben: sie warten auf die nächste Ladung "Anamur-Reis". Die Hungersnot und das Elend auf dem Land sind aber nicht mehr zu übersehen. Eine Veränderung der Notlage ist nur möglich, wenn sich das Land öffnet. Wir beobachten einige neugierige chinesische Delegationen. Sie helfen aber nicht der hungernden Bevölkerung, sondern interessieren sich eher für ein Joint-Venture, statt für Menschenrechte. Der Nachbar im Norden hat der Demokratischen Volksrepublik Korea bereits in einem Rekordtempo gezeigt, wie Planwirtschaft im 21.Jahrhundert funktionieren kann. Mit einem radikalen Wandel vom Kommunismus zum Kapitalismus.
Auf der Rückfahrt fahren wir an überschwemmten Feldern und braunen Flüssen vorbei. Durch das Unwetter der vergangenen Wochen hat es auch viele Tote gegeben. Choe Bong Ryo ist Leiterin der Überschwemmungsgebiete. Sie zeigt uns eine Straße, die angeblich 7000 Soldaten mit bloßen Händen wieder aufgeschüttet haben, nachdem die Fluten sie weggerissen hatten. Offiziell waren die Lastwagen nicht in der Lage, sich im Schlamm zu bewegen. In Wahrheit fehlen die einfachsten Geräte, selbst Traktoren sehen wir nur selten.
"Das ist ja eigentlich hier die Kornkammer des Landes, aber 80 Prozent der Ernte sind zerstört. Früher haben wir unseren Reis an andere Provinzen verteilt. Aber jetzt reicht das nicht mal mehr für uns aus."
Zurück in Pjönjang treffen wir die 17-jährige Kochschülerin Hwang Gum Ok. Die großen Sorgen der Landbevölkerung sind ihr unbekannt.
"Ich will ein Meisterkoch werden. Ich hoffe, dass ich irgendwann einmal unseren geliebten Führer bekochen darf. Es wäre mir eine Ehre."
Ganz unten angekommen, in der U-Bahn von Pjöngjang, fahren wir ein paar Stationen in den alten Waggons der Berliner S-Bahn. Ein Highlight für Touristen und für die Helfer von Cap Anamur eine willkommene Abwechslung:
"Ich finde, das ist das Bizarre an Nordkorea. Gestern haben wir in Haeju gesehen, wie schlecht es den Leuten geht. Die starken Regenfälle. Die stark unterernährten Kinder. Heute fahren wir in der U-Bahn und den Turm hoch. Das ist schon ein sehr starkes Gegenbild. Aber auf der anderen Seite zeigt es auch, welches Potenzial Nordkorea hat und dass sie vieles schaffen können und vielleicht ist es ja mal irgendwann so weit, dass es allen besser geht in diesem Land."
Wir steigen wieder aus und stehen an den bombastischen Haltestellen vor den überdimensionalen Gemälden von Staatsgründer Kim Il Sung, dem ewigen Präsidenten. Er wird bis heute verehrt, wie der Guru einer Sekte. Dem Volk werden noch immer blühende Landschaften versprochen. In Wahrheit droht jedoch erneut ein harter Winter in bitterer Armut und Isolation. Mithilfe der Juche-Ideologie wird auch der totalitäre Überwachungsstaat gerechtfertigt. Von den Arbeitslagern und der Armut auf dem Land bekommt eine deutsche Reisegruppe aber nichts zu sehen.
"Ich spüre eine gewisse Unzufriedenheit bei den Reisegästen mit der Informationslage und viele kommen, um sich ein eigenes Bild zu machen."
Reiseleiter Christoph Palm drückt sich sehr diplomatisch aus über die einseitigen Gruselgeschichten der Medien. Der Weg der deutschen Reisegruppe ist ungewöhnlich: sie verlässt Nordkorea wieder mit dem Zug über die chinesische Grenze und fliegt dann von Peking nach Seoul, um einen Eindruck von Südkorea zu bekommen.
"Eine Veränderung der Notlage ist nur möglich, wenn sich das Land öffnet. Es ist sehr viel strikter, härter und wahrscheinlich auch schmerzhafter für diese Menschen, die Teilung zu verarbeiten, als es damals in Deutschland der Fall war."
Gefreut über die Nachricht vom Tod des Diktators aus dem Norden haben sich nur konservative Gruppen in Südkorea. Sie sind heute in Seoul auf die Straße gezogen, wie der Teilnehmer der Demonstartion Choo Seon-Hee:
"Wir begrüßen die Nachricht vom Tod Kim Jong Ils. So viele Menschen sind verhungert. Und er ist auch verantwortlich für den Tod unserer Seeleute, nach dem Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffes. Auch für die Toten durch einen Granatenangriff auf unsere Inselgruppe im vergangenen Jahr. Deshalb haben wir uns hier versammelt um die Nachricht zu feiern."
Wie es wirklich weiter geht in dem völlig abgeschnittenen Nordkorea ist schwer vorauszusagen. Selbst der südkoreanische Geheimdienst hat die Nachricht aus dem nordkoreanischen Staatsfernsehen erfahren. Nach der Staatstrauer wird die Machtübernahme von Kim Jong Un vermutlich von den typischen Reflexen begleitet: Dabei werden aber eher Raketen und keine Atomwaffen getestet. Der Grund: Bei jedem weiteren Test würde Nordkorea auch das kostbare, aufbereitete Material für seine Kernwaffen verschwenden. Und die Atombombe ist das einzige Argument, weshalb sich die Welt große Sorgen macht und zu Verhandlungen mit dem brutalen Regime bereit ist. Der junge Diktator Kim Jong Un entscheidet nämlich jetzt mit einem Knopfdruck über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen.